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2006-01-28: Kultur
Suchen Sie den fremden Mozart!
"Das Mozart-Jahr ist eine Pest", kann aber auch sinnvoll genutzt werden
 
ape. Willkommen im Mozart-Jahr! Oder haben Sie etwa schon die Nase voll davon? Die Sängerin Cecilia Bartoli meint: "Nach den Mozartkugeln, den Mozartschinken, dem Mozartbier und allem anderen wird es unserer kollektiven Mozart-Leber Ende 2006 sehr schlecht gehen."
 
Cecilia Bartoli steht mit ihren Befürchtungen rund um die Vermarktung des Mozart-Jahres nicht allein. Der ehemalige Kulturstaatsminister Michael Naumann formulierte noch ernstere Bedenken: "Sollten die Radiohörer des Landes das Mozart-Jahr 2006 wider Erwarten unbeschadet überstehen, so wird man das für Mozarts Werk keinesfalls sagen können. Die so genannten Kultursender werden uns nur die schnellen Sätze bringen, die flotten Arien, die bekannten Ohrwürmer, die sich nach einem Jahr Dauerberieselung in Ohrkakerlaken verwandelt haben werden." Der Dirigent Michael Gielen erklärte: "Dieses Mozart-Jahr ist eine Pest, der Arme wird vermarktet und erdrückt. Man sollte seine Musik weniger spielen, damit man sie wieder bewusst hören kann." Der Satz ist nicht ganz neu, Gielen wetterte derart schon 1991, im Mozart-Jahr anlässlich des 200. Todestages des Komponisten.

Drei Mal harte Worte, und sie stehen für viele ähnliche Anmerkungen, die seit Jahresbeginn die Feuilletons bevölkern - freilich neben einer gewaltigen Menge an teils hochinteressanten Artikeln über den Menschen und Künstler Mozart, über wohlbekannte, vor allem aber auch weniger bekannte Aspekte seines Werkes, über dessen Rezeptions- und Interpretationsgeschichte. Zur Menge der Zeitungspublikationen gesellt sich ein Berg neuer Bücher über den Jubilar. Darin gleicht das Mozart-Jahr im Prinzip dem zurückliegenden Schiller-Jahr, darin gleichen sich die großen Jubeljahre allesamt: Dem Bedürfnis nach Würdigung des Jubilars und womöglich dem Interesse für neue, erhellende Annäherungen an ihn und sein Schaffen, steht eine durchaus berechtigte Angst gegenüber: Die Angst davor, dass ein Überangebot an Leben und Werk des Betreffenden ebenso kontraproduktiv wirken könnte, wie seine Verwurstung zu Nippes und wohlfeilem Reliquienhandel abstoßend ist.

Da hilft nur eines: Wappnen Sie Ihr Hirn und Ihre Sinne gegen die Überfütterung mit Worten, Bildern, Tönen; behaupten Sie ihre Genussfähigkeit gegen die Überflutung mit Mozart-Hits. Gehen Sie in dieses Mozart-Jahr nicht wie in einen Gottesdienst. Versuchen Sie stattdessen, so zu tun, als sei Ihnen dieser Wolfgang Amadeus Mozart ein völlig Unbekannter und seine Musik ihnen noch nie begegnet. Das ist so schwer nicht, denn die Musikwelt ist voll von ganz verschiedenen Mozart-Bildern, ganz verschiedenen Mozart-Interpretationen - weshalb sowieso keiner sicher ist, dass ausgerechnet dieser der wahre Mozart ist oder war, den man im eigenen kleinen Kopf hat.

Man erinnere sich beispielsweise an den Schock und die Entrüstung, die 1984 der Spielfilm "Amadeus" von Milos Forman verursachte. Schon vorher waren sich Musikhistoriker durchaus darüber im Klaren, dass dieser Wolfgang Amadé weder ein gottgefälliges Tugendlämmchen noch ein stiller Tonsetzer gewesen ist. Das kollektive Bewusstsein der Mozart-Gemeinde hatte sich bis 1984 allerdings mit Erfolg geweigert, die menschen-möglichen Kehrseiten des Genialischen zu thematisieren. Wie bei Schiller auch, aber wesentlich nachhaltiger, wurden im Fall Mozart alle nicht ins Bild des bürgerlichen Musikbetriebes passenden Faktoren über Jahrzehnte marginalisiert oder einfach ausgeblendet.

Dann kam Formans Film, und der göttliche Genius trat der Gemeinde plötzlich als vulgäre, trink- und spielsüchtige, kindsköpfige, zotige, eifrig die Bordelle frequentierende Monstrosität gegenüber. Was gab das für ein Gezeter und Empören damals! Natürlich, Spielfilmmacher Forman hatte überzeichnet - und dennoch führte er uns näher an den Menschen Mozart heran, als es jede Biografie bis dahin getan hatte.

Gut 20 Jahre Mozart-Forschung und Mozart-Rezeption später müssen wir feststellen: Nie zuvor wussten wir so viel über Wolfgang Amadés Leben und Werk, nie zuvor gab es aber auch eine derartige Vielfalt an Deutungen. Der Musikredakteur Claus Spahn skizzierte unlängst ein eindrückliches "Spiegelkabinett der Mozart-Imaginationen": "Mozart ist ein Einfach-Schwieriger. Ist ein Kind-Gott-Engel-Mensch. Ist ein Witz-Ernst-Nacht-Sonnen-Künstler. Ist ein Bewahrer-Vollender-Erneuerer. Ist ein Salzburger-Wiener-Deutscher-Europäer."

Will sagen: Welchem Mozart-Bild auch immer Sie zuneigen - seien Sie der Gefahr eingedenk, dass es falsch sein kann, dass es auf jeden Fall aber unvollständig ist. Und damit eröffnet sich ein denkbar weites Feld, neugierig durch dieses Mozart-Jahr zu gehen. Dabei lässt sich vielleicht ein neuer oder ein anderer Mozart zu entdecken, vielleicht auch das Staunen früherer Erstbegegnungen mit seiner Musik wiederentdecken.Ein Staunen, wie es der soeben gekürte Träger des Koblenzer Literaturpreises 2006, der Schriftsteller Hanns-Josef Ortheil, so anrührend beschreibt: "Mozarts Musik ist die erste, an die ich mich erinnere, schon mit fünf Jahren habe ich sie gehört. Damals, im Jahr 1956, saß ich im Schneidersitz auf dem Boden unseres Wohnzimmers und starrte auf die schwarze Scheibe, die sich langsam auf einem alten Dual-Plattenteller drehte. Was ich hörte, war eine Sonate für Klavier und Violine, die Mozart als kaum Siebenjähriger komponiert hatte. Stumm und regungslos saß ich da, ich lauschte und hörte auf jede Nuance, und ich spürte, wie sich mein ganzer Körper erhitzte, als wäre er angeschlossen an seltsame Wärme- und Glücks-Quellen."

Der Knabe wusste rein gar nichts über die Person des Komponisten. Es war die Musik ganz alleine, mit der er zu tun hatte, auf die er sich in höchster Konzentration einließ. Ortheil blieb Mozart zeitlebens treu, er gilt heute als exzellenter Mozart-Kenner, hat mehrfach über ihn geschrieben, im März wird ein neues Mozart-Buch von ihm erscheinen. Das Erleben des Fünfjährigen spricht für eine Forderung, die der große Pianist Alfred Brendel immer wieder erhoben hat: Man möge bitteschön Leben und Werk von Komponisten streng trennen.

Wahre Kunstwerke machen ihren Einfluss geltend, auch ohne dass wir Näheres über deren Schöpfer wüssten. Der kleine Ortheil mag als Hinweis dienen, der große Shakespeare ist der schlagende Beweise dafür. Denn über den bedeutendsten Dramatiker der Theatergeschichte, den Verfasser von "Romeo und Julia", King Lear" oder "Macbeth" wissen wir gar nichts. Wir wissen bis heute noch nicht einmal, ob ein Mann dieses Namens überhaupt existierte.

Aber behindert oder beschneidet dieses Nichtkennen des Autors in irgendeiner Weise die Wirkung von Shakespeare-Stücken auf Herz und Geist? Nein. Eher ist das Gegenteil der Fall. Shakespeare-Aneigung geht in erster Linie über die Auseinandersetzung mit den Werken selbst. Anders die Mozart-Aneignung, bei der nicht selten sich das Biografische anekdotenselig bis voyeuristisch vor das musikalische Werk drängelt.

Woran übrigens Mozart selbst nicht unschuldig ist. Seine eigene opulente Korrespondenz zeigt, dass der Bursche seine Briefe als wirkungsvolle Auftritte inszenierte. Wo er Pathos und Verzweiflung, Untergebenheit oder Aufbegehren, Liebesschwüre oder Frivolität ausdrückt, tut er das zumeist mit der Raffinesse eines versierten Regisseurs. Wolferl ist ein Theatermann, ein Meister der Effekte und Affekte.

Das ist er im Leben, das ist er mehr noch in der Musik. Er hat die Musik seiner Zeit an sich gerissen, beherrschte ihre Formen und Inhalte traumwandlerisch sicher. Der erste Blick zeigt klassizistische Werke auf höchstem Niveau. Der zweite Blick offenbart, dass dieser Mozart kaum einen Stein lassen konnte wo und wie er war. Verstöße gegen ehrwürdige Kompositionregeln, Originalitäten und Neuerungen an allen Ecken und Kanten. Etwa zuvor nie erlebte Theatralik in der Instrumentalmusik, im Gegenzug für die damalige Zeit irritierende Konzertqualitäten in der Bühnenmusik. Wolfgang Amadé Mozart war ein musikalischer Revolutionär - und Puristen mäkelten noch viele Jahre nach seinem Tod, der Herr Kompositeur habe "unrein" gearbeitet und bisweilen wild verschiedene Stile miteinander vermischt. Stimmt das? Jawohl, es stimmt - und die künstlerische Größe Mozarts resultiert nicht zuletzt gerade aus dieser Unbotmäßigkeit, dieser Lust am Verstoß gegen Form- und Normkonventionen.
 
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