Kolumne Begegnungen regional
Thema Menschen / Initiativen
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2006-01-07: 
Annegret Ritzel und der Ärger
Fünfte Begegnung von Andreas Pecht: Die Theaterintendantin über Spielplanchaos, Personalquerelen und ihren Vertrag
 
ape. Koblenz. Die fünfte Folge der Reihe "Begegnungen" führt zwei Menschen zusammen, deren große Liebe dem gleichen Gegenstand gehört: dem Theater. Dennoch, oder gerade deshalb, war und ist die Beziehung zwischen Theaterintendantin Annegret Ritzel und Theaterkritiker Andreas Pecht nie frei von Spannungen.
 
Nein, Geige spiele sie keine mehr. Damals habe das Geld für ein gutes Instrument nicht gereicht, deshalb ihr Spiel sie nie befriedigt. Ein Ausflug in die Jugend dient der "Begegnung" mit Annegret Ritzel als Aufwärmphase. Wir hätten auch beginnen können mit Ballett-Lehrjahren, Schauspielausbildung an der Münchner Falkenberg-Schule, Sprech-Dozentur ebenda. Man hätte einsteigen können mit den Wanderjahren als freie Regisseurin, die dem Festengagement in Dortmund, der Schauspieldirektion in Wiesbaden, schließlich der Intendanz in Koblenz vorausgingen.

Das Theaterleben verschlug Annegret Ritzel 1999 in ein Büro, dessen damalige Provisoriums-Ausstrahlung sich bis heute erhalten hat. Kein Schreibtisch; die Intendantin arbeitet an einem ovalen Konferenztisch, umstellt von einem wild zusammengewürfelten Stuhlsortiment. Das Mobiliar kennt man teils von der Bühne. Zur Abendstunde wird"s schummrig im Raum - statt Lampen hängen nackte Kabel von der Decke. Die hingen schon bei meinem ersten Gespräch mit Ritzel vor sechs Jahren. Was soll das? Die Chefin winkt mit Blick auf die Kabel ab: "Was investiert wird, soll zuerst an die Bühne gehen." Mit Blick auf das Tischrund: "Das Theater hat halt keinen Platz für einen Konferenzraum, deshalb ..."

Wann immer die Rede auf materielle Bedingungen des Theaters Koblenz kommt, wird Ritzel lakonisch. Sie sagt es nicht, aber Haltung und Untertöne drücken aus, dass die Frau sich als Vorsteherin eines Quasiarmenhauses sieht. Zu Kabel und Tisch gesellen sich andere Defizite: ungenügender Ballettsaal, zu kleine Probebühne, kein Repertoirelager, sanierungsreife Bühnentechnik, fehlende Alternativspielstätte mit variabler Raumbühne ...

Verflogene Träume

Dann schaut sie wehmütig zum Fenster hinaus über das Deinhard-Gelände, wo derzeit einer ihrer letzten Kob-lenzer Träume zerstiebt: die Deinhard-Packhalle als weitere Spielstätte und Raumreserve fürs Theater. Nicht nur Ritzel hatte einmal an ein neues Kammertheater am Zentralplatz geglaubt, nachher auf die Schlachthofhalle gehofft. Alles perdu. Zuletzt richtete sich ihr Trachten auf die Packhalle nebenan. "Ein schöner Traum, dessen Realisierung sich die Stadt nicht leisten kann." Ihr Frust bricht sich in Sarkasmus Bahn. Das Areal gehe ja jetzt an einen Trierer Veranstalter und werde wohl als Kabarett- und Comedy-Club genutzt. "Das ist völlig unbegreiflich und für das Stadttheater eine Katastrophe. Um konkurrenzfähig zu bleiben, müsste ich dann hauptsächlich Musical und Boulevard spielen."

Vielem, was die Intendantin über die Bedingungen am Theater anspricht, kann man beipflichten. Doch im letzten Satz, da taucht sie wieder auf, diese abstruse Haltung mancher Theatermacher: Um im Wettbewerb um die Publikumsgunst mithalten zu können, müsse das Theater auf die populistischen Entertainment-Trends einschwenken. Unfug! Das Theater muss sich als Alternative dazu, als das anregend Andersartige, als Forum hoher und lebendiger Kunst behaupten. Doch die "Begegnung" ist nicht der Ort, dies auszufechten.

Wie steht es denn im Moment mit der Publikumsgunst? Die Hausherrin muss ein Schwächeln beim Kartenverkauf einräumen. "Verglichen mit der krisenhaften Entwicklung in der Gesamtszene sind die Zahlen aber noch relativ zufrieden stellend." Der seit Jahren allgemein rückläufige Trend bei den Voll-Abos halte auch in Koblenz an, habe sich seit der jüngsten Preiserhöhung verstärkt. Dennoch könne von Krise keine Rede sein, "nach wie vor hat das Theater Kob-lenz die höchste Eigenfinanzierungsquote".

Die Koblenzer Politik scheint das gelassen zu sehen. Beziehungsweise: Sie schaut gar nicht hin, wohl froh darüber, dass nach den früheren Theaterfinanzturbulenzen das Haus nun seit drei Jahren in ruhigem Gewässer schippert. Aus den Fraktionen ist zu hören, dass die Verlängerung von Ritzels Vertrag als schiere Selbstverständlichkeit gilt. Die Betroffene selbst erklärt: "Das Angebot der Stadt steht; ein paar Kleinigkeiten sind noch zu regeln." Und dann, wird sie unterschreiben? Süffisante Antwort: "Das hängt von Ihnen ab, Herr Pecht." Wann meint diese Frau es ernst, und wann spielt sie Psychotheater? Mitstreiter von Ritzel in Wiesbaden sagten mir einmal: "Sie meint es immer ernst, vor allem wenn sie die Mädchenrolle gibt."

Mädchenrolle? Alle haben sie ihre Masche, sobald es im Pressegespräch schwierig wird. Karl-Jürgen Wilbert versinkt in demonstrative Gelassenheit, Rainer Neumann setzt das wissende Lächeln des vormaligen Zunftkollegen auf, Thomas Metz redet noch schneller und eindringlicher als gewöhnlich. Anne Ritzel legt den Lockenkopf schräg, macht große Augen, spitzt die Lippen und säuselt ein süßes "Ooch jooh". Mädchen spielen ist ihre Art, Problemdarstellungen die Schärfe zu nehmen. Und Probleme hat sie, zurzeit sogar eine ganze Menge. In der Regel kümmern sich Kritiker kaum um die an jedem Theater reichlichen Querelen hinter der Bühne. Wenn jedoch aus allen Theaterecken Klagen herangetragen werden, hört man etwas genauer hin. Der Gesamtklang ergibt: Die Chefin wird von etlichen ihrer Mitarbeiter nicht eben geliebt.

Knatsch im Glashaus

Im Gespräch konfrontiert mit dem Knurren unter Bühnentechnikern oder dem Streit mit den Maskenbildnern, staunt Ritzel erst, was so alles ans Ohr des Fragers gelangt. Der klärt auf: Für einen, der fast 20 Jahre dieses Theater als Kritiker begleitet, ist das Haus ein Glashaus. Die Stimmung ist schlecht, und die Intendantin weiß es. Die Ursachen dafür liegen nach ihrer Auffassung darin, dass die Zeiten Sparsamkeit und mehr Flexibilität auch vom Theaterpersonal verlangen. Das fordere sie ein, was bei manchem zu Angst vor Verlust von Besitzständen führe. Die Betroffenen sehen das offenbar anders: "Was die Frau da treibt, geht auf keine Kuhhaut", so klingt das in der Kantine. Die schlechte Stimmung macht vor den künstlerischen Abteilungen nicht halt. Von Knatsch mit der Dramaturgie ist zu hören, auch von Mitarbeiteranhörungen durch den Personalrat. Es geht gar die Rede von der Bewerbung eines Schauspielers auf den Intendantenposten - was man beim Kulturdezernat allerdings nicht bestätigen mochte.

Wie dem im Einzelnen auch sei: Friede, Freude, Eierkuchen sieht anders aus - und die 61-jährige Intendantin wird mit der inneren Konstitution des Hauses bis zu ihrer Pensionierung noch zu tun haben. Ritzel kann jede einzelne Personalquerele ebenso detailreich erklären wie jede einzelne der zahlreichen Änderungen im aktuellen Spielplan. Unwägbarkeiten, Unvorhersehbarkeiten, andere Umstände etc. pp. verdichten sich jeweils zum irgendwie nachvollziehbaren Grund, warum im Einzelfall vom Plan abgewichen werden muss. In der Summe ergibt sich allerdings eine Änderungsfülle durchaus unüblichen Ausmaßes. Von der innovativen Planung, die die Presse im Frühjahr 2005 beklatscht hatte, ist nicht viel geblieben.

Gestrichen und geplatzt

Jörn Arneckes neue Oper "Das Fest am Meer" vorerst gestrichen. Deutsche Erstaufführung von "Howard Katz" auf nächste Spielzeit verschoben. Schauspielprojekt "Elektra/Iphigenie" gestrichen. Schillers "Räuber" gestrichen. Ersatz wird angeboten, so dass der Spielplan zwar der Produktionszahl nach stimmig bleibt. Aber genau das, was ihn so spannend gemacht hatte, ist großenteils raus. Ebenfalls gestrichen hat Ritzel sämtliche angekündigten Wiederaufnahmen. Und sie erklärt, dass sie auch künftig keine Wiederaufnahmen mehr machen werde. Das wäre freilich eine in der Theaterlandschaft ziemlich einmalige Sache. Aus meiner Verärgerung mache ich keinen Hehl. Madame hat volles Verständnis: "Mir gefiel der ursprüngliche Spielplan auch viel besser. Aber leider ..." - Und tiefer geht"s in jenes ermüdende Labyrinth aus wer, was, wann, wie, wo, warum schwanger, nicht greifbar, nicht Willens, nicht (mehr) gewollt, nicht fähig, nicht terminierbar, nicht kombinierbar, nicht bezahlbar war, ist oder sein wird.

Das sind, mit Verlaub, normale Probleme an jedem Theater, die jede Intendanz jeden Tag zu lösen hat. Das Gesamtergebnis im Koblenzer Spielplan legt heuer allerdings den Schluss nahe, dass es der hiesigen Intendanz etwas mangelt an, sagen wir mal: Fortüne in der Sparte Logistik/Organisation. Daran wird die Regisseurin auf dem Intendantenstuhl in den kommenden Jahren zu arbeiten haben. Das darf die Theatergemeinde verlangen. Ein Kuddelmuddel wie in dieser Saison ist nicht akzeptabel - auch, weil sich so etwas früher oder später aufs künstlerische Niveau selbst niederschlägt.
 
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