Thema Politik
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2005-09-13:
Parteien inszenieren sich selbst als Markenartikel
Wissenschaftler untersuchten die Sprache im Wahlkampf
- Wirtschaft ist zentrales Thema, "Vertrauen" das häufigste Wort
 
ape. Koblenz. Selten mischt sich die akademische Welt derart tagesaktuell in politische Themen ein. In der "Arbeitsgemeinschaft Sprache in der Politik" vertretene Politik-, Sprach- und Kommunikationswissenschaftler aus ganz Deutschland nahmen während der vergangenen Wochen unter der Überschrift "Sprache im Wahlkampf 2005" das Auftreten von Parteien und Politikern in Wahlprogrammen, Reden, TV-Spots und auf Plakaten unter die Lupe. An der Universität Koblenz diskutierten sie jetzt zwei Tage lang ihre Arbeitsergebnisse - die in den meisten Fällen für die Parteien wenig schmeichelhaft sind. Einige zentrale Punkte seien vorgestellt.
 
Taugt die Sonntagsfrage?

In einer Art Vorfeld-Analyse interessierte sich der einzige aktive Politiker des Wissenschaftlerkreises, der rheinland-pfälzische Staatssekretär Joachim Hofmann-Göttig, für das Problem: Was taugt die demoskopische "Sonntagsfrage"? Wie nahe liegen Umfragewerte am tatsächlichen Wahlergebnis? Weil es bislang keine systematische Untersuchung gibt, stellte der Koblenzer Honorarprofessor sie selbst an. Wichtigstes Ergebnis der Auswertung von 47 Umfragen bei den 19 jüngsten Wahlen auf Länder-, Bundes- und Europaebene: Die Demoskopie ist treffsicherer, als Skeptiker vermuten.

Zwei Drittel der längstens zehn Tage vor Wahlen vorgenommenen Umfragen erzielen danach Ergebnisse innerhalb demoskopischer Fehlertoleranzen. Der Pferdefuß: Die Abweichungen dürfen bei großen Parteien drei Prozent, bei kleinen eineinhalb Prozent betragen. Das ist wenig, kann in der Realität aber wahlentscheidend sein. Obendrein lagen 30 Prozent der Umfragen teils völlig daneben. Der im momentanen Bundestagswahlkampf inflationäre Gebrauch der "Sonntagsfrage" kann demnach zwar nicht als Kaffeesatzleserei abgetan werden, sichere Ergebnisse liefert indes weiterhin nur die Wahl selbst.

Inflationär gebraucht wird in diesem Wahlkampf das Wort "Vertrauen". Und zwar parteienübergreifend, wie etwa der Landauer Professor Ulrich Sarcinelli beobachtete. Mehr noch: Die Parteien versuchten Vertrauen geradezu zu inszenieren, indem sie sich selbst wie lange eingeführte Markenartikel bewerben und ihre Leitköpfe als Personifizierungen von Verlässlichkeit und Glaubwürdigkeit darstellen. Nach der Adenauerschen Devise "je einfacher denken is eine jute Gabe Gottes" (sic!) bieten die Parteien den Wählern eine simple Alternative zum anstrengenden Orientierungskampf im dichten Dschungel der Sachinformationen: Vertrauen, blindes sozusagen. "Ich bitte um neues Vertrauen" appelliert der Kanzler, "dafür bitte ich um Ihr Vertrauen" die Herausforderin. Selbst die Linkspartei meint, "linke Politik verdient Vertrauen". Doch gerade für diesen Wahlkampf ist "Vertrauen" im Auge der Linguisten ein zweischneidiges Schwert - seit Abgeordnete, die dem Kanzler vertrauten, ihm das Misstrauen aussprachen. Ähnliche Sinnumwandlungen oder -entleerungen erfahren im politischen Geschäft auch andere Begriffe. Uni-Präsident Josef Klein verwies auf die missbräuchliche Verwendung der Grundwerte Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität als Kampfbegriffe wider den politischen Gegner.

Vor allem CDU und SPD beziehen sie kaum mehr auf Demokratie und Staat, sondern erstmals gänzlich auf Wirtschaft: auf die Soziale Marktwirtschaft, deren Verteidigung und Weiterentwicklung auf allen Fahnen steht. Dass die verschiedenen Parteien unter den gleichen Begriffen ganz Unterschiedliches verstehen, geht im Getümmel fast unter. Zwar werden diese Wertebegriffe, die im Volk höchstes Ansehen genießen, allseits munter verwendet; sie haben aber keinen fassbaren, gemeinverständlichen Inhalt mehr.

So kommt es, dass die zent-ralen Begriffe konträrer politischer Lager - "Wechsel" versus "Bewahren" - mit gleichlautenden Zielprofilen gefüllt werden können. Merkel fordert den Wechsel, damit Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität "in Deutschland eine Chance haben", Schröder will wieder gewählt werden, damit Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität im Interesse künftiger Entwicklung bewahrt werden. Die Grünen wollen das auch, setzen noch ökologische Nachhaltigkeit dazu. Die Linkspartei will das sowieso, aber "wirklich". Die FDP will es ebenfalls, freilich auf dem Weg marktadäquater Erneuerung. Die Konsequenzen für die Sprache sind klar: Etlichen republikanischen Schlüsselbegriffen ist nicht länger zu trauen.

Die Menschen mögen nicht (mehr), wenn Deutschland schlecht geredet wird, aber ebenso wenig, wenn es schön geredet wird. So lautet das Ergebnis mehrerer Untersuchungen über die Wirkung von Wahlkampf. Und was sie gar nicht mögen, ist, wenn der Parteienstreit bereits losbricht, bevor die Sachfrage selbst begreifbar klargelegt wurde. Bei der "Bürgerversicherung" etwa: Eine Mehrheit fühlt, das ist wichtig, aber was das Wort tatsächlich meint, darüber gehen die Vorstellungen himmelweit auseinander.

"Wahrheit" will keiner hören

Oder der Begriff "Privilegierte Partnerschaft": Für die meisten bezeichnet das keinen Sachverhalt, sondern ist ein reiner CDU-Slogan des Inhalts "die Türkei bleibt draußen aus der EU". Interessante Ergebnisse brachte eine Stichproben-Untersuchung, in der nach Wörtern aus dem Wahlkampf gefragt wurde, die die Befragten nicht mehr hören können. Die häufigsten Nennungen waren: Kirchhof (gemeint war nicht der Mann, sondern der Streit um ihn), Kompetenz, Wahrheit, Ehrlichkeit, Vertrauen, wir wollen, mit uns wird es besser...
 
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