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2005-06-02: Schmuckkultur
Aufbruch zu einer
Theorie des Schmucks


Symposium "Schmuck-Denken 1" in Idar-Oberstein verbunden mit 20. Internationalem Schmucksymposium Turnov
 
ape. Idar-Oberstein. Drei Ausstellungen über Schmuckkunst der Gegenwart. Darunter eine Retrospektive mit Arbeiten aus 20 Jahrgängen des renommierten Internationalen Schmucksymposiums im tschechischen Turnov. Dazu ein europäisch besetztes zweitägiges Kolloquium namens "Schmuck-Denken", das erste Schritte auf dem Weg zu einer - bislang allenfalls in  Fragmenten existierenden -  Theorie des Schmucks unternahm. Das alles fand Ende Mai zeitgleich in Idar-Oberstein statt. Indem die rheinland-pfälzische Stadt die Szene einlud, sich im Rahmen des „Formdiskurses 2005“ auch mit selten oder noch nie gestellten Fragen zu befassen, knüpfte sie auf neue Weise an ihre einst große Bedeutung als einer der wichtigen Kulminationspunkte des Schmuck- und Edelsteingeschehens in Europa an.
 
Theorien über Theater, Literatur, Malerei, Musik und andere Künste füllen Bibliotheken. Forschen und Nachdenken über soziale, psychologische, moralische, historische, politische, philosophische Aspekte und Funktionen etwa der Bühnenkunst gelten seit der Antike als honorige Disziplin. Selbst die Bekleidungsmode erfuhr in den letzten 100 Jahren schon manch theoretische Reflexion, wie die niederländische Kunsthistorikerin Marjan Unger beim zweitägigen Kolloquium „Schmuck – Denken“ des  Idar-Obersteiner Formdiskurses 2005 verdeutlichte.

Obwohl Schmuck im engeren und das Schmücken im weiteren Sinn die wohl älteste menschliche Kulturtechnik darstellt,  führt die Suche nach geistigen Durchdringungen des Phänomens Schmuck vornehmlich ins Reich von Materialkunde und Verarbeitungstechniken, von Stil und Gestaltung. Der Blick gerade der Praktiker, der Kreateure und Hersteller von Schmuck, konzentriert sich auf das Objekt. Die Antwort auf die Frage nach dessen gesellschaftlicher und individueller Relevanz erschöpft sich landläufig im „Schmuck ist, was schmückt.“ So richtig diese Aussage, so leer ist sie auch und damit wenig aussagekräftig im Hinblick auf die „Bedeutung“ von Schmuck, stellte Kolloquiumsausrichter Willi Lindemann fest. Bis heute gibt es keine systematische Theorie des Schmucks, lautete seine Ausgangsthese für den „Formdiskurs 2005“, wie das Gesamtpaket der Veranstaltungen in Idar-Oberstein genannt wird. Das Unbefriedigende dieser Situation war es wohl, das rund 80 lernende, lehrende und praktizierende Schmuck-Designer und -Künstler zum Thema Notwendigkeit oder nicht einer Theorie des Schmucks in die Idar-Obersteiner Fachhochschule für Edelstein- und Schmuckdesign lockte.

Die Diskutanten aus Frankreich, England, Holland, Tschechien und vielen Teilen Deutschlands konnten sich anbei auch über örtliches und europäisches Schmuckschaffen der Gegenwart  orientieren. Das Deutsche Edelsteinmuseum zeigt unter dem Titel „Von wegen Stein – Tendenzen 2005“ Schmuck von bereits arrivierten, vorwiegend aus dem Umfeld von Altmeister Bernd Munsteiner kommenden Jungkünstlern aus Idar-Oberstein. In der Fachhochschule sind neue Studentenarbeiten zu sehen. Und in der Villa Bengel gibt es eine Retrospektive zum Schaffen der Teilnehmer an den Internationalen Schmucksymposien in Turnov.  Diese Veranstaltung nahe Prag gehört seit vielen Jahren zu den wichtigsten Treffen der europäischen Schmuckkunst-Szene. Der 20. Jahrgang wurde jetzt nach Idar-Oberstein verlegt, wertete den dortigen „Formdiskurs“ beträchtlich auf.

Die Exponate der drei Präsentationen könnten unterschiedlicher kaum sein. Geometrische Klarheit, fein geglättete Oberflächen, kühle Raffinesse strahlen die Edelstein-Arbeiten aus dem Munsteiner-Kreis aus. Demgegenüber zeigen in der Turnov-Sammlung viele in Metall gearbeitete Stücke Mut auch zu rohen Oberflächen oder zu ausgreifender Ornamentik von barock bis orientalisch. In scharfem Kontrast zu beidem stehen die Werkstattexponate der FH-Studenten, die ein wolkiges Entdeckungsspiel mit allerlei Materialien bis hin zu Stoff, Papier und Watte betreiben.

Gemeinsam ist diesen Schmuckstücken, dass ihnen keine sichtbare Funktion anhaftet, außer der, schön aussehen und ihren Träger schmücken zu wollen. Das Kollquium sah solche  Reduzierung des Schmucks aufs Dekorative als spezifische Entwicklung der europäischen Neuzeit im Wesentlichen seit dem 19. Jahrhundert. Mehrere Referenten verzeichneten für davor liegende Epochen sowie heutige außereuropäische Kulturen auch ganz andere „Aufladungen“ vom Schmuck. Forschungen der Ethnologin Martina Dempf  etwa identifizieren in Schmuck und Kleidung der Völker am Horn von Afrika Ausdruck von Clan-Zugehörigkeit, Familienstand, Alter und anderen sozialen Kategorien. Die unterschiedliche Wirtschaftsweise von Hirten, Bauern oder Schmugglern findet im Schmuck ebenso ihren spezifischen Ausdruck wie die Kulturationseinflüsse durch christliche oder muslimische Missionierung sowie die westliche Warenexpansion.

Schmuck ist derart als Element gesellschaftlicher Konvention und Kommunikation zu verstehen. Auf die Bedeutungslastigkeit des Schmucks auch in der europäischen Kulturgeschichte machte der Künstler und Theoretiker Tim Otto Roth u.a. aufmerksam mit Hinweisen auf den sozialen Verweis- und Ordnungscharakter von geschmückten Uniformen und  Trachten, von Orden, Standesabzeichen, Siegel- oder Eheringen. Mit den technisch-industriellen Umwälzungen des späten 18. und des 19. Jahrhunderts wird die Funktion gehobener Schmucksegmente als Herrschaftsstatus ausweisende Symbole von zwei Seiten her in die Zange genommen: Zum Einen kann sich jetzt auch das neureiche Bürgertum teuerste Preziosen leisten; zum Anderen ermöglichen Fortschritte etwa in Materialkunde und Verarbeitung die Herstellung äußerlich bestechender Schmuck- Imitationen  als schiere Massenware.

Nach Industrialisierung, Emanzipierung der bürgerlichen Klasse sowie Individualisierung durch Aufklärung und Romantik sieht sich der Schmuck in Europa seiner gesellschaftlich verbindlichen Relevanz im Großen und Ganzen beraubt. Selbst die einst so machtvollen religiösen Ritualinsignien vom Altarschmuck bis zum Bischofsring verlieren nach Kant und Nietzsche ihre mystische Aufladung. Schmuck wird zum bloß noch Schmückenden, wird zum Dekor, zum hübschen Accessoire. Womit, so Lindemann in Idar-Oberstein, freie Bahn für Art Déco und massenhaften Modeschmuck jedweder Couleur geschaffen war.

Zugleich verstärkt sich Zug um Zug ein Mechanismus, den die französische Philosophin Elisabeth G. Sledziewski in ihrem Idar-Obersteiner Vortrag anhand von Goethes „Faust“ verdeutlichte. Als Jungfer Gretchen den ihr von Faust zugeschobenen Teufelsschmuck anlegt und sich im Spiegel betrachtet, wird sie schlagartig erstmals ihre fraulichen Dimensionen gewahr. Die Margareten-Arie in Gounods „Faust“-Oper bringt die katalytische Funktion „des Geschmeides“ für die Metamorphose des unschuldigen Mädchens zur begehrenswerten und sogleich begehrenden Frau auch musikalisch auf den Punkt.

 Seines Gewichts als gesellschaftliches Ordnungssymbol beraubt, erfährt Schmuck zusehends  psychologische Aufladungen, die an Individuen geknüpft sind. Schmuck-Geschenke als emotionales Versprechen, als materiale Zärtlichkeit oder auch nur wohlfeil verpackte Lüge. Schmuck als Liebesausdruck, aber auch als Liebesforderung. Gezielt gewählter Schmuck als Instrument der Selbstfindung, Selbstdefinition und der mehr oder minder absichtsvollen  Selbstdarstellung gegenüber anderen. Kann Schmuck da noch als bloßes Dekor oder muss er nicht schon als „personales Objekt“ betrachtet werden?

Vor diesem Hintergrund wird auch die wachsende Bedeutung des kunstvollen Unikat-Schmucks seit dem letzten Drittel des 20. Jahrhunderts verständlich. Wie jeder Schmuck dient auch das Unikat seinem Träger einerseits also Dekor. Andererseits fügt es ihm ein Element von Einmaligkeit hinzu,  gewissermaßen eine solitäre Unterstreichung seiner Individualität. Weshalb der Träger sein Schmuckstück umso sorgsamer auswählen muss. Was nun beispielsweise wieder eine ganze Reihe von Fragen über die Triaden-Beziehung Träger – Schmuckkünstler – Schmuck aufwirft. 

In diese Richtung hatte sich am Ende das interdisziplinäre „Schmuck – Denken“ des „Formdiskurses 2005“ entwickelt. Erstes Material für eine noch zu schreibende Theorie des Schmucks war gesichtet, dabei auch die Notwendigkeit und der Reiz von Zuhilfenahmen  wissenschaftlicher Disziplinen wie Psychologie, Soziologie, Ethnologie, Anthropologie etc. erkannt. Von der Nahe nahmen die Kolloquiums-Teilnehmer Denkanregungen mit hinaus in die Schmuckkunstwelt – Rückkopplungen werden bei der Fortsetzung im nächsten Jahr zu verarbeiten sein. Andreas Pecht
 
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