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2002-04-25 Buchkritik:
Das Leben in seiner ganzen Schlüpfrigkeit

Philip Roth hat mit "Der menschliche Makel" einen großen und zutiefst humanen Roman geschrieben
 
ape. Wie Günter Grass (74) hier, so wird Philip Roth (69) jenseits des großen Teiches immer wieder als "Nestbeschmutzer" gescholten. Der amerikanische Autor queruliert wider den (Un-)Geist des American Way Of Life, konfrontiert die in Glorie badende Selbstgewissheit seiner Landsleute mit den Fragwürdigkeiten der US- Normalität sowie den finsteren Kapiteln der US-Geschichte. Philip Roth hat mit seinem jüngsten Roman "Der menschliche Makel" auch in diesem Sinn eine mächtige Breitseite abgefeuert; das war noch vor dem 11. September. Die literarischen Einschläge (der deutschen Ausgabe) erfolgen nach der New Yorker Tragödie - und verfehlen ihr Ziel dennoch nicht.
 
Der Autor ist auf überragende Weise wieder ganz bei seinem Thema: Amerika, Amerikaner und der Mensch an sich. Er selbst tritt im Buch als Rechercheur und Chronist Nathan auf, erzählt vom Literaturprofessor Coleman, der in einer kleinen US-Universität der gesellschaftlichen Ächtung anheim fällt. Dessen Lebensgeschichte ist ein Reflex auf früheren amerikanischen Rassismus. Genaueres darf der Spannung wegen hier nicht verraten werden. Nur so viel: Als 60-Jähriger stürzt Coleman - der Liberale, der Diskriminierungsgegner - ausgerechnet über jene perfide Konterkarrierung des Rassismus, die heute als Political Correctness ihr Unwesen treibt.

Des Professors fast antik- tragisch anmutendes Schicksal erfüllt sich jenen "Sommer, in dem jeder an den Penis des Präsidenten dachte" und die Vereinigten Staaten in eine "Ekstase der Scheinheiligkeit" geraten waren. Die Clinton-Datierung macht Sinn: Roth stellt verlogener Konvention "das Leben in all seiner schamlosen Schlüpfrigkeit" gegenüber. Der am Boden liegende Coleman tut sich mit Faunia zusammen, einer 30 Jahre jüngeren, vom Leben arg gebeutelten Putzfrau. Beidseits ist da keine Liebe, sondern "nur" Aufleben und Trost in der sexuellen Lust.

Diese eigentümliche Beziehung wird vom Umfeld teils heimtükisch bekriegt. Ihre Beschreibung, Durchdringung, Verteidigung und humane Erhöhung ist ein Kernstück des Romans - neben der Aufarbeitung einer schwierigen Familiengeschichte, der Verstrickung von Colemans französischer Nachfolgerin als Fakultätschef in Karrierehändel und Liebesfrust ... Vor allem neben dem neuerlichen Auffächern des Vietnam-Traumas, dessen anhaltende Folgen in Faunias Ehemann Farley personifiziert werden. Alkoholiker ist dieser Veteran, vom Staat vergessen, von Medikamenten abhängig, brutal, verwirrt, hilflos - und letztlich eine tödliche Gefahr für Coleman und Faunia.

Philip Roth' Blick auf seine ins historische wie gesellschaftliche Netz verwobenen Figuren ist mitfühlend und zugleich gnadenlos neutral. Mehr noch: Roth zerstrümmert beim Leser entstandene Urteile immer wieder, indem er Zug um Zug neue Aspekte der Personen und ihrer Biografien erhellt. Am Ende der Lektüre ist die gerade in Amerika so beliebte Klassifizierung nach Gut und Böse völlig ad absurdum geführt. "Der menschliche Makel", er steckt in jedem, haftet jedem an. Ein ebenso beklemmendes wie befreiendes Buch, ein bedeutendes Stück Literatur.
Andreas Pecht

 Philip Roth: "Der menschliche Makel". Hanser, 399 Seiten, 24,90 Euro.
 
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