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2005-05-24:
Als der Krieg nach Hause kam
Vom Hitler-Jubel zur Gründung von Rheinland-Pfalz in Koblenz -  "Vor 60 Jahren" im Mittelrhein-Museum
 
ape. Koblenz. Erschütternde Zeitzeugnisse, gebannt auf Papier und Zelluloid: Zahlreiche noch nie ausgestellte Bild- und Textdokumente sind in der Ausstellung "Vor 60 Jahren" im Mittelrhein-Museum zu sehen.
 
"Das sind die Städte, wo wir unser Heil!/ Den Weltzerstörern einst entgegenröhrten./ Und unsre Städte sind auch nur ein Teil/ Von all den Städten, welche wir zerstörten."

Diesen Vierzeiler fügte Bertolt Brecht in seiner "Kriegsfibel" einem Foto vom zerbombten Bitburg hinzu. Foto und Text bannen im Mittelrhein-Museum Koblenz den ersten Blick auf die Ausstellung "Vor 60 Jahren. Krieg und Frieden an Rhein und Mosel 1943-1946".

Ein Blick, der sogleich im Wortsinn auf den Hintergrund all des folgenden Elends gelenkt wird: Durch die halbtransparente Reproduktion der Bitburger Trümmerlandschaft werden Bilder von jubelnden Massen unterm Hakenkreuz im Gau Koblenz-Trier sichtbar.

Anders geht es gar nicht: Eine Ausstellung über die letzten Kriegs- und ersten Nachkriegsmonate kann auch in regionalem Umfeld die Anfänge nicht ausblenden; kann nicht darüber hinwegsehen, dass alles Weltkriegs-Leid in Deutschland und im "Heil Hitler"-Jubel der Deutschen Ausgang und Ursache hatte.

Über diese konzeptionelle Grundannahme war sich die Kooperation der Ausstellungsmacher von Landeshauptarchiv, Stadtarchiv Koblenz und Museum rasch einig. Zumal an einer für die Nation so symbolträchtigen Stelle wie Koblenz durfte der historische Zusammenhang von Ursache und Wirkung nicht verschwinden hinter dem schmerzhaften Erinnern an Bombennächte zwischen Rhein und Mosel, an Elendstage in den Trümmern auch von Mayen, Neuwied, Linz, Remagen und anderen Orten.

Unnachgiebig ehrlich

So ist die Ausstellung "Vor 60 Jahren" nicht nur eine kluge, interessante, an authentischem Material reiche, sondern auch eine unnachgiebig ehrliche Aufbereitung des Themas. NS-Jugendaufmarsch 1933, Hitlers umjubelter Besuch 1934 am Deutschen Eck, das mystisch verbrämte Massenspektakel zur Einweihung der Thing-Stätte vor dem Koblenzer Schloss im gleichen Jahr, martialisches Totengedenken im Zeichen des Hakenkreuzes am Kaiserdenkmal 1935, bejubelter illegaler Einzug der Wehrmacht ins entmilitarisierte Rheinland 1936.

Dann ein unscheinbarer Kleiderbügel, eben erst von einem Bürger beim Museum abgegeben. Darauf steht: "Konfektionshaus Stern, Koblenz Firmungsstraße" - letztes Zeugnis einer jüdischen Kaufmannsfamilie, deren Spuren sich irgendwann zwischen 1933 und 1944 "verloren" haben.

Krieg, von Deutschen in alle Welt getragen: Die Uniform von Wüstenfuchs Rommel steht dafür, ebenso Teile einer V1-Rakete, gefunden in der Eifel. Von dort und vom Westerwald aus unter anderem wurden die "Wunderwaffen" gen England gestartet. Jedes der Exponate, jedes der markant ausgewählten Fotos und Textdokumente hat eine eigene Geschichte zu erzählen: Reste von Stabbrand- und Sprengbomben berichten im Verbund mit Luftschutzapotheke und Gasmaske in einer Bunkerinstallation von den Schrecknissen des "heimkehrenden" Krieges.

Die Koblenzer Altstadt in Trümmern, Mayen in Flammen, die Amerikaner nehmen die Brücke von Remagen, Neuwied kapituliert - derweil verzeichnet das Originaltagebuch des NS-Sicherheitsdienstes weiter Todesurteile und deren Vollstreckung.

Spektakuläre Aufnahmen

Die Ausstellung zeigt noch nie gesehene Filmaufnahmen vom Einmarsch der Amerikaner in Koblenz, nie gesehene Fotos von endlosen Kriegsgefangenen-Lagern auf den Rheinwiesen bei Sinzig. Vom Leiden dort erzählen auch Bleistiftskizzen des Gefangenen Eugen Keller aus Höhr-Grenzhausen.

Und auf den Krieg folgt der große Hunger: Leihgaben des Bonner Hauses der Geschichte dokumentieren, wie Elend und Erfindungsreichtum Hand in Hand gehen. Kardinal Frings legitimiert den Kohlen-Klau, Zigarettenwährung, Trümmerbeseitigung.

Nicht verschwiegen wird das düstere Kapitel missglückter Entnazifizierung: Der Fall Heuser wird in Text- und Videodokumenten aufbereitet. Trotz schwerster Verbrechen während des Krieges im Osten, gelangte er nachher bei der Koblenzer Kripo wieder in Amt und Würden. Erst in den 60ern machte man ihm den Prozess.

Die Chronologie dieser Ausstellung - die immer wieder auch auf die Bildende Kunst zurückgreift, sei es in Form ihres Missbrauchs durch die NS-Propaganda, sei es als Ausdruck von Angst und Schmerz - endet mit den Geburtsstunden des Landes Rheinland-Pfalz am Zusammenfluss von Rhein und Mosel. Die erste Landesversammlung tagte 1946 im Stadttheater Koblenz, der erste Landtag 1947 im örtlichen Rathaussaal.

Fotos und einige Originalmöbel lassen die Momente des Entstehens der Demokratie lebendig werden: Hinter dem Präsidiumstisch hängt das Gemälde des gütig lächelnden trierischen Kurfürsten Clemens Wenzeslaus. Der musste in Ermangelung neuer republikanischer Symbole provisorisch den Platz des eben abgehängten Führers einnehmen.
 
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