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2006-02-13 Tanztheater:
Kresnik tanzt den "deutschen Herbst"
Chroeographisches Theater Bonn führt 1990 in Bremen entstandenes Tanztheaterstück "Ulrike Meinhof" auf
 
ape. Bonn.  Politisch ist das Tanztheaterstück „Ulrike Meinhof“ eines der umstrittensten aus dem jüngeren Schaffen des Johann Kresnik. Doch gilt die 1990 in Bremen ur-, 1993 an der Berliner Volksbühne wiederaufgeführte Arbeit künstlerisch als eine der gelungensten. Auch an der Oper Bonn konnte sich das Premierenpublikum jetzt dem Sog dieser szenischen Frauenbiographie, in der sich deutsche Zustände spiegeln, nicht entziehen. Die 90 Minuten  über den Lebensweg der Ulrike Meinhof zwischen bürgerlicher Beengung, linkem Journalismus, RAF-Terrorismus und Gefängniselend erhielten zurecht starken Beifall.
 
„Ulrike Meinhof“ kann als Gegenstück zur Kresnik-Produktion „Hannelore Kohl“ gelesen werden. Terroristin und Kanzlergattin – so verschieden sie sind, haben ihre Schicksale bei Kresnik doch Parallelen. Als Mädchen von monströsen  Elternfiguren mit besitzergreifender „Zuwendung“ bis hin zur Vergewaltigung drangsaliert, von äußeren Kräften auf entfremdete Lebensgleise gezwungen, enden beide erbarmungswürdig: Die Kohl in einer Hölle aus Lärm und Licht; die Meinhoff zwischen zwei Glasscheiben gepresst als Schreckensasservat.

Das Stück beginnt gallig. Bevor es in die Vita Meinhofs zurückblendet, tritt die Frau  (Francina Borges) in unsere Gegenwart. Die Bühne zugemüllt mit Packmaterial einschlägiger Hamburger-Brätereien. Wie Würmer winden sich Menschen  BigMacs mampfend, stopfend, ausspeiend durch den Müll. Entgeistert schaut Ulrike auf das, was aus Deutschland, dem wiedervereinigten, geworden ist: Ein Land Konsumsüchtiger, die im Schlager-Pop-Gleichschritt zur spaßigen Vaterlands-Polonaise aufmarschieren. Hitler und Stalin treiben in einer Lederhose Volksentertainment, Uncle Sams Riesenhut überragt alle. Und man rückt Ulrike auf den Leib, um sie mit Fresschen freiheitlich zwangszubeglücken.

Billig ist sie, diese Gegenwart, und hat doch manches gemein mit jener Vergangenheit, die die Jugend der 1960er auf die Barrikaden trieb. Marylin Monroe singt über einen blutend hingestreckten Vietnamesen. Ein die deutsche Wiederbewaffnung symbolisierendes Duo in SS- und in Bundeswehruniform nimmt die renitente Ulrike in die Mangel. Feine Gesellschaft in Pelzen schreitet zum Opernball… Und die Journalistin Meinhof (Simona Furlani) schreibt  dagegen an; unablässig klappert aus dem Off die Schreibmaschine. Vergeblich, man spuckt ihr das Papier ins Gesicht – und legt ihr auf einem Nerz die Pistole zu Füßen.

Während die Masse der Altersgenossen zur Genussorgie zurückkehrt, tanzt die  Stadtguerilla ihren Kampf, legt Andreas Bader (Przemyslaw Kubicki) Feuer – marschiert die Staatsmacht im Schweißerkittel auf, um das Land mit Giftspritzen vom Ungeziefer zu befreien. Kresnik zeichnet dann in beklemmenden Folterbildern, was er für das Martyrium der gefangenen RAF-Terroristen (Linda Ryser als gefangene Ulrike) hält.

Man kann dem Choreografen Einseitigkeit vorwerfen, denn er thematisiert das Leid, das die Terroristen anderen antaten, nur am Rande. Aber Ausgewogenheit war Kresniks Sache nie. Sein Blick gilt den Menschen hinter den öffentlichen Zerrbildern, gilt stets auch der Frage nach den Bedingungen ihres Werdens. Das Licht, das dabei auf Gesellschaft und Geschichte fällt, erhellt in bisweilen krasser Zu- und Überspitzung vornehmlich hässliche Seiten. Sich mit denen auseinander zu setzen ist auch Aufgabe der Kunst.
 
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