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2004-11-16 Klassikkonzert:
Kein Tastenakrobat - ein Künstler:
Martin Stadtfeld

Der junge Pianist trat erstmals nach seinem furiosen Erfolg mit Bach-Einspielungen wieder vors heimische Publikum

ape. Engers. Die klassische Musikszene der Region verfolgt sein Werden seit Jahren. Mit der überragenden Qualität zweier bei Sony erschienenen Bach-CDs überraschte der in Koblenz geborene Ex-Zögling des Musikgymnasiums Montabaur und ehemalige Stipendiat der Villa Musica dann aber doch alle. Auf einen Schlag war der heute in Boppard lebende Pianist Martin Stadtfeld (24) berühmt. Am Wochenende trat der mit Elogen überhäufte, frisch gebackene "Echo"-Preisträger bei vier Konzerten vors hiesige Publikum.
 
Zwei Fragen beschäftigten uns vor dem ersten Auftritt von Martin Stadtfeld am Wochenende in Schloss Engers vor allem. Erstens: Wie ist ihm der Jubel-Chor der Großkritiker des deutschen Feuilletons bekommen? Immerhin hatte vergleichbare Aufregung in der Zunft zuletzt bei der Präsentation der jungen Anne-Sophie Mutter durch Karajan geherrscht. Das ist bald 30 Jahre her. Zweite Frage: Wie würde er sich bei Leos Janaceks Klavierzyklus "Auf verwachsenen Pfaden" schlagen, diesem sperrigen Werk klassischer Moderne?

Auf beide Fragen versprachen die drei Konzerte des SWR2-Herbstwochenendes in Schloss Engers Antwort. Das vierte Konzert war ein Abstecher Stadtfelds an seinen früheren "Wirkungsort" Montabaur, wo er ein großes heimisches Publikum mit pianosolistischer Kernliteratur wie Beethovens Appassionata oder Rachmaninovs Sonate Nr. 2 begeisterte.

In Engers hatte es der junge Mann mit für ihn bis dato weitgehend unbekannten, eigens für diese Reihe einstudierten Werken zu tun. Und: Der hochgelobte Solist musste als Gleicher unter Gleichen den Fünften im Bunde mit dem schweizerischen Amar Streichquartett spielen. So verlangte es das Programm des für den Rundfunk aufgezeichneten Wochenendes unter dem Titel "Böhmische Variationen".

Bedrich Smetanas Klaviertrio g-Moll (op 80) und Josef Suks Klavierquintett g-Moll (op 8) gaben musikalisch eine Teilantwort auf Frage eins. Martin Stadtfeld konnte und wollte sich ins Ensemble-Spiel einordnen, konnte und wollte die dienende Funktion ebenso ausfüllen wie die energie- und emphasegeladenen Interpretationen der drei Damen und des Herrn aus der Schweiz durch passende Pointierungen unterstreichen. Da hatten sich - Star hin, Star her - fünf junge Leute von hohen musikalischen Graden und ähnlicher Altersklasse in der Musik gefunden und binnen dreier Probentage eine gemeinsame Chemie entwickelt.

Dieser Martin Stadtfeld scheint eine Figur voller Widersprüche zu sein. Schlank und schlaksig steht er in schwarzem Hemd oder Rolli, plus schwarzem Sakko und ebensolcher Hose vor dem Publikum und kann sichtlich mit dem reichlich gespendeten Applaus nicht umgehen. Knapp und linkisch die Verbeugung, ein winziges verkniffenes Lächeln, Kehrtwendung, flotter Abgang. Ein vergeistigter, noch immer schüchtern auftretender Junge, der stets etwas neben dem Hier und Jetzt steht. So erinnert er an Studenten aus dem Pariser Existenzialisten-Dunstkreis von Jean-Paul Sartre anno 1960 folgende.

Nur eine Rolle, die er spielt? Der Verdacht ist nicht böse gemeint, Stadtfelds Musizieren selbst zwingt ihn auf. Als er vor einigen Jahren, ebenfalls in Engers, Bach spielte, war es noch der Fluss der Musik, die ihn im Griff hielt, ihn trieb, strömen ließ. Seine Goldberg-Variationen auf CD jetzt sprechen eine ganz andere Sprache: Da hat ein Pianist dem Geist hinter den Noten nachgespürt, ihn analysiert, kommentiert, und lässt ihn in neuer Form auftreten. Herr des Verfahrens ist nun Stadtfeld - und dessen Empfindsamkeit reicht von tief romantischer Weichheit bis zu einem aggressiven Zupacken, das an die Härte von Schwermetall-Rock gemahnte, wäre da nicht die kristallene Klarheit und Umsicht seines Klavierspiels.

Stadtfeld weiß sehr genau, was er tut, und er tut es sehr gut. Dann kommt Leos Janacek (1854-1928) - und der versierte Star wird wieder Jüngling. Er ahnt wohl, was den zerrissenen und die gewohnten Musikstrukturen zerreißenden tschechischen Komponisten umtreibt, doch die Tiefendimensionen dieses Geistes bleiben ihm hörbar fremd. Der Pianist spielt sicher, korrekt, folgt Janacek in die sich in Nichts auflösenden Motive, den Raum ertastenden Einzeltöne. Aber im Unterschied zu seinem wunderbar aufregenden Bach fehlen Stadtfeld hier noch die eigenen Gedanken. Anderes würde bei einem 24-Jährigen ohnedies an ein Wunder grenzen. Und Wunder gibt es auch in Rheinland-Pfalz nicht. Wir bescheiden uns mit dem Glück, dass ein hiesiges Talent der Gefahr, bloß Tastenakrobat zu werden, entgangen ist. Dafür erleben wir, wie ein beseelter Künstler zur Reife wächst - was ein seltenes Geschenk ist.    Andreas Pecht
 
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