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2004-12-22 Theaterkritik:
Eine Vision: Frieden mit Palästina

Theater-Tournee: "Kidnapping" beschäftigt sich mit dem Nahostkonflikt - Jugendliche spüren die Gemeinsamkeiten als erste

 
ape. Theater als bildende, aufklärende, erziehende Einrichtung - die rheinland-pfälzische Landeszentrale für politische Bildung bedient sich derzeit der antiken Griechenpraxis, um die Aufmerksamkeit für den Dauerkonflikt Nahost zu schärfen. Konkretes Werkzeug ist Dominique Caillats neues Stück "Kidnapping", das nach zwei Aufführungen am Mainzer Staatstheater auf Tour geht.
 
Sie sind Gefangene ihrer Historie, ihrer Kriege, ihrer Ängste: die Mainzer Journalistin Anna, der Palästinenser Sami und der Israeli Lev. Drei heutige Endvierziger, die einst als Jugendliche in Paris unbeschwerte Zeiten miteinander verlebten. Anna (Antonia Cecilia Holfelder) will die Bande wieder knüpfen, will die Männer als Zeitzeugen und Betroffene in eine Reportage über den Nahost-Konflikt einarbeiten. Die Wirklichkeit kommt ihr zuvor: Beide werden unschuldige Opfer eines Selbstmord-Attentates. So der etwas seltsame Anfang von "Kidnapping", das hernach 90 Minuten lang zwei Untote und eine Lebende Erinnerungen und Erlebnisse aus 40 Jahren Palästina-Elend nebst jüngerer Vor- und biblischer Frühgeschichte heraufbeschwören lässt. Die amerikanische Wahl-Andernacherin Dominique Caillat (zuletzt beim Jugendtheater Koblenz mit "Niemandsland" erfolgreich) hat ihr Stück zusammen mit dem Hamburger Michael Sturm als "deutsch-israelisch-palästinensisches Dilemma" in Kammerspiel-Manier inszeniert. Ihre drei Protagonisten mögen sich, möchten in Frieden und Freundschaft zueinander kommen. Aber ihre so unterschiedlichen, von Generationen übergreifenden Feindschaften geprägten Biografien machen die Verständigung schwer.

Lev (Jaron Löwenberg) versteht die Gründung des Staates Israel als rettende Insel für die Holocaust-Überlebenden. Sami (Ahmed Konstantin Bürger) sieht darin Besetzung und Diebstahl seiner Heimat. Beide rechnen einander das Leid ihrer Völker vor. "Unser Leid ist mit nichts zu vergleichen", bezieht sich Lev auf die Shoa, Sami hält die Kolonialisierung Palästinas und schließliche Unterdrückung durch Israel entgegen. Beide erzählen von unsäglichen Schmerzen, Entmenschlichungen, Massakern, die Israelis und Palästinenser einander angetan haben und antun. Schuldzuweisungen springen hin und her, werden bisweilen in litaneihaften Textwiederholungen ad absurdum geführt.

Beim Essenkochen findet man zueinander, spürt kulturelle, menschliche Gemeinsamkeit, erinnert Nachbarschaft, erinnert Hoffnung auf Frieden - bis wieder eine Bombe, ein Krieg, die Ermordung Rabins die Geschichte in ihren Kreislauf aus Gewalt und Rache zurücktreibt, neuerlich tiefe Schrunden schlägt auch in die Familien von Lev und Sami. Deren Blick aber hat sich im Verlauf der nacherlebten Rückschau gewandelt, richtet sich nun selbstanklagend auf das Leid, das die eigenen Leute verursachen. Der Konflikt, so sieht es jetzt das Trio, wird angeheizt von den Fanatikern der Religionen und untergräbt zugleich die je eigene Kultur. Doch zwischen Erkenntnis und Befreiung aus dem Teufelkreis liegen Welten. Auch Caillat hat kein Rezept parat: Anna sieht einen neuen Himmel und eine neue Erde, Lev und Sami wechseln verspätet, aber versöhnt ins Totenreich. Wunschbild zum Ende einer Aufführung, die tieferes Begreifen für die aus unzähligen Wunden gespeiste Unversöhnlichkeit im "heiligen Land" ermöglicht.

   Andreas Pecht
 
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