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2006-01-11: Analyse
Das neue Denken der CDU-Frauen
Erstaunliches zu Kindern, Mindestlöhnen, Schulsystem und Guantanamo
 
ape. Während gestern Stück um Stück die Ergebnisse der Regierungsklausur von Genshagen ans Licht der Öffentlichkeit kamen, hatte mancher Zeitgenosse noch Botschaften aus den Vortagen zu verdauen: Einlassungen von Angela Merkel, Ursula von der Leyen und der Hamburger Schulsenatorin Alexandra Dinges-Dierig. Die drei CDU-Damen waren in der ersten Woche des neuen Jahres mit Ansichten aufgefallen, die bislang eher nicht zur Grundausstattung der CDU gehörten.
 
Man muss Angela Merkel nicht mögen, um neuerdings über sie zu staunen. Auch wer bei der Bundestagswahl seine Entscheidung nicht vom Geschlecht der Kandidierenden beeinflussen ließ, muss jetzt einräumen: Was einige CDU-Frauen derzeit so an Gedanken und Absichten zumindest verbal vortragen, lässt eine Menge CDU-Männer geradezu verknöchert, unbelehrbar, verbohrt - eben ziemlich alt aussehen. Und nicht nur die. Denn was die Kanzlerin dem "Spiegel" eben zu Protokoll gab und dem amerikanischen Präsidenten alsbald ins Gesicht sagen will, davor hatte dereinst Joschka Fischer leider gekniffen.

"Eine Institution wie Guantanamo kann und darf auf Dauer so nicht existieren", erklärte die Frau, die noch vor kurzem nicht ohne Grund der politischen Bush-Hörigkeit bezichtigt wurde. Natürlich bleibt abzuwarten, wie couragiert ihr Auftreten in Washington tatsächlich ausfällt. Doch im Weißen Haus hat man die neuen Töne in Merkels Haltung zur derzeitigen US-Politik vernommen. Das US-Außenamt reagierte verschnupft und belehrte von Ferne, Guantanamo diene einem höheren Zweck.

Überzeugung oder Kalkül?

Ob diese Wende der Kanzlerin innerer Überzeugung entspricht oder politischem Kalkül folgt, sei dahingestellt. Der Mehrheitsmeinung in Deutschland und dem staatspolitischen Konsens über international einzuhaltende Rechtsnormen kommt sie jedenfalls entgegen. Was richtig ist, muss auch Herrn George W. Bush gesagt werden - für diese Haltung spenden selbst die Oppositionsparteien kräftig Beifall.

Um politisches Kalkül könnte es sich auch bei Merkels Position in Sachen Atomausstieg handeln. Mehrere CDU-Ministerpräsidenten drängen massiv auf Ausstieg aus dem Ausstieg. Die Bundeskanzlerin hingegen scheint entschlossen, am Koalitionsvertrag festzuhalten. Damit bleibt sie auf Ausstiegskurs, obwohl sie selbst alles andere als eine Atomkraftgegnerin ist.

Dem könnte die Überlegung zu Grunde liegen, dass erstens die Große Koalition gefährdet wäre, wenn sie der Wiederbelebung der Kernkraft-Euphorie durch Peter Müller, Christian Wulff und Roland Koch nachgibt. Zweitens fürchtet Merkel womöglich, sich mit einer Rückkehr zum expansiven Ausbau von Kernkraftwerken einen unkalkulierbaren Störfaktor künftiger Innenpolitik einzuhandeln: eine außerparlamentarische, parteienübergreifende Protestbewegung unberechenbarer Größe. Denn noch immer ist ein Ausbau der Atomenergie in der Bevölkerung nicht mehrheitsfähig. Schon haben die Grünen wegen der Dauerbeschießung des Atomausstiegs durch die CDU-Männerschaft mit Massenprotesten gedroht.

Die Frau im Kanzleramt braucht indes zurzeit vor allem zwei Dinge: Möglichst breiten Konsens in der Regierungskoalition und zugleich möglichst viel Zustimmung aus der Gesellschaft für diverse Sachentscheidungen. Der Ausbruch eines großen, verbitterten Anti-AKW-Kampfes quer durch die Republik käme der Regierung völlig ungelegen - was besagte CDU-Ministerpräsidenten allerdings nicht zu begreifen scheinen.

Derartiges Nichtbegreifen könnte auch beim Kombilohn-Thema vorliegen. Merkel hatte deutlich zu erkennen gegeben, dass Kombilöhne, wenn überhaupt, nur auf der Basis eines gesetzlichen Mindestlohnes denkbar seien. "Wir wollen schließlich Arbeitsplätze schaffen und keinen Selbstbedienungsladen für findige Unternehmer eröffnen", sagte die CDU-Kanzlerin. Und wieder gibt es Beifall von vielen Seiten. Nicht jedoch von den Unternehmerverbänden und auch nicht von den meisten Unions-Mannen. Die stellen sich taub und reden einfach weiter nur von Kombilöhnen. Der auch haushalterisch vernünftige Denkansatz ihrer Chefin erscheint ihnen womöglich CDU-wesensfremd. Man darf gespannt sein, wie die Sache ausgeht.

Das gilt auch für den frappierenden Vorstoß einer CDU-Dame in Hamburg. Die hanseatische Schulsenatorin Alexandra Dinges-Dierig will im Stadtstaat eine Schulreform ins Werk setzen, die viel mit gegenwärtigen Bildungsnotwendigkeiten, aber wenig mit konservativem Bildungsverständnis zu tun hat. Nach ihren Vorstellungen soll es in Hamburg künftig ein nur noch zweigliedriges Schulsystem geben, bestehend aus Gymnasium einerseits und einheitlichen Stadtteilschulen andererseits. Letztere sollen den Schülern Abschlüsse nach neun und zehn Jahren sowie nach 13 Jahren auch ein Abitur ermöglichen.

Traditionsfamilie passé

Drittes Beispiel für Erstaunliches im Denken der neuen CDU-Frauen ist ausgerechnet Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen. Die Vorstöße der vielfachen Mutter zur Förderung von Familien und Kindern geben erst auf den zweiten Blick preis, dass es sich dabei zugleich um den endgültigen Abschied vom traditionellen Familienbild handelt. Denn von der Leyens Fördermaßnahmen laufen überwiegend auf eine bessere Verbindbarkeit der Berufstätigkeit beider Eltern mit Kindern hinaus. Ob die Maßnahmen im Einzelfall hinreichend sind oder auch nur klug konzipiert, ist eine andere Frage. In der Tendenz jedenfalls zielt die Absicht der Ministerin auf die Möglichkeit zur gleichberechtigten Berufsausübung auch der Kindsmütter ab.

Wir erleben Zeiten flotten Umbruchs. Da kann es schon vorkommen, dass CDU-Frauen nicht nur ihren Parteimännern davonlaufen, sondern auch noch die SPD links überholen. Zumindest dem gesprochenen Wort nach. Das Übrige wird man sehen.
 
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