Kritiken Theater
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2003-01-27 Schauspielkritik:

Shakespeares "Was ihr wollt" in Mainz. Regie: Irmgard Lange


Herzeleid und Fleischeslust



 
ape. Mainz . Sturm-umtost, Blondhaar-umflattert, Weißlinnen-umweht schwebt sie, am Seile hängend, von oben in eine mit Krimskrams vollgestopfte Szenerie. Stop! Falsches Theater. Am Schauspiel Bonn landet die nymphengleiche Viola in Shakespeares Komödie "Was ihr wollt" seit etlichen Wochen in einer Rumpelkammer des Unterbewussten. Indes, hier ist von der Mainzer Premiere des Stückes an diesem Freitag zu berichten - also bitte, noch mal von Anfang an:

Sturm-umtost, Blondhaar- umflattert, Weißlinnen-umweht schwebt sie, an einer Leiter hängend, von oben in eine Szenerie, die nur aus dem kräftig nach vorne abfallenden, aus Brettern zur riesigen Scheibe gezimmerten Bühnenboden besteht (Bühne: Hutterli/Wehberg). Das ist Illyrien, ein leeres Tablett, unter dem sich Barpiano, Gefängnis, Schnapsvorräte und Liebesnest verbergen. Auf dieser nach allen Seiten offenen Scheibenwelt landet Viola, am Mainzer Staatstheater ein kecker Spatz von Mädchen. 

Regisseurin Irmgard Lange vertraut die wunderbare Rolle Wiebke Kayser an. Und die macht aus der bald Chaplin- like zum Jungmann Cesario verkleideten Figur (Kostüme: Marie-Therese Jossen) eine hinreißende Puck-Type. Mit der urwüchsigen Raffinesse mädchenhafter Naivität treibt sie das Shakespearsche Abgrundspiel über Hetero-, Homo- und Bi-Verwirrung im Allgemeinen wie im eigenen Leib voran. 

Wo Bonn eher auf tiefenpsychologische Symbolik baut, tragen in Mainz die Protagonisten Herzeleid wie Fleischeslust offen vor sich her. Fürs Leid steht Herzog Orsino mit seinem vergeblichen Schmachten nach der Gräfin Olivia. Steve Karier verzehrt sich und wehklagt so gekonnt wie ausdauernd, dass der Verdacht aufkommt, diesem Orsino sei Leiden die wahre Lust. Deutlicher noch wird das Regie-Konzept an Olivia: Explusions-artig lässt Bettina Lohmeyer deren verkniesterten Trauerflor fallen, die Libido aufschäumen; Dauerbegierde bis zur hysterischen Überhitzung entfacht in ihr Viola alias Cesario. 

"Was ihr wollt" ist über weite Strecken auch saftiges Narrenspiel. Wenn Obersäufer Sir Toby Rülps (Michael Schlegelberger), kiebige Zofe Maria (Stefanie Kampe), schlaksgeckiger Trottel Sir Andrew Leichenwang (Michael Günther) und der Narr Feste (Clemens Kuntzsch) loslegen, bleibt kein Auge trocken. Sie singen den Blues, gröhlen 'nen zotigen Kanon, geben mit Hamlet-Schädel, (Ionesco-)Nashorn und Ûner (Tschechöw-)Möwe beim Saufen aus dem weingefüllten Gartenschlauch theatermetaphorische Rätsel auf.

Da gab schon mancher Regisseur dem Affen allzu viel Zucker. Bonn süßte eine Prise zu arg, Mainz kriegt eben noch die Kurve, was vor allem zwei Faktoren zu danken ist: Erstens der live gespielten Musikauswahl von Rainer Böhm, die mit Dowland-Songs aus dem 16. bis zu Cooljazz-Motiven des 20. Jahrhunderts poetische Beruhigung in die Atmosphäre webt. Zweitens die sorgfältigen Ausformung jeder Rolle. So kommt auch Martin Baum mit seiner umwerfenden Darstellung des Haushofmeisters Malvolio als schräg-distinguiertem Tragiker zu einem großen Abend. Irmgard Lange unterstreicht, dass das Schauspiel nicht die "kleinere" Bühnenkunst ist und zu Recht zwischen Oper und Ballett seinen Platz auch im sanierten Großen Haus des Staatstheaters beansprucht. Dort hielt das Sprechtheater mit diesem Shakespeare jetzt einen standesgemäßen Wiedereinzug.

Und wer hat die Nase vorn, Bonn oder Mainz? Glücklich die Shakespeare-Freunde unsrer Region, sie haben die freie Wahl zwischen zwei ziemlich verschiedenen, doch gleichermaßen gelungenen Einrichtungen. "Was ihr wollt". Andreas Pecht


 
 
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