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2003-01-21 Schauspielkritik:

Tödliche Familienidylle


Wilfried Happels "Mordslust" in Bonn: Schriller Comic
 
 
ape. Bonn. Seit jeher beäugt das Theater populäre Idealisierungen misstrauisch. Was interessiert am Heroen? Seine Schwächen. Was am Weisen? Seine Narrheit. Was an der Unschuld? Die verborgene Schuld. Und ganz vorne auf dem Seziertisch Bühne liegt seit langem die Familie. Je inbrünstiger die Außenwelt das Familienglück besingt, umso mehr fassen Theater und Literatur dessen Gefährdungen und Schattenseiten ins Auge - die versteckten mehr noch als die offensichtlichen. Insofern steht Wilfried Happels zeitgenössisches Stück "Mordslust" (1996 am Schauspiel Köln uraufgeführt) in einer langen Tradition, die von Shakespeare und Schiller über Strindberg, Ibsen und Hauptmann bis zu den Heutigen reicht.

Kaum Neues

Happel (Jahrgang 1965) kann früheren Befunden kaum Neues hinzufügen. Seine schrille Farce treibt bloß Bekanntes ins Groteske, und die Inszenierung von Katja Wolff jetzt in Bonn setzt es dem Gelächter aus. Auf die Werkstattbühne des Opernhauses hat Cary Gayler eine Kulisse aus vier Zimmern gebaut, klinisch rein und nebeneinander aufgereiht wie im Möbelkaufhaus. Dort strahlen Papa und Mama (Karsten Gaul/Zeljka Preksavec) über die Verlobung ihres schmucken Sprösslings Jörg mit der bei den Jesus Singers trällernden Unschuldsmaid Sonja (Martin Bringmann/Sabine Weithöner). Wermutstropfen, der generös überspielt wird: die Maid ist schwanger, der Bub geht noch zur Schule. Zum Familienidyll bei Schweinebraten schellt allweil die Türklingel, wird aber tunlichst überhört - denn draußen lauert die böse Welt: Geschäft überfallen, Schießerei, Bäckerin ermordet.

"Davon will ich nichts wissen!", greint der Papa. Nichts von dem, was Böses in der Welt geschieht; auch nichts davon, dass sein Sohn an diesem Bösen beteiligt ist. Mag der Jörg (sprich: Jörch) auch mit dem Gewehr im Wohnzimmer herumfuchteln, dort einen Polizisten (Glenn Goltz) erschießen und die Eltern selbst bedrohen - sie reden und tun, tun und reden als könne solch Missgeschick dem Familienglück nichts anhaben. Sie quatschen sich das Leben rosa, versuchen erfolglos ihr zerbrechendes Puppenstubenidyll mit Floskeln und Gesten beisammenzuhalten. Mittenmang tragen auch noch die Großeltern (Volker K. Bauer/Barbara Teuber) ihre verlogene Ehe zu Grabe. Schlussendlich erschießt Papa die Seinen, hockt sich zwischen die Leichen, mümmelt in gesitteter Tischmanier Schweinebraten.

Gallige Metapher

In der Regie von Katja Wolff läuft Familienleben als gespielter Comic ab. Zugespitzte, gnadenlos überspitzte, von giftiger Satire tropfende Bilder kleinbürgerlicher Spießigkeit reiht sie aneinander. Heraus kommt eine pink-plastiline Mischung aus Familie Hesselbach, den Tetzlaffs und den Simpsons. Glänzend getimter, körpersprachlich gekonnt inszenierter Klamauk, der beim Publikum gut ankommt? Schon. Aber eben auch gallige Metapher auf jenes falsche Familienverständnis, das sich den Herausforderungen des Lebens durch reflexartiges Pochen auf eine inhaltsleere Idylle entzieht. Dies wird auf der Bühne der Lächerlichkeit preisgegeben. Andreas Pecht


 
 
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