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2006-01-27:
In Engers brummt der Musik-Bär
Barockschloss und Villa Musica sind Säulen des Musiklebens in Rheinland-Pfalz
 
ape. Villa Musica? Villa Musica! Für die eine Hälfte der hiesigen Öffentlichkeit mag sich der Begriff in seiner Wortbedeutung erschöpfen: „Villa“ meint seit römischer Zeit den herrschaftlichen Wohnsitz. Im vorliegenden Fall spricht der Zusatz „Musica“ für eine besondere, eben musikalische Nutzung desselben. Die andere Hälfte der Öffentlichkeit würde dieser Definition ebenfalls zustimmen, zugleich aber mit Villa Musica viel mehr verbinden, als nur die Vorstellung von einem Gebäude, in dem musiziert wird. Für Rheinland-Pfälzer mit Interesse an klassischer Musik ist DIE Villa Musica eine Institution, die seit etlichen Jahren das heimische Konzertgeschehen maßgeblich mitbeeinflusst.
 
2006 sind es zwei Jahrzehnte, dass die Landesregierung in Mainz mit Beteiligung des SWR die Villa Musica als Landesstiftung ins Leben gerufen hat. Zu welchem Zweck? Zwei Zwecke: Erstens Förderung hochtalentierter junger Musiker, zweitens Bereicherung des Musiklebens im Land durch entsprechend hochkarätige Konzerte. Zum Sitz der neuen Landesstiftung wurde 1986 eine hübsche Jugendstilvilla auf der Bastei hoch über der Altstadt von Mainz erkoren –daher der Name der Institution: Villa Musica. Büros, Übe- und Unterkunftsräume, ein kleiner Konzertsaal in Mainz waren zehn Jahre lang alleinige Basis dafür, dass bereits fortgeschrittene, aber noch nicht ins Berufsleben eingestiegene junge Musiker von renommierten Dozenten mit der ganz hohen Schule klassischer Kammermusik konfrontiert wurden. Wer nach einem jährlich öffentlich ausgeschriebenen Probespiel in den Kreis der Stipendiaten aufgenommen wurde, konnte über zwei bis drei Jahre kostenlos an den sogenannten „Kurs und Konzert“-Projekten teilnehmen.

Das Prinzip gilt bis heute, freilich nicht mehr nur auf der Bastei in Mainz. Dort lag und liegt noch immer die Zentrale der Villa Musica. Das tatsächliche Zentrum der Musikinstitution hat sich zwischenzeitlich allerdings weit in den Norden des Landes verschoben: nach Neuwied-Engers. Dort wurde im Mai 1995 das kurfürstliche Lust- und Jagdschloss zu Engers – nach Übernahme durch das Land sowie umfangreicher Grundsanierung und Restaurierung – als neue „Akademie für Kammermusik der Villa Musica“ in Betrieb genommen. Während der zurückliegenden zehn Jahre sind Schloss Engers und Villa Musica im kulturellen Bewusstsein des nördlichen Rheinland-Pfalz zur untrennbaren Einheit verschmolzen. Im historischen Gemäuer direkt am Rhein-Ufer brummt seither vor allem der kammermusikalische Bär.

Klassikkonzerte im einstigen OP-Saal

Wo in den 1760er-Jahren der trierische Kurfürst Johann Philipp von Waldersdorff gelegentlich die Hochwohlgeborenschaft anlässlich einer Rebhuhnjagd versammelte, können heute bis zu 80 Musiker gleichzeitig wohnen, üben, studieren, musizieren. Dorthin, wo von 1920 bis in die 1980er eine orthopädische Klinik ihre Patienten versorgte, kommen seither auch Berühmtheiten der Musikwelt gerne, um ihre Kunst in den Dienst der Nachwuchsförderung zu stellen. Dietrich Fischer-Dieskau, Christa Ludwig, Andreas Scholl oder Edda Moser beispielsweise arbeiteten hier mit Gesangseleven. Ulf Rodenhäuser und Sabine Meyer, Aurèle Nicolet und Leonard Hokanson, Dirigent Sylvian Cambreling oder  Reinhard Goebel, Gründer und Leiter des legendären Ensembles Musica Antiqua Köln, lehrten, arbeiteten, wohnten und konzertierten hier mit Instrumental-Stipendiaten unter einem Dach.
 
Der Diana-Saal, das Herzstück des Engerser Schlosses, war zuvor Operationssaal der Klinik. Nach der Restaurierung erstrahlt dort wieder „einer der schönsten weltlichen Freskozyklen des deutschen Rokoko“ wie der Mainzer Kulturstaatssekretär Roland Härtel mit Recht schwärmt. Gemalt hat die Fresken der berühmte Januarius Zick. Dieser Diana-Saal ist nicht nur eine der optisch eindrucksvollsten, sondern auch eine der akustisch besten Kammermusik-Spielstätten, die es in Rheinland-Pfalz gibt. Mehrmals im Jahr baut der Südwestrundfunk darin seine Mikrophone auf, um interessante Konzerte mitzuschneiden oder auch live zu übertragen. Immer wieder erleben im  Diana-Saal die Arbeitsergebnisse der Stipendiatenkurse ihre Feuerprobe vor Publikum. Denn das Konzept besagter „Kurs und Konzert“-Projekte geht so: An die meist mehrtägige Kursarbeit unter der Leitung von Professoren deutscher und internationaler Musikhochschulen oder künstlerischer Persönlichkeiten aus der Musikwelt schließt sich ein Konzert beziehungsweise eine Konzertreihe an. Nagelprobe und „Fronterfahrung“ für die Stipendiaten. Fürs klassikinteressierte Publikum am Mittelrhein die Möglichkeit, regelmäßig  Konzerte mit einigen der besten Nachwuchstalente nicht nur aus Deutschland zu erleben.

Wobei Engers eigentlich bloß der Ausgangspunkt ist für einen Konzertbetrieb, der ganz Rheinland-Pfalz mit Kammermusik von Rang versorgt. Rund 150 Musikereignisse  bringt die Villa Musica pro Jahr in fast 50 Säle quer durchs Land, vom hohen Westerwald bis in die Südpfalz, von Moselfranken bis an die Lahn. Der Musikbetrieb in Engers steuerte vom ersten Moment der Indienststellung des Schlosses 1995 an Expansionskurs. Bekanntlich ist Kammermusik keine Massenveranstaltung, soll es gar nicht sein, denn die Werke für einen bis neun Musiker wurden von vornherein für intimere Kulisse komponiert. Das Engerser Kammermusikprogramm machte sich also allmählich bei den Klassikfreunden der Umgebung einen Namen. Doch selbst wenn die 140 Plätze des Diana-Saales stets alle besetzt gewesen wären, bestand die Gefahr, dass die Einrichtung in der bundesweiten Musikszene bald bekannter würde als in der Bevölkerung daheim. Was nicht der Absicht der Erfinder entsprochen hätte, die Schloss Engers als „lebendiges Kulturhaus“ (Härtel) angedacht hatten und keineswegs als Lustschloss wieder nur für eine kleine „elitäre Gesellschaft“.

Lebendiges Kulturhaus für viele

Ins Bewusstsein der breiten Öffentlichkeit am Mittelrhein gelangte Schloss Engers dann durch seine populären Sommer-Open-Airs im Schlosshof. Zu Auftritten von Giora Feidmann oder den Swinglegenden Max Greger, Paul Kuhn und Hugo Strasser, zu Gala-Events, Sommernachtsbällen, Belcanto- oder Sinfoniekonzerten strömten jeweils Hunderte. Barockfest und Barockfeuerwerke erfreuten Oma, Opa, Papa, Mama und die Kinder alle im Barockschloss am Rhein. Die Sommerbilanz zählte jeweils etliche Tausend Besucher.
Schloss Engers wurde als Eventstätte bekannt – und quasi im Nebeneffekt erfuhr auch die Hauptsäule der Institution, die Kammermusik, ebenfalls mehr Aufmerksamkeit.

Nach der Jahrtausendwende folgte ein weiterer, großer Entwicklungsschritt: Das Land sanierte das „Meisterhaus“, ein direkt neben dem Schloss gelegenes historisches Gebäude, und richtete dort die „Landesmusikakademie Rheinland-Pfalz“ ein. Diese Einrichtung ist eine Art Fortbildungszentrum für die gesamte Laienmusik im Land. Hier werden unter der Ägide des Landesmusikrates Chöre und Musikkapellen, Dirigenten, Musikerzieher, Vereinsbetreuer gefördert, qualifiziert, weitergebildet. 2005 hat sich im Schloss dann auch noch das Organisationsbüro des neuen Festivals „Rhein-Vokal“ niedergelassen. Im 20. Jahr nach Gründung der Landestiftung Villa Musica brummt in Engers also nicht mehr nur der Kammermusik-Bär. Schloss und Nachbarschaft sind zu einem musikalischen Bildungs- und Konzertzentrum geworden, das in Rheinland-Pfalz seinesgleichen nicht findet und in Deutschland einigen Seltenheitswert hat.

Infos/Kontakt: www.villamusica.de, www.schloss-egers.de
 
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