Thema Ökonomie / Ökologie
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2005-04-07: Analyse
Der Wald stirbt, und keinen kümmert"s
 
ape. Ende 2004 machte ein fast vergessenes Schreckenswort wieder Schlagzeilen: Waldsterben. Die Bundesregierung hatte ihren jährlichen Waldzustandsbericht herausgegeben, und dessen Befund lautete: Unseren Bäumen geht es so schlecht wie nie. Die öffentliche Aufregung war groß, währte aber nur kurz. Das Land hat derzeit andere Sorgen - und entgegen allen Sterbegesängen in den 1980ern lebt er schließlich noch, der Wald.
 
"Le Waldsterben", "the Waldsterben" - das Wort war einer der erfolgreichsten Kulturexporte Deutschlands im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts, wurde sogar als unübersetzbares Original in den englischen und den französischen Sprachschatz übernommen. Dort hängt ihm freilich ein inoffizieller Beiklang an, der mit gewisser Süffisanz von "typisch deutscher Schwarzmalerei" raunt. Maßlose Übertreibung, Panikmache, Hysterie mussten sich Umweltschützer und Medien auch hier zu Lande vorwerfen lassen, als sie vor gut 20 Jahren mit dem Alarmruf "Der Wald stirbt" das Gemüt der bundesdeutschen Nachfahren germanischer Waldvölker in Unruhe versetzten.

Walduntergang fiel aus

War alles nur blinder Alarm damals? Haben die EU-Nachbarn Recht, wenn sie noch heute unsere seinerzeitige Waldsterbensangst belächeln? Tut Deutschland am Ende gut daran, die jüngsten Hiobsbotschaften über den Zustand der Wälder diesmal auf die leichtere Schulter zu nehmen? Denn eindeutig, weil sichtbar, ist: Das ehedem beschworene Katastrophen- szenario großflächigen Verkommens, Verdörrens, Verfaulens der Bäume wurde keine Realität. Und wer sagt uns nun, dass der Befund des Waldschadensberichtes 2004 über nie dagewesene 72 Prozent geschädigter Bäume in Deutschland nicht auch eine hysterische Schimäre ist? Immerhin hatte Altkanzler Helmut Schmidt 1996 wieder vom "vitalen Wald" geschwärmt und die grüne Landwirtschaftsministerin Renate Künast 2002 das Waldsterben gar für beendet erklärt.

Schnelle Urteile nach Augenschein sind bei komplexen Ökosystemen problematisch. Klar scheint, die Zähigkeit des Waldes wurde in den 80ern unterschätzt, ebenso seine Kraft zur Selbstheilung bei Verminderung des Schadstoffeintrags. Der Zustand der damals vor allem geschädigten Fichten und Kiefern hatte sich zwischenzeitlich in erstaunlichem Umfang gebessert - nachdem dank Umweltpolitik schwefelhaltige Abgase aus Industrie und Kraftwerken deutlich reduziert wurden und Autokatalysatoren zur Regel geworden waren. Aber wäre solche Umweltpolitik ohne die Schock-Szenarien vom Walduntergang überhaupt durchsetzbar gewesen? Kaum.

Klar scheint allerdings auch, dass von einer wirklichen Gesundung des Waldes nie die Rede sein konnte. Zwar ist die große Sterbeglocke verstummt - die Natur hält sich nun mal nicht immer an menschliche Drehbuch-Vorstellungen von Katastrophen. Aber das Ökosystem Wald schwächelt an allen Ecken und Enden. Der Patient siecht dahin - auf die leichte Erholung des einen Körperteils (Nadelhölzer) folgt alsbald die Krisis anderer Teile: Trotzten vor 20 Jahren die Laubhölzer noch wacker dem sauren Regen, so gelten jetzt 86 Prozent der Buchen als lädiert. Zehn Prozent mehr als im Vorjahr und so viele wie niemals zuvor. Die Fichten haben obendrein einen empfindlichen Rückschlag erlitten.

Laubbäume reagieren anders als Nadelbäume, möglicherweise zeitverzögert und/oder auf andere Schadfaktoren. Die Langzeit-Anreicherung der Böden mit Schadstoffen, ihre nach wie vor nicht beseitigte Übersäuerung, die anhaltende Einschwämmung von landwirtschaftlichem Stickstoff, schließlich die Luftverunreinigung durch den sich permanent vermehrenden Auto-, insbesondere LKW-Verkehr: Den seit 1984 erzielten Entlastungen steht eine lange Liste alter und neuer Belastungen gegenüber. Zu den neuen gehören auch die Wirkungen des Klimawandels, sei er nun natürlichen Ursprungs, von Menschen verursacht oder beides. Trockenheit und Hitze der Sommer 2002 und 2003 haben gerade Buchen und Eichen schwer zu schaffen gemacht. Dass die 2004er-Bilanz nicht noch schlimmer ausfiel, ist den günstigen Witterungsbedingungen im nämlichen Frühjahr zu danken.

Es gab und gibt Kritik an dem Verfahren der Datenerhebung für den Waldzustandsbericht durch forstliche Beobachtung der Kronenlaubdichte an mehreren Hundert Beobachtungspunkten im ganzen Land. In der Tat hat das Verfahren seine Schwächen, kann Subjektivität nicht ausschließen und örtliche Besonderheiten nicht hinreichend berücksichtigen. Aber der großflächige Langzeitcharakter der Beobachtung - die Methode wird seit 1984 praktiziert - gleicht manche Schwäche aus, ist in der Tendenz doch recht aussagekräftig. Mag der tatsächliche Waldzustand den einen oder anderen Prozentpunkt von den Erhebungsdaten abweichen, so ist die kontinuierliche Abnahme nicht geschädigter Bäume doch unübersehbar: Bei der ersten Erhebung 1984 waren 60 Prozent der Wälder noch gut beisammen, 2004 fand man gerade mal 27 Prozent gesunde Bäume vor.

Am Ende die dicke Rechnung

Auch wenn wir heute wissen, dass wir mit dem Wort "Waldsterben" falsche bildliche Vorstellungen verknüpft hatten, beseitigt das nicht den Sachverhalt an sich: Sterben bezeichnet einen Prozess - so herrlich der Wald in diesen Tagen wieder ergrünen mag, er ist ein dahinsiechender Patient. Und eigentlich gibt es keinen guten Grund, sich nicht groß zu sorgen. Doch wen interessiert im Globalisierungswettlauf, bei Wirtschaftskrise und fünf Millionen Arbeitslosen schon das kranke Grünzeug? Sollte es aber! Denn dieser Patient kann - wird er nicht stabilisiert, möglichst geheilt - der Volkswirtschaft und dem Gemeinwesen eine Rechnung stellen, die sich gewaschen hat. Der Wald ist einer der wichtigsten Lieferanten für Bau- und Wohnmaterial, für Energie wie für menschliches Wohlempfinden. Er ist auch die größte Luftreinigungs- und Wassersammelmaschine, die es gibt. Geht sie kaputt, wird"s richtig teuer - für alle.
 
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