Kritiken Theater
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2004-10-19 Schauspielkritik:
Am Theater gilt: Denken ist geil

Annegret Ritzel inszenierte in Koblenz Brechts "Leben des Galilei" getreulich als Plädoyer für Vernunft in unvernünftiger Zeit
 
ape. Koblenz. Jüngere Theatermacher lieben es nicht so sehr, dieses Argumentierstück am historischen Grabenbruch zwischen Denken und Glauben. Weil jedoch religiöse Eiferer, skurpellose Wissenschaftler und geistlose Entertainer das Erbe der Aufklärung neuerdings von drei Seiten her in die Zange nehmen, ist es (wieder) Zeit, Bert Brechts "Leben des Galilei" zu spielen. Intendantin Annegret Ritzel hat den modernen Klassiker für das Stadttheater Koblenz eng am Text inszeniert - um mit Brechtscher Lust zu sagen, was gesagt werden muss.

"Denken gehört zu den größten Vergnügungen der menschlichen Rasse." Dieser Satz, von Brecht dem Galileo Galilei in den Mund gelegt, steht quasi als Leitmotiv über dem Stück, steht auch über der Koblenzer Einrichtung von Annegret Ritzel. Er prägt zugleich die Spielweise der Titelfigur. Hintan tritt diesmal die Lust des Wissenschaftlers auf gutes Essen und guten Wein. Der Koblenzer Galileo hängt zwar daran, aber so richtig in Schwung kommt Andreas Weißert nicht beim Mahle, sondern beim Forschen, Lernen und Pädagogisieren. Dem entspricht sein Einfallen, Verhärmen, Vertrocknen, sobald die Macht der Kirche ihm das freie Ausschweifen des forschenden Geistes verwehrt.

Forscher-Lust und Forscher-Besessenheit liegen hier nicht weit auseinander. Durch Selbstbescheidung wäre das Liebesglück der Tochter (in hinreißend naiver Empfindsamkeit Evelyne Cannard) erreichbar. Doch weil Selbstbescheidung in diesem Fall Verzicht auf wissenschaftliche Erkenntnis bedeuten würde, steht der Weißertsche Galileo zwar betröppelt vor dem Unglück des Mädchens, walzt aber sogleich mit wehenden Schößen ans Fernrohr.

Siegfried E. Mayer schuf einen Raum, der zwischen turmhohen Bücherregalen bald die mittelalterliche Vorstellung vom belebten Firmament skizziert, bald schlichte Gelehrtenstube, bald päpstlichen Palast aufreißt. Dort ficht während des dreistündigen Abends ein gut 30-köpfiges Ensemble jene dialektischen Konfrontationen aus, die Brecht so reichlich in seine Szenenfolge gepackt hat. Regisseurin Ritzel verkneift sich allzu tiefe Eingriffe in Wort und Geist des Stückes. Kleine Gewichtsverschiebungen hie und da akzentuieren einzelne Aspekte, die Atmosphäre fällt - Ritzelsche Eigenart - etwas fülliger, auch romantischer aus, als bei Brecht wohl gedacht.

Die in früheren Galileo-Diskursen rumorende Frage, ob der vor der Inquisition widerrufende Wissenschaftler in Wahrheit ein trickreicher Teufelskerl ist, sie interessiert hier nur am schlussendlichen Rand. Im Vordergrund steht das Ringen zwischen der Freiheit, Tatsachen ergründen zu dürfen, auch wenn diese das vorherrschende Weltbild völlig aus den Angeln heben - Erde und Mensch sind nicht Mittelpunkt des Universums, sondern nur ein Staubkorn darin. Schnee von gestern? Keineswegs, nur laufen diverse Entwicklungen heute umgekehrt: Was an Erkenntnis erlaubt war, wird nun von voraufklärerischen Dogmen angefeindet. Etwa wenn in den USA starke Strömungen die Evolutionslehre wieder aus Schulbüchern verbannen wollen, wenn allenthalben im Namen Gottes Kriege geführt, Gesellschaften umgekrempelt werden.

  Es ist das tatsächliche Heute, das eine Brücke schlägt von Lessings "Nathan der Weise" zu Brechts "Leben des Galileo". Plötzlich bekommen beide Stücke wieder brennende Aktualität, auch ohne dass das Theater mit dem szenisch aktualisierenden Zaunpfahl auf die frischen Wunden zeigen müsste. Insofern hat Annegret Ritzel klug gehandelt, als sie für den "Galileo" von überinterpretatorischer Neubebilderung absah. Der Text und die von ihm geformten Personen sprechen für sich, indem sie das Hirn des Zusehers ansprechen. Das Denken ist eine Lust - denken ist geil, möchte man im Theater und nachher neudeutsch ausrufen.    Andreas Pecht
 
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