Thema Gesellschaft / Zeitgeist
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2004-10-04 Essay Teil 1:
Familie braucht Verantwortung

Ohne Möglichkeit zu solider Lebensplanung fällt Heiraten schwer - Teil 1
 
ape. Vater und Mutter bleiben ein Leben lang beieinander, ziehen unterm gemeinsamen Dach die gemeinsamen Kinder auf, werden womöglich von ihnen im Alter umsorgt. Ist diese landläufige Vorstellung von Familie ein realistisches Lebensmodell für eine Epoche, für alle Zeit, oder handelt es sich um einen Wunschtraum? Der öffentliche Diskurs sieht die traditionelle Familie in der Krise. Oft werden Werte- und Sittenverfall, Verantwortungslosigkeit und Spaßmentalität bei den jüngeren Menschen als Ursache angenommen. Ein Vorwurf, der an den Tatsachen vorbei geht.
 
Umfragen unter jungen Leuten förderten auch aktuell wieder eine hohe Wertschätzung für die Familie zutage. Je nach Fragestellung setzten knappe bis satte Mehrheiten dauerhafte Partnerschaft, Familie und Kinder auf die ersten Positionen ihrer Lebenswunschliste. Doch zwischen Wunsch und Wirklichkeit tut sich eine tiefe Kluft auf: Sämtliche Statistiken weisen aus, dass Ehen immer später und in geringerer Zahl geschlossen, Kinder immer später und in geringerer Zahl geboren werden; dass die Scheidungsrate ebenso exorbitant wächst wie die Zahl der Haushalte, in denen nur noch Singles leben.

Wunsch und Wirklichkeit

Von den 38 Millionen Haushalten in Deutschland entfielen laut Statistischem Bundesamt zuletzt 36 Prozent auf Alleinstehende, 3,5 Prozent auf Alleinerziehende und 29 Prozent auf Paare ohne Kinder. 14 Prozent sind "sonstige Haushalte", wozu etwa Wohngemeinschaften, Unterkünfte auf Zeit, Wohnungen gleichgeschlechtlicher Paare etc. gehören. In lediglich 16 Prozent aller Haushalte leben Kernfamilien, also Paare mit einem oder mehr Kindern, mit oder ohne Großeltern dabei. Damit entsprechen mehr als 80 Prozent der deutschen Haushalte nicht dem traditionellen Familienideal; Tendenz steigend.

Warum tun junge Leute so häufig nicht oder erst sehr spät, was sie sich laut Umfragen doch heftig wünschen: Familie gründen, Kinder kriegen? Pauschal gesagt: Weil die tatsächlichen Umstände des Lebens zum ideellen Wunschbild nicht mehr passen. Noch vor 40 Jahren führte die Lebensbiografie eine Mehrheit der (männlichen) Jugendlichen mit 14 Jahren in die Lehre, vor dem Wehrdienst zum Gesellenbrief und oft gleich in eine feste Anstellung. Und wer eine solche hatte, der durfte zumeist damit rechnen, dass es sich um eine Lebensstellung, zumindest aber um einen Langzeit-Arbeitsplatz und nicht um einen "Job" handelt. Mit 20 fest im Berufsleben stehen, Aufstiegschancen und Einkommenszuwachs ziemlich sicher, den Bausparvertrag in der Tasche - damit war jene Mindestbedingung erfüllt, die schon im 18. und 19. Jahrhundert unsere Vorfahren durch Konvention, in manchen Staaten sogar durch gesetzliche Vorschrift an eine Heiratserlaubnis geknüpft hatten: Die neue Familie muss sich ernähren können.

Liebe hin oder her: Wer ohne Aussicht auf dauerhaft gesicherte Einkünfte eine Ehe einging, galt vom 18. bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts im bürgerlichen wie auch im proletarischen Milieu als verantwortungsloser Hallodri oder leichtfertiges Gör. Nebenbei: Ein Unterschied zwischen Bürgertum und Arbeiterschaft bestand seit der Frühzeit der industriellen Revolution darin, dass Arbeiterfamilien die Erwerbstätigkeit der Frau als Selbstverständlichkeit einkalkulierten. Ohne einen zweiten Lohn aus Frauenarbeit konnte an eine funktionstüchtige Arbeiterfamilie gar nicht gedacht werden.

Ungewisse Zukunft

Die Lage der Jugend heute lässt sich so umreißen.
Erstens: Die Zeit, die junge Leute in Schule und Ausbildung verbringen, hat enorm zugenommen. Ein Handwerker braucht bis zum Gesellenbrief etwa zwei Jahre länger als noch 1960. Vervielfacht haben sich seither die Jahrgangsanteile von Gymnasiasten und Studenten, deren Berufseinstieg ohnehin frühestens in einem Alter von Mitte bis Ende 20 denkbar ist.

Zweitens: Nichts ist heute ungewisser, als nach dem Abschluss der Ausbildung gleich eine Stellung zu finden und auf Dauer zu behalten, mit der man eine Familie ordentlich ernähren könnte.

Drittens: Familienanhang erweist sich immer wieder als Hemmschuh beim Versuch, in einer Stellung sattelfest zu werden oder gar aufzusteigen.

Viertens: Politik, Wirtschaft und Wissenschaft "versprechen" unisono eine Zukunft, in der es Lebensstellungen kaum mehr gibt. Gefordert werden statt dessen allseits flexible und mobile Ich-AGs - doch Wanderarbeiter gründen seit Jahrhunderten selten Familien, weil Familie ohne Sesshaftigkeit im Regelfall nicht funktioniert.

Vernünftiges Zaudern

Die eingangs umrissene lebenslängliche Kernfamilie ist untrennbar verbunden mit der Möglichkeit einer langfristig vorausschauenden Lebensplanung. Woher aber sollen junge Leute die nehmen, wenn jeder ihrer Blicke in die Zukunft jenseits von Schule und Uni nur ein Blick ins Ungewisse ist. So gesehen, kann das Hinausschieben oder Zurückschrecken vor Familiengründung und Kinderzeugung auch das gerade Gegenteil sein von dem oft beschworenen Unwillen heutiger Jugend, Verantwortung zu übernehmen.

Wahrscheinlicher ist, dass viele junge Menschen lebens- praktischer Vernunft folgen. Oder instinktiv einem altehrwürdigen Wert - der strengen Forderung unserer Vorväter und -mütter an das Verantwortungsbewusstsein ihrer erwachsen werdenden Sprösslinge: "Lerne erstmal einen Beruf und finde ein ordentliches Auskommen, danach reden wir über die Hochzeit." Doch Beruf und Auskommen können ganz ausbleiben, lange auf sich warten lassen, schlecht sein und schnell wieder verloren gehen - heute wesentlich häufiger als vor 50 oder 30 Jahren.

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Zum Teil 2 dieses Essays hier anklicken
 
2004-10-05 Essay Teil 2:
Idyllebilder erschweren die
Familiendiskussion bloß


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