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1994-06-28 Buch und Co.:

Herrliches Buch: Reich-Ranickis Ahnengalerie – Böse Sache: Reich-Ranickis Vernebelungstaktik


Kritik ist eine Liebeserklärung
an die Kunst


ape. Eigentlich galt es, nur ein Buch zu rezensieren. Eines, dass all jenen wärmstens zu empfehlen ist, die als Praktiker, Rezipienten oder neugierige Szenebeobachter irgend an Literatur und/oder Theater interessiert sind. Kritiker Marcel Reich-Ranicki hat eine Ahnengalerie seiner Berufskollegen zusammengestellt. Herausgekommen ist eine exquisite Kulturgeschichte der deutschen Literatur und Theaterkritik von Lessing über Börne, Fontane und Alfred Kerr bis Friedrich Luft und Joachim Kaiser.
Doch mitten hinein ins Schmunzeln und Nachdenken über „Die Anwälte der Literatur“ (so der Buchtitel) platzt der lautstarke Disput um die Rolle von Reich-Ranicki als einstigem Kurzzeitspion im Dienste des einst kommunistischen Polens. Die Aufregung ist so groß wie des Literaturpapstes Vertuschungsversuch unverständlich.

Irrtümer, Jugednirrtümer zumal, gehören zum Leben. Sie zuzugeben und mit Nutzwert für eigene Biografie wie das allgemeine Verständnis von der Wirkungsweise verführerischer Ideologien zu analysieren, das hätte MRR eher ansehen eingebracht, als ihm geschadet. Seine völlig überflüssigen Unaufrichtigkeiten in dieser Frage sind geradehin dumme Kindereien eines (sehr eitlen) alten Mannes, der – was die eigenen vermeintlichen oder echten Sünden angeht – sein bewährtes Augenmaß verloren hat. Die nach meinem Dafürhalten in diesem Zusammenhang einzige Frage von Wichtigkeit ist: Hat sein geheimdienstliches Tun Leid und Schmerz über irgendeinen unschuldigen Menschen gebracht? Das muss geklärt werden, dazu muss er sich verhalten. (…)

Genug, zurück zum vorliegenden Buch! Das scheint mir  interessanter als der ganze Spionage-Streit; zumindest verliert es durch denselben nicht im geringsten an Bedeutung. Warum? Weil es ein engagiertes Plädoyer für die Kritik als unverzichtbarer Bestandteil des kulturellen Lebens ist. Weil es die unterschiedlichsten Auffassungen inzwischen allgemein anerkannter – zu ihrer Zeit indes meist heftig angefeindeter – Kritiker und literarkritischer Essayisten darüber, was Kritik soll, zusammenführt und bewertet. Weil es am kritischen Schreiben großer Geister (auch Goethe, Heine, Thomas Mann, Tucholsky und Walter Benjamin hängen in dieser Ahnengalerie) aufzeigt, daß und warum Kritik auf Sachkenntnis basieren soll, vor allem aber wie folgt sein MUSS: subjektiv, streitbar (ja gelegentlich polemisch), zuspitzend, verkürzend, fordernd und urteilend, grundsätzlich unabhängig und immer für das breite interessierte Publikum verständlich.

Unverbindliche Schönschreibereien verdienen die Bezeichnung „Kritik“ so wenig wie Gefälligkeits-Rezensionen oder fachchinesisches Nebelgeschwätz – so der Tenor dieser Sammlung von gleichermaßen intelligenten, unterhaltenden und beispielhaft kritisch differenzierenden Aufsätzen.

„Die Kritik sei frei – denn sie ist das steigernde, befeuernde, emportreibende Prinzip, das Prinzip der Ungenügsamkeit.“ Diesen Ausspruch von Thomas Mann stellt Reich-Ranicki seinem Buch voran. Das hält für manchen Kritik-Gegner die überraschende Erkenntnis bereit, daß die Zentralfiguren der deutschen Kritik allesamt von einer Kraft angetrieben werden: der ganz großen Liebe zu ihrem Stoff – zur Literatur, zum Theater.  Andreas Pecht

Marcel Reich-Ranicki: Die Anwälte der Literatur. DVA   


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