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2006-02-07 Analyse:
Religion ist nicht Ursache des Übels
Einige Gedanken zu den Tumulten nach den Mohammed-Karikaturen
 
ape. Aufgebrachte Menschen zünden im Namen des Islam westliche Botschaften an. Hiesige Medien meinen einen "panislamischen Volkssturm" ausmachen zu können. Auslöser der Unruhen waren Karikaturen, die den Propheten Mohammed in den Dreck zogen. Der Autor bezweifelt allerdings die jetzt häufig zu hörende Ansicht, wonach der Islam das gefährlichste Pulverfass der Gegenwart sei.
 
Es greift in der Öffentlichkeit einmal mehr die Frage um sich: Was hat die Religion Islam an sich, dass ihre Anhänger so sehr zu Gewalt und Intoleranz neigen? Die Frage ist angesichts der aktuellen Ausschreitungen gegen europäische Einrichtungen in einigen moslemisch geprägten Ländern verständlich. Aber es ist die falsche Frage - uns aufgedrängt von Kräften, denen an einem wechselseitig fremdenfeindlichen Kulturkampf gelegen ist.

Inzwischen wurde ruchbar, dass die dänische Zeitung "Jyllands Posten" mit ihren umstrittenen Mohammed-Karikaturen eine systematische Provokationskampagne betrieb. Auch bekannt wurde nun, dass einige radikale Imame diese Provokation willig aufgriffen, um auf ihrer Seite Unruhe zu schüren. Es kochen in der aufgeheizten Stimmung manche ihr trübes Süppchen - von skandinavischen Rechtsnationalisten über libanesische und syrische Politiker bis hin zu diversen radikalislamistischen Gruppierungen. Die Armen und Hoffnungslosen werden als Werkzeug benutzt. Was teils sehr gut funktioniert, weil deren Abneigung gegen "den Westen"groß ist.

"Gewalt ist unislamisch"

Der islamistische Terror oder die jetzige Eskalation rüder Proteste liegt so viel oder so wenig in den Eigentümlichkeiten der Religion Islam begründet wie die Kriege und Gräuel der Christenheit durch Jahrhunderte aus den Eigentümlichkeiten der Religion Christentum resultieren. In beiden Fällen kam und kommt es immer darauf an, in welchem Interesse eine Religion wie interpretiert wird und was ihre jeweiligen Vertreter daraus machen.

"Gewalt ist unislamisch", rief der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland eben seinen Glaubensbrüdern zu. Zugleich zeigen Fernsehbilder aus Beirut und anderen Unruheherden auch geistliche Würdenträger des Islam, die versuchen, mäßigend auf den randalierenden Mob aus überwiegend jungen Männern einzuwirken. Zugleich fordern moslemische Gemeinden hier zu Lande im Namen des Islam von den Entführern der beiden deutschen Ingenieure im Iran die Freilassung ihrer Geiseln.

Die meisten Christen verstehen ihre Religion heute als eine Religion der Humanität, der Liebe, der Verständigung. Sie tun dies, wissend, dass das Christentum die längste Zeit seiner Geschichte eher für das Gegenteil stand. Die meisten Moslems sehen mit Befremden, dass ihre Religion heute als geistige Basis für Aufruhr und Terror gebraucht, missbraucht wird. Eine Verständigung zwischen den Mehrheiten der Gläubigen beider Religionen sollte wenigstens in Europa möglich sein.

Die Bedingungen für ein solches gleichberechtigtes Mit- oder zumindest Nebeneinander haben Französische Revolution und europäische Aufklärung geschaffen: Seither gilt die Trennung von Staat und Religion als eine der Grundlagen des modernen, des demokratischen Gemeinwesens. Verfassungsrechtlich gesehen ist der Glaube Privatangelegenheit, die Glaubensfreiheit ein vom Staat garantiertes und geschütztes Bürgerrecht. Das steht Christ, Moslem, Jude, Buddhist oder Atheist in gleicher Weise zu.

Gestört oder zerstört werden die Voraussetzungen für eine friedliche Koexistenz von Menschen verschiedener Religionen oder Weltanschauungen immer dann, wenn ein Glaube die Hegemonie im Staate für sich beansprucht. In Deutschland wie in Frankreich und anderen europäischen Ländern auch steht dem das Gesetz entgegen. Was im Alltag jedoch nicht verhindert, dass Angehörige von Religionen, die hier in der Minderheit sind, schief angesehen werden. Davon können noch unsere Eltern ein Lied singen, wenn sie sich als Protestant in einer katholischen Gegend niederließen oder umgekehrt. Das widerfährt heute bisweilen noch ungetauften Kindern, das erfahren Migranten alle Tage.

Religiös aufgestachelter Mob zündet derzeit westliche Botschaften an. Wir finden Entsprechungen auch in unserer Gegenwart: Von Fremdenfeindlichkeit erfüllter Mob zündet Asylantenheime an. Heute schauen wir kopfschüttelnd auf die Vorgänge im Ausland. Damals schaute das Ausland kopfschüttelnd auf uns. Mal die Perspektive wechseln, bewahrt vor Selbstgerechtigkeit.

Es geht nicht darum, das Problem des gewaltsamen Islamismus klein zu reden. Die Sache ist sehr ernst - wie stets, wenn Gruppen von Menschen sich im Besitz der alleinigen Wahrheit wähnen und andere Menschen damit beglücken wollen. Allerdings ist Terrorismus keine Erfindung des Islam. Erinnert sei hier an den Terror der europäischen Staatsdiktaturen im 20. Jahrhundert, der diversen "Befreiungsbewegungen", der RAF und Roten Brigaden oder auch der internationalen Geheimdienste.

Im Namen der Aufklärung

Auf die Frage, woher die aktuelle Gewaltneigung in Teilen der islamischen Welt kommt, gibt der Koran letztlich keine Antwort - mögen die radikalen Gewalttäter selbst sich noch so sehr auf ihn berufen. Auch die Feststellung, dass die islamische Welt keine der europäischen Aufklärung vergleichbare Umwälzung mitgemacht habe, hilft da nicht weiter. Denn erstens war und ist die europäische Neuzeit trotz Aufklärung voll der schrecklichsten Kriege, Gewalttaten und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Oft werden sie sogar im Namen der Aufklärung, im Namen der Freiheit begangenen. Und zweitens weiß die Geschichte von einer ganzen Reihe moslemischer Herrscher und Gemeinwesen zu berichten, die schon zu einer Zeit Aufgeschlossenheit und Toleranz pflegten, als im christlichen Europa noch Ketzer gepfählt und Hexen verbrannt wurden.

Religion ist nicht die Ursache des Kampfes der Kulturen. Religion ist bloß der gefühlte Begriff für den diffusen Zorn über eine unbefriedigende Lebenswirklichkeit. Die aber hat vor allem mit auseinander brechenden Sozialstrukturen und Kulturselbstverständnissen zu tun, mit Staatspolitik, Machtpolitik und Wirtschaftspolitik. Fatal daran ist: Je mehr die Religion in den Vordergrund geschoben wird, umso schlechter kommt man an die eigentlichen Probleme heran.
 
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