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2005-05-30:
Gesucht: Eine schmucke Theorie
"Formdiskurs" führte europäische Schmuckkünstler nach Idar-Oberstein - Drei Ausstellungen zu Geschichte und Gegenwart
 
ape. Idar-Oberstein. Drei Ausstellungen über moderne Schmuckkunst. Ein internationales Symposium, das erste Schritte zu einer bislang nicht existierenden Theorie des Schmucks macht. Das alles zeitgleich in Idar-Oberstein. Indem die rheinland-pfälzische Stadt die Szene einlud, sich im Rahmen des "Formdiskurses 2005" auch mit noch nie gestellten Fragen zu befassen, knüpfte sie auf neue Weise an ihre einstige Rolle als Nahtstelle des Schmuck- und Edelsteingeschehens in Europa an.
 
Theorien über Theater und andere Künste füllen Bibliotheken. Nachdenken über soziale, psychologische, moralische, historische, politische Funktionen der Bühnenkunst etwa ist seit der Antike honorige Geistesdisziplin. Selbst die Bekleidungsmode erfuhr in den vergangenen 100 Jahren theoretische Reflexion.

In Sachen Schmuck führt indes die Suche nach geistiger Durchdringung vornehmlich ins Reich von Materialkunde und Verarbeitungstechniken, von Stil und Gestaltung. Der Blick ruht auf dem Objekt, die Antwort auf die Frage nach dessen gesellschaftlicher und individueller Relevanz erschöpft sich landläufig im "Schmuck ist, was schmückt." So richtig diese Aussage, so leer ist sie auch, stellte Symposiumsausrichter Willi Lindemann fest. Das Unbefriedigende daran war es wohl, das rund 80 lernende, lehrende und praktizierende Schmuck-Designer und -Künstler zum Thema Notwendigkeit oder nicht einer Theorie des Schmucks zum Symposium in die Idar-Obersteiner Fachhochschule für Edelstein- und Schmuckdesign lockte.

Die internationalen Diskutanten konnten sich anbei über hiesiges und europäisches Schmuckschaffen der Gegenwart informieren. Das Edelsteinmuseum zeigt Schmuck von bereits anerkannten Jungkünstlern aus Idar-Oberstein. In der Fachhochschule sind neue Studentenarbeiten zu sehen. Und in der Villa Bengel gibt es eine Retrospektive zum Schaffen der Teilnehmer an den Internationalen Schmucksymposien in Turnov. Diese Veranstaltung nahe Prag gehört zu den wichtigsten Treffen der europäischen Schmuckkunst-Szene, ihre jetzige Verlegung nach Idar-Oberstein wertet den "Formdiskurs" beträchtlich auf.

Die Exponate könnten unterschiedlicher kaum sein. Geometrische Klarheit, fein geglättete Oberflächen, kühle Raffinesse strahlen die Edelstein-Arbeiten der arrivierten Jungen aus. Demgegenüber zeigen in der Turnov-Sammlung viele in Metall gearbeitete Stücke Mut auch zu rohen Oberflächen oder zu ausgreifender Ornamentik von barock bis orientalisch. In scharfem Kontrast zu beidem treiben die Werkstattexponate der FH-Studenten ein wolkiges Entdeckungsspiel mit allerlei Materialien bis hin zu Stoff, Papier und Watte. Gemeinsam ist den Schmuckstücken der drei Präsentationen, dass ihnen keine sichtbare Funktion anhaftet, außer der, schmücken zu wollen. Das Symposium sieht solche Reduzierung des Schmucks aufs Dekorative als spezifische Entwicklung der europäischen Neuzeit.

Die Vorträge verzeichnen für frühere Epochen und heutige außereuropäische Kulturen auch ganz andere "Aufladungen" vom Schmuck. Forschungen der Ethnologin Martina Dempf etwa identifizieren in Schmuck und Kleidung afrikanischer Völker Ausdruck von Clan-Zugehörigkeit, Familienstand, Alter und anderen sozialen Kategorien. Schmuck als Ehrenzeichen oder Ausweis privilegierter Stellung kennt auch das frühere Europa, ebenso seine Funktion als rituelles Signum (Bischofsring).

Geblieben ist davon nach Industrialisierung, Emanzipierung der bürgerlichen Klasse und Individualisierung durch Aufklärung und Romantik hier wenig. Und doch wirkt ein Mechanismus fort, den die französische Philosophin Elisabeth G. Sledziewski anhand von Goethes "Faust" verdeutlichte. Als Jungfer Gretchen den ihr von Faust zugeschobenen Teufelsschmuck anlegt und sich im Spiegel betrachtet, wird sie erstmals ihre fraulichen Dimensionen gewahr.

Schmuck als Katalysator der Selbstfindung und der individuellen Selbstdefinition und Selbstdarstellung - in diese Richtung hatte sich nach zwei Tagen das interdisziplinäre Schmuck-Denken des "Formdiskurses 2005" entwickelt. Erstes Material für eine noch zu schreibende Theorie des Schmucks ist gesichtet. Die Teilnehmer nehmen Denkanregungen mit hinaus in die Schmuckkunstwelt - Rückkopplungen werden bei der Fortsetzung im nächsten Jahr zu verarbeiten sein.
 
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