Thema Gesellschaft / Zeitgeist
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2005-01-24: Analyse
Säule der Zivilgesellschaft
 
ape. Die Jagd auf die Wehrpflicht ist seit Anfang der Woche wieder eröffnet. Der Zeitgeist tendiert in Richtung Abschaffung. Womöglich vorschnell: Denn die Wehrpflicht ist als Kind der Französischen Revolution - trotz vielfachen Missbrauches - eine Art republikanischer Grundwert geworden. Sie taugt deshalb schlecht zur Vereinnahmung für einen Parteienstreit im Links-Rechts-Muster.
 
Keine Armee der Welt musste in so kurzer Zeit einen derart radikalen Wandel ihres Selbstverständnisses vollziehen wie die Bundeswehr. Aus ganz und gar der Landesverteidigung verpflichteten Streitkräften wurde innerhalb weniger Jahre eine Armee mit globaler Einsatzdefinition. Das setzt die Diskussion um die Wehrpflicht - die seit Einzug der ersten Wehrpflichtigen am 1. April 1957 immer wieder aufbricht - mit Nachdruck auf die Tagesordnung.

Der Diskurs verläuft quer zu den Parteigrenzen. In jeder Partei gibt es Kräfte, die mit guten Gründen für die Abschaffung der Wehrpflicht eintreten. Wehrpflichtige scheinen zum neuen Auftragsspektrum der Bundeswehr und den sich daraus ergebenden neuen Formen militärischen Einsatzes nicht recht zu passen. Die neue Sicherheitslage macht die große Panzerschlacht in der norddeutschen Tiefebene ebenso unwahrscheinlich wie den Masseneinsatz motorisierter Infanterie in den Mittelgebirgen. Stattdessen stehen - so wie die Außenpolitik Deutschlands Rolle in der Welt jetzt definiert - Einsätze relativ kleiner, sowohl hoch spezialisierter wie multifunktionaler Truppenkontingente rund um den Erdball auf dem Plan. Dies sei ein Aufgabenfeld für Berufsmilitärs, nicht für Wehrpflichtige, heißt es.

Obendrein könne von "Wehrgerechtigkeit" keine Rede mehr sein. In der Tat sehen die Planungen bis 2010 die Reduzierung des Militärpersonals der Bundeswehr auf 250 000 Köpfe vor. Von 1966 bis 1991 pendelte die Stärke zwischen 450 000 und 509 000 Mann, davon waren stets 40 bis 48 Prozent Grundwehrdienstleistende. Seit 1992 sinkt die Truppenstärke kontinuierlich auf 272 000 im Jahr 2003 und der Anteil der Wehrdienstleistenden daran auf zuletzt noch 29 Prozent: 80 000 waren es 2003, gerade 18 Prozent von den rund 440 000 jungen Männern des betroffene Geburtsjahrgangs 1985. Tendenz weiter sinkend.

Wie gesagt: Es gibt gute Gründe für die Abschaffung der Wehrpflicht. Aber was verloren ginge, wiegt nicht minder schwer. Das Prinzip des "Bürgers in Uniform", in dem das Verständnis vom Wesen der republikanischen Armee gipfelt, ist verknüpft mit der Wehrpflicht. Wie ihre Alterskollegen im zivilen Ersatzdienst, so leisteten seit 1957 rund acht Millionen junge Männer als Soldaten ihren Dienst an der Gemeinschaft. 18, 15, 12 oder neun Monate oft lästiges Pflichttun - aber wenigstens ein Mal ging da Gemein- vor Eigennutz.

Historisch 1793 entstanden aus dem Beschluss des revolutionären Frankreich zur Levée en masse, der Massenaushebung, wird die Wehrpflicht mit der Preußischen Heeresreform 1814 auch in deutschen Landen eingeführt. Ihre Zweischneidigkeit ist augenfällig: Was in Frankreich als Bürgerarmee zur Verteidigung der Republik beginnt, wird in Deutschland während des 19. Jahrhunderts Instrument einer tief greifenden Militarisierung der Gesellschaft. Das Kaiserreich ist eine Welt der Uniformen, die Armee gilt als Schule der Nation.

Umso seltsamer mag im ersten Moment der Gedanke anmuten, dass in der Bundesrepublik Deutschland die Wehrpflicht als eine Säule der Zivilgesellschaft begriffen werden kann. Die ständige Fluktuation macht das Geschehen in der Armee quasi zur öffentlichen Angelegenheit, die Bundeswehr zu einem offenen System. Mit einer lebendigen Demokratie und einer angemessenen Wertschätzung bürgerlicher Zivilcourage im Kreuz haben nunmehr 38 Jahrgänge von Wehrpflichtigen sichergestellt, dass die Armee nicht wieder Schule der Nation oder gar zum Staat im Staate werden konnte.

Schilderungen von Wehrdienstleistenden daheim, Widerspruchsgeist in den Kasernen, Beschwerden bei Vorgesetzten bis hin zum Wehrbeauftragten des Bundestages - selbstbewusste Bürger in Uniform kosteten manchen Schinder die Bundeswehr-Karriere. Wer die Wehrpflicht abschaffen will, hat zu erklären, mit welchen Instrumentarien er das stehende Heer künftig als offenes System zu garantieren gedenkt.

Nimmt er seine Rolle ernst, neigt der Bürger in Uniform nicht zu Kadavergehorsam, dafür zum Hinterfragen von Sinn und Legitimität der Befehle. Verstehen, Einsehen ist auch beim Militär Voraussetzung für Motivation - weshalb die Bundeswehr dem leidigen Prinzip von Befehl und Gehorsam das Prinzip der Inneren Führung zur Seite gestellt hat. Freilich, Anspruch und Wirklichkeit klaffen häufig auseinander. Die jüngsten Folterspielchen in deutschen Kasernen werfen nicht bloß Fragen nach Qualitäten in Unteroffiziers- und Offizierkorps auf. Die Sorge gilt den einfachen Soldaten, die das mitgemacht haben: Denn solche Duldsamkeit hat mit dem Bürger in Uniform so wenig zu tun wie die notorische Berufung auf Befehlsnotstände. Dass in Berufsarmeen "Fehlentwicklungen" gravierender ausfallen können, liegt auf der Hand - siehe die Folterverbrechen amerikanischer und britischer Soldaten jüngst im Irak.
 
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