Thema Gesellschaft / Zeitgeist
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2005-06-18: Essay
Wer 50plus ist, kann nicht 30minus sein
Ein Plädoyer gegen unsinnige Krämpfe, das Älterwerden zu vertuschen
 
ape. 50plus. Heißt das Eintritt ins Alter, Anfang vom Ende, Auslaufmodell? Oder heißt es Aufbruch zu neuen Ufern, Fortschreiten zur Reife, Erntezeit? So oder so markiert die runde Zahl an Lebensjahren im kollektiven Bewusstsein der Gegenwart eine Umbruchlinie. Gedanken über Sinn und Unsinn dieser Sicht.
 
"Man ist so jung wie man sich fühlt", sagt das Sprichwort. Manchem Zeitgenossen springt am 50. Geburtstag allerdings Panik ins Auge. Denn das Haar ist deutlich grau, diverse Körperpartien quellen aus der Knackform, Falten graben sich ins Gesicht, das eine oder andere Mal ist auch schon am frühen Nachmittag der Dampf raus. Überhaupt plagen zusehends Zipperlein, über die vor kurzem noch gut witzeln war. Am Leib nagt der Zahn der Zeit, weshalb das mit dem Jungfühlen bisweilen eine ziemlich mühselige Angelegenheit sein kann.

"50 ist doch kein Alter!" Den launigen Trösterchen steht heute ein selten offen ausgesprochenes, doch aus allen Ritzen wisperndes Urteil gegenüber: Mit 50 trete der Mensch ins Alter ein, betrete er gewissermaßen den Vorhof zum Rentnerdasein. Anders formuliert: Mit 50 sei das Wichtigste und Spannendste rum, das Leben quasi gelaufen. Vorbei die Zeit des Lernens und Aufbauens, der Wagnisse und Karrieren, der Liebeleien und Lüstlichkeiten. "50plus" - die Generation der Auslaufmodelle, beruflich und sonst auch?

Leben ist ein Glücksspiel

Was hat es auf sich mit dieser schier magischen Bruchlinie 50? Wenig, wirft man einen Blick auf die durchschnittliche Lebenserwartung hier zu Lande. Laut Statistischem Bundesamt liegt sie für Männer heute bei 75, für Frauen bei 81 Jahren. Wer die ersten 60 überstanden hat, kann mit 20 (Männer) beziehungsweise 24 (Frauen) weiteren Jahren rechnen. Im Durchschnitt und bei heutigem Stand der Medizin. Ein Modell der Uni Köln bezieht Fortschritte der Wissenschaft ein und kommt zu noch weiter reichenden Ergebnissen: Heute geborene Mädchen werden durchschnittlich 86,5, Jungs 80 Jahre alt. 25 Prozent der Mädchen dürften sogar 94 Jahre alt werden.

Selbstredend: Statistische Durchschnitte sagen nichts über individuelle Schicksale. Keiner kann sicher sein, dass er das Durchschnittsalter erreicht oder überschreitet. Gesunde Lebensweise mag helfen, eine Garantie, dass da-raus für den Einzelnen hohes Alter erwächst, will allerdings niemand geben. Auch dem auf Vollwert-Food gesetzten, allzeit sportiven, nicht rauchenden Vital-Proppen kann vorfristig ein Dachziegel auf den Kopf fallen oder eine genetische Anlage aus dem Ruder laufen. Das Leben war, ist und bleibt im Einzelfall halt doch ein recht riskantes Glücksspiel.

Es lässt sich nicht leugnen: 50-Jährige haben mit großer Wahrscheinlichkeit mindestens die Hälfte ihrer natürlichen Lebensspanne hinter sich. Das kann erschrecken, muss es aber nicht. Denn zugleich steht den 50plus-Anfängern im Durchschnitt noch eine Menge Leben bevor: immerhin eine runde Generation. Mehr noch: Werden die ersten 20 Lebensjahre als Kindheit und Jugend abgehakt, so markiert der 50. Geburtstag, statistisch betrachtet, gerade die Halbzeit im Erwachsenendasein. Flasche halb leer oder halb voll? Die Unterscheidung zwischen Pessimisten und Optimisten gilt auch für die Position auf der Zeitachse des Lebens.

Die Führungsriege in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft scheint damit ohnehin kein Problem zu haben: 50- bis 65-Jährige besetzen die Mehrzahl der Chefsessel und Leitstellen; sie fühlen sich auf der Höhe ihrer Schaffenskraft, mag der Körpermotor gelegentlich auch stottern. Das Urteil vom Auslaufmodell, zu dem man mit 50 werde, scheint nur für Otto Normalbürger zu gelten. Womit wir wieder bei der Panik wären, die manchen beim Sprichwort vom Jungfühlen befällt. Denn eigentlich sind es noch 15 Jahre bis zur Rente, können es 30, 40 oder mehr bis zum Ableben sein. Und eigentlich fühlt man sich noch nicht zum Alteisen gehörig - Grauhaar, Bäuchlein, Zipperlein sowie Nichtbeachtung durch junge Damen und Herrn hin oder her. Es ist die Krux einer jugendwahnsinnigen Gesellschaft, dass sie dem Älteren das Jungfühlen schwer macht, weil sie Jungfühlen mit Jugendlichkeit gleichsetzt.

Krampfhafte Eroberungen

Das führt zu der absurden Erscheinung, dass Ältere oft meinen, sie müssten aussehen, sich aufführen und das gleiche vollbringen wie die jungen Leute, die ihre Kinder sein könnten. Dass 60- und 25-Jährige anbandeln, sich gar verlieben, soll vorkommen. Solange es beiderseits mit Freuden geschieht: nur zu. Wenn allerdings Senioren es krampfhaft auf Generationen übergreifende Eroberungen anlegen, sie mittels Staffage, Benimm und Chirurgie auf Jungspund machen, dann wird"s lachhaft. Eben Schmerbauch-Opa, nachher Latinlover (mit Korsage) im Jagdfieber auf der U30-Party; au weia. Tagsüber die Altersfalten mit Mühe verbergende Seniorchefin, abends Techno-Queen in bauchfreiem Top und Hotpants; au weh.

Wer 50plus ist, kann nicht 30minus sein - im Kopf nicht und körperlich auch nicht. Die Natur und die Lebensjahre machen Unterschiede, die zu leugnen Dummheit wäre. 50 Jahre alt zu sein, ist so wenig ein Verdienst, wie 20 Jahre jung zu sein - dieser Mensch ist nicht besser oder wertvoller als jener, aber er ist anders. Junge Menschen sind schön, zweifellos. Alte sind es auch, freilich auf eine ganz andere Weise; eine, die wahrzunehmen die Moderne fast verlernt hat. Junge sind leistungsfähig. Ältere und Alte ebenso, aber auf ganz andere Art; eine, von der Wirtschaft und Gesellschaft unserer Tage fast nichts mehr wissen - außer im Hinblick auf Führungskräfte.

"Man ist so jung (oder alt) wie man sich fühlt." Der Spruch stimmt nur, wenn auch die Spuren, die das Leben auf Leib und Seele hinterlässt, angenommen werden. Solange unserer Wahrnehmung die Welt freilich am Angelpunkt der Jugendlichkeit aufgehängt sieht, bleibt Jungen wie Alten die Hälfte des Himmels verschlossen: das bewusste Leben mit den spezifischen Reizen und Stärken des Reifens.
 
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