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2005-05-09: Essay
"Geben Sie Gedankenfreiheit!"
Zum 200. Todestag eines großen Dichters und Denkers, Feuerkopfes und Schwärmers
 
ape. Auf den Tag vor 200 Jahren starb in Weimar Friedrich Schiller. Er wurde nur 45 Jahre alt, lange von schwerer Krankheit belastet. Und doch erarbeitete er sich in dieser kurzen Spanne mit einem gewaltigen Lebenswerk eine herausragende Stellung in seiner an großen Geistern so reichen Zeit. Bis heute stehen er und Freund Goethe für das "Land der Dichter und Denker" - wobei Schiller im Dichten und Denken das Ringen um menschliche Reifung und Freiheit sah.
 
"Das Theater glich einem Irrenhause, rollende Augen, geballte Fäuste, stampfende Füße, heißere Aufschreie im Zuschauerraume! Fremde Menschen fielen einander schluchzend in die Arme, Frauen wankten, einer Ohnmacht nahe, zur Tür." So ging es laut Augenzeuge bei der Uraufführung des Stückes "Die Räuber" im Januar 1782 in Mannheim zu. Mit diesem denkwürdigen Debüt wird der gerade 22-jährige Friedrich Schiller schlagartig berühmt; jedoch weder reich noch am Ort seines ersten Triumphes wohl gelitten.

Der Furor der "Räuber"-Premiere rührt aus dem Herzensaufruhr, den der Autor in sein Stück gegossen hat. Schiller selbst nennt das Werk ein "Ungeheuer", das "der naturwidrige Beischlaf der Subordination und des Genius in die Welt setzte". Er bezieht sich damit auf die elenden Jugendjahre, die er auf Befehl des Herzogs Carl Eugen an der Militärakademie Hohe Karlsschule zu Stuttgart verbringen musste. Der 1759 in Marbach am Neckar geborene Sohn eines strengen und strebsamen Militärarztes studierte dort Jura und Medizin, wurde von einem eigensinnigen Professor mit den Schriften der Aufklärer bekannt gemacht und unternahm mit Studienfreunden glühenden Herzens erste, in der Akademie unerwünschte Ausflüge in die Literatur.

Prägende Unterdrückung

Es ist das totale Unterworfensein des Individuums unter die Willkür des Landesfürsten, das den lebhaften Denker, Schwärmer, Feuerkopf quält. Weit und offen sind des jungen Schillers Geist und Herz; Leben lernen, Leben trinken und Leben formen wollen sie. Eng und für die Untertanen elend ist die Wirklichkeit im damaligen Staate Württemberg. Die schmerzende Erfahrung dieses Gegensatzes prägt Friedrich Schiller fürs Leben - die Sehnsucht nach Freiheit wird sein gesamtes Œuvre ebenso durchdringen wie die Sorge, der Mensch könne zur Freiheit noch nicht reif sein.

Der Reifung gilt sein lebenslanges Bestreben, auch der eigenen. Doch der Weg der "Selbstveredelung" ist mit Prüfungen gepflastert. Schiller denkt in Extremen, empfindet extrem und lebt, nach damaligen Maßstäben, extrem. Wenn er liebt, schwärmt er; und er liebt oft, meist perspektivlos. Selbst der Verheiratung mit Charlotte von Lengefeld 1790 geht eine lange Phase voraus, während der er sich nicht zwischen "Lotte" und ihrer Schwester Caroline entscheiden kann. Schiller schreibt Liebesbriefe an beide; der Traum vom Leben zu dritt ist ihm auch nicht fremd.

In Sachen Kunst will/kann er keine Kompromisse machen. Also desertiert der Truppensanitäter, da ihm Herzog Carl Eugen das Dichten verbietet. Also überwirft er sich in Mannheim mit der aufs gefällige Geschäft zielenden Theaterleitung und mit den Schauspielern seiner Stücke. Also gilt sein Schaffen ganz und gar dem Werk, mag die Gesundheit dabei auch ruiniert werden und der Lebensunterhalt lange auf Freunde und Gönner angewiesen sein.

Ungesunde Lebensweise

Brachial sind die Kuren, die der gelernte Mediziner seinem kränkelnden Leib aufzwingt. Der Gesundheit schaden sie ebenso wie seine unvernünftige Lebensweise in der Jugend und nachher zwischen den immer häufiger und schwerer werdenden Krankheitsschüben: Der Genius süffelt gehörig, raucht und schnupft fortwährend, trinkt Kaffee in riesigen Mengen, greift bisweilen auch zu Opium oder anderen Rauschmitteln - und sein Arbeitspensum kennt kein Maß.

Nach den "Räubern" entstehen in Mannheim, Leipzig und Weimar in rascher Folge Stücke wie "Fiesco", "Kabale und Liebe", " Don Carlos" - bevölkert mit aristokratischen Rebellen wider die absolutistische Ordnung, mit Kämpfern für die Ideale des Rechts, der Liebe und der Freiheit. Doch "rein" ist keiner dieser Helden, alle tragen sie in sich das Potenzial auch zum extremen Gegenteil ihrer Ideale. Der Revolutionär Fiesco könnte sich selbst zum Tyrannen erheben. Ferdinand stellt der Liebe wegen den Ständestaat in Frage, mordet aber die Geliebte. Posa fordert vom König "Geben Sie Gedankenfreiheit!", opfert dann jedoch ihm vertrauende Mitmenschen der "edlen Sache". Der "Don Carlos" gilt als das große Revolutionsdrama Schillers. Aber zugleich thematisiert der Autor darin Jahre vor der Französischen Revolution das Dilemma aller Revolutionen: Die revolutionäre Moral, die den Einzelnen und seine Freiheit im Interesse der Gesamtheit opfert. Die Zweischneidigkeit der Schillerschen Helden setzt sich fort über "Wallenstein", "Maria Stuart", "Die Jungfrau von Orleans" bis zum letzten, 1804 in Weimar uraufgeführten Stück "Wilhelm Tell".

Das in der Moderne oft beklagte Schillersche Pathos ist ein Wesenszug dieses Mannes auch im realen Leben. Seine Begeisterungsfähigkeit ist schier grenzenlos, seine Leidensfähigkeit nicht minder. Trockene Gelehrsamkeit stößt ihn ab; Gleichmut ärgert ihn, der bis in die letzten qualvollen Lebenstage seine Sendung der seelischen Veredelung des Menschen durch die Kunst energisch verfolgt. Selbst die - nicht einfach erworbene, dann umso tiefere - Freundschaft mit Goethe hindert ihn nicht, über dessen Hang "zur bloßen Beschaulichkeit" zu zürnen.

Erfolgreiches Multi-Genie

Schiller stürzt sich in Zeitungsprojekte, philosophische und historische Studien, umfängliche Briefwechsel. Der Mann, dem es nie an Selbstbewusstsein mangelt, baut zielstrebig am eigenen Ruhm, erweist sich später auch als durchaus geschäftstüchtig. Das breite Publikum der Gegenwart kennt ihn vor allem als Stückeschreiber und Dichter. Doch schon zu Lebzeiten gilt er nicht nur als führender Dramatiker, sondern auch als einer der meistgelesenen Geschichtsschreiber und als maßgeblicher Kunstphilosoph.

Die letzte Phase von Schillers Leben sehen Zeitgenossen wie Nachwelt unter dem Signum des Freundschaftsbundes zwischen ihm und Goethe (1794 bis 1805). Das Bild von den zwei Giganten, von den Olympiern der "Weimarer Klassik", entsteht. Es wird einsam um die beiden "lebenden Legenden", denn sie erheben nun ihr Verständnis von Klassik zur allgemeinen Normforderung, machen ihr eigenes Schaffen zum Maßstab der Kunst.
Die gute Absicht der "Veredelung" schlägt um in Absolutheitsanspruch: Mit den "Xenien" im "Musenalmanach 1797" erklärt der Klassiker Schiller, feuerköpfig wie ehedem der junge Stürmer und Dränger Schiller, dem unverständigen Publikum und dem "Dilettantentum" der Kollegen den "Krieg". Der Autor bewies schlussendlich in eigener Person, wie richtig er mit der Ambivalenz seiner Dramenhelden lag.
 
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