Thema Politik
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2005-09-21: Analyse
Soziale Grundwerte nicht verhandelbar
Und es gibt doch ein Mehrheits-Votum: Gegen eine "kalte Republik"
 
ape. Es wird wohl noch eine kleine Weile dauern, bis aus der politischen Pokerpartie in Deutschland zielgerichtetes Verhandeln wird. Wie auch immer aber nachher eine Regierungskoalition aussehen mag, an einem Faktum kommt nach Ansicht unseres Autors fortan niemand vorbei: Die Mehrheit des Wahlvolkes lehnt es ab, den Grundwert "soziale Gerechtigkeit" aufs Spiel zu setzen.
 
Auf eine jetzt schwierige Regierungsbildung wird alsbald eine noch schwierigere Regierungszeit folgen. Ob Ampel, "Schwampel" oder Große Koalition: Jede künftige Bundesregierung hat hinsichtlich der Akzeptanz in der Bevölkerung zwei grundlegende Probleme. Da wäre erstens der Sachverhalt, dass ungeachtet der diversen Siegesbehauptungen eine knappe, drei Parteien umfassende Mehrheit des Wahlvolkes sich "links" von FDP und Union positioniert hat. Vor dem Hintergrund eines beiderseits ausdrücklichen Lagerwahlkampfes sowie des ursprünglichen Ausmaßes an Vertrauensverlust gegenüber der Schröder-Regierung liegt der Schluss (oder, wer will, die Befürchtung) nahe, dass es sich dabei um eine strukturelle Mehrheit handelt. Die Ergebnisse der beiden vorangegangenen Bundestagswahlen unterstreichen dies.

"Durchregieren" ist nicht

Zweites Faktum, an dem die künftige Bundesregierung nicht vorbei kommt, egal wie sie sich zusammensetzt: Die Bevölkerung will in ihrer Mehrheit kein neoliberales "Durchregieren", will keine totale Subordination von Politik und Gesellschaft unter die Gesetze des globalen Marktes, will keine Ausrichtung der Republik am angelsächsischen Modell. In Nachwahl-Umfragen begründeten zwei Drittel der Bürger ihre Wahl mit dem Stichwort "soziale Gerechtigkeit". Das hieße auch: Selbst für beträchtliche Teile der CDU-Wählerschaft ist dieser Grundwert ein unverzichtbares Gut.

Wer, aus verständlichen Gründen, Umfragen neuerdings misstraut, sei auf den Verlauf des Wahlkampfes verwiesen. Die Trendwende wurde eingeleitet von Münteferings Heuschrecken-Metapher. Und je mehr die SPD das Soziale bei sich und das vermeintlich Unsoziale beim Gegner betonte, umso stärker wurde ihr Auftrieb. Ob berechtigt oder nicht, sei dahin gestellt: Der Slogan "bei den anderen wird es noch schlimmer" mobilisierte auf breiter Front eine Art Urangst vor der "anderen", der "kalten", der neoliberalen Wirtschaftsrepublik.

Wer diese für unumgänglich hält, sammelte sich bei der FDP: zehn Prozent kompromisslose Anhänger hat die reine Marktlehre, das ist mit der Wahl aktenkundig. Das hohe Ergebnis der Liberalen ist nicht zuletzt eine Auswirkung der komplizierten Situation innerhalb der Unions-Anhängerschaft hinsichtlich der Sozialen Frage. Denn christliche und wertkonservative Grundverständnisse können sich mit der Aussicht auf liberal-ökonomischen Durch-marsch fast ebenso wenig anfreunden wie links denkende Zeitgenossen.

Wenn in den nächsten Wochen die Poker-Disziplin in der Union bröselt, wird man erleben können, wie sich im Schatten der parteiinternen Diadochenkämpfe auch eine innerparteiliche Wertediskussion entwickelt. Wobei den Sozialdemokraten ähnliches ins Haus steht, denn nach diesem Wahlkampf hängt die soziale Messlatte hoch - mit der Art der bisherigen Reformen wäre sie nicht mehr zu überspringen.

Die Wähler wollen gar keine Reformen, sie wollen"s im Sozialbett warm und gemütlich haben - blind bis zu dem Augenblick, da die Schlaraffenkarre vollends auseinanderfällt. So oder ähnlich klingen viele Kommentare derzeit. Sie sind, aufs Gros der Bevölkerung bezogen, falsch. Dies Land wird ja nicht von lauter egoistischen Dummköpfen bevölkert. Die meisten Menschen hier zu Lande sind für Reformen, wollen sogar ein höheres Reformtempo.

Aber "Reform" ist kein Wert an sich. Nicht alles, was sich Reform schimpft, hat den Namen verdient. Und das pure Wort Reform sagt ja noch gar nichts über Qualität, Richtung, Erfolgsaussicht oder Sinnhaftigkeit der damit bezeichneten Maßnahmen aus.
Wo der Verdacht umgeht, dass ich nach allerhand Reformen in ein paar Jahren garantiert erheblich ärmer bin, aber sonst wenig oder nichts gewonnen ist, da kann keine Begeisterung aufkommen. Wo Wachstum als einziges Heilmittel angepriesen und zugleich eine tendenziell massive Absenkung des Einkommensniveaus gepredigt wird, bleiben gleich drei Fragen offen: Wie soll das gehen, wem nützt es, und wozu ist es gut? Viel wird über die alte Rentenlüge geredet, und da-rüber, dass wir künftig bis 67 oder 70 arbeiten müssen. Aber die wahre Rentenlüge verschwindet im Ungefähren: Schon 45- und 50-Jährige gelten vielfach als "ökonomisch unattraktiv".

Wohin geht die Reise?

Drei Beispiele nur, aber sie genügen, um deutlich werden zu lassen, dass Zweifel an der Sinnhaftigkeit mancher Reform durchaus verständlich sind. Obendrein wird an ganzen Reformpaketen nicht deutlich, wohin sie eigentlich führen - und wann es der Opfer genug sein könnten. Reform bedeutet heute vor allem: Notmaßnahme, Löcher stopfen, Rettungsaktion. Das Wort Reform hat in der deutschen Politik taktischen Geruch angenommen, statt strategischen Glanz auszustrahlen. Die Menschen wollen wissen, wofür all die Opfer? Sie wollen sehen, dass es gerecht zugeht beim Opferbringen. Und sie wollen erkennen, ob noch lebenswert ist, was am Ende herauskommt.
Womit wir wieder beim Ausgangspunkt wären, der Ablehnung einer "kalten Republik". Diese Bundestagswahl ist alles andere als eine Anti-Reform- oder Anti-Erneuerungs-Wahl. Sie verlangt aber kluges, gestalterisches, auch visionäres Agieren an Stelle bloßen Reagierens auf vermeintlich naturgesetzliche Ökonomie-Zwänge. Dafür schreibt sie den Parteien allerdings eine deutliche Warnung ins Stammbuch: Was immer ihr tut, der Grundwert soziale Gerechtigkeit ist nicht verhandelbar! Das macht für alle Parteien das Regieren künftig erheblich schwieriger. Denn gefordert sind nun einige Ideen, die im bisherigen Handlungsspektrum eher nicht vorgesehen waren.
 
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