Kritiken Theater
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2005-12-05: Tanztheater
Andersen in des Lebens Hölle
Kresniks biografisches Tanztheater über den Märchenautor in Bonn
 
ape. Bonn. "Mein Leben ist ein schönes Märchen, so reich und glücklich. (...) Meine Lebensgeschichte wird der Welt sagen, was sie mir sagte: Es gibt einen liebevollen Gott, der alles zum besten führt." So sprach der als Verfasser von Märchen berühmt gewordene dänische Schriftsteller Hans Christian Andersen (1805 - 1875) über sich. Lug und Trug, naive Selbsttäuschung, meint dazu das Choreographische Theater in Bonn zum Abschluss des 200. Geburtsjahres des Autors. Johann Kresniks jüngste Tanztheater-Produktion "Hans Christian Andersen" skizziert die Biografie eines Bedauernswerten.
 
Momente stiller Poesie, schwebender Melancholie: Kresnik kann sie herstellen, aber offenbar nicht lange aushalten. Denn gleich befällt ihn wieder die große Wut - dann kracht, tobt, scheppert es auf der Bühne, eskaliert das Ringen um des Menschen Glück und vor allem Unglück zur Materialschlacht. Es rollt ein riesiger Ball aus tausenden Schuhen über die Bühne - Überschatten des Andersen-Vaters, der Schuhmacher war. Es schneit Tischtennisbälle körbeweise ins Reich der Schneekönigin und der Erbsen-Prinzessin. Es regnet eimerweise Essbestecke, und versehrte Soldaten schmeißen mit unzähligen Zinntellern scheppernd um sich.

Am Ende wird der Titeldarsteller unter hunderten nackten Puppen begraben. Dies ist ein symbolisches Schlussbild: Das Leben des Märchenerzählers, der immer Kind blieb, ward erdrückt von Kindlichkeit. Märchenthemen und Autoren-Vita fließen ineinander, Werk und Mensch gerinnen zur tanztheatralischen Einheit. Das ist nicht Kresnik-Willkür, sondern Kresnik-Interpretation dessen, was Eingeweihten über Andersen bekannt ist: Seine Märchen sind auch Spiegel seiner selbst - Kindheitstrauma, Naivität, verdrängte Ängste im Übermaß, unglücklich über das eigene Aussehen, unfähig, sich auf die Abgründe erwachsener Liebe und Sexualität einzulassen.

Die Choreografie spielt im unterirdischen Teil eines heutigen Bahnhofes. Schwarz sind Treppe, Boden und Wände; kaltes Neonlicht, grün, aber hoffnungslos schimmern die Fluchtwegschilder (Bühne: Bernhard Hammer). Die Figur Andersens teil sich in drei: ihn selbst (Przemyslaw Kubicki), einen männlichen Schatten (Patrick Entat) und einen weiblichen (Linda Ryser), dessen Brustwarzen mit schwarzen Klebstreifen weg-"zensiert" sind. Der Umgang Andersens mit dem Sexus ist ein zentrales Thema - Liebe bleibt ihm vergeblicher Traum, des Weibes Körpernähe wird ihm zum Albtraum; der Anziehung von Mannsleibern kann er sich weder entziehen noch nachgeben.

Andersen reiste viel, besser: Er hetzte durch die Fremde, lebt auch in Bonn mit, in und aus Koffern. Kresniks 90-minütige Szenenfolge ist ebenfalls eine Reise - durch ein Leben und ein Werk, das unbarmherzig aller Idyllen, jeder Harmlosigkeit entkleidet wird. Dass dieser Andersen ein armer Hund war, weiß man nach einer halben Stunde. Die ürbige Zeit ist Bohren mit wechselndem Werkzeug in der immer gleichen Wunde. So viel Zorn über das Leid - beklemmend und doch auch ermüdend.
 
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