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2006-03-06:
„Idar-Oberstein schmückt sich“

Aufbruchstimmung in der alten Schmuck- und Edelsteinstadt an der Nahe
 
ape. Idar-Oberstein.  Ein komplexes Langzeitkonzept aus Stadt- und Hochschulentwicklung, Kunst und Künstlerförderung, internationalem Austausch in Theorie und Praxis soll Idar-Oberstein zum modernen Schmuckzentrum von europäischem Rang machen.
 
Es sind ehrgeizige, weit über den Ort und die Region hinausgreifende  Ziele, die Hans Jürgen Machwirth und Willi Lindemann zu Beginn des Jahres 2006 formulierten. „Wir wollen uns weiter als weltoffenes kreatives Zentrum für Unikatschmuck profilieren“, erklärte Oberbürgermeister Machwirth, bei der Vorstellung des „Idar-Oberstein schmückt sich“ betitelten Jahresprogrammes seiner Stadt zum Thema Schmuck und Edelsteine. „Mit diesem Paket wollen wir in der europäischen Schmuckszene ganz vorne mitspielen“ unterstrich Lindemann Absicht und Anspruch, die sich mit dem aus 15 Ausstellungen plus  Kolloquien und Symposien sowie aus diversen anderen Unternehmungen bestehenden Mammutprogramm verbinden.

Wobei Programm eigentlich das falsche Wort ist. Denn es geht hier um mehr und anderes, als bloß eine Abfolge „schmückender“ und interessanter Veranstaltungen. Die  rheinland-pfälzische Stadt an der Nahe verfolgt seit einiger Zeit ein auf Langfristigkeit angelegtes Entwicklungskonzept sehr besonderer und für eine Kommune dieser Größenordnung eher ungewöhnlichen Art. Das knüpft an die große Geschichte des Ortes als Hochburg der Schmuck- und Edelsteinverarbeitung in Deutschland an. Für die Eröffnung von Zukunftsperspektiven baut es jetzt in besonderer Weise aber auf die Wirkung eines kulturell motivierten  neuartigen Dialoges in der internationalen Schmuckszene – mit Idar-Oberstein im Zentrum, von dort angestoßen und vorangetrieben.

BINNENWIRKUNG UND AUSSENAUSSTRAHLUNG

Eine Vielzahl miteinander verwobener Aktivitäten, Projekte, Prozesse zielt in gleicher Weise auf inspirierende Binnenwirkung wie profilierende Außenausstrahlung. Örtliche Wirtschaft und auch Stadtverwaltung waren anfangs distanziert, räumt der Oberbürgermeister ein: „Es war kein unmittelbarer Nutzwert ersichtlich, und der Gedanke, dass dieser Weg einen langen Atem braucht, musste erst reifen.“  Knapp vier Jahre später sähen alle Seiten „das völlig entspannt“, entstünde in wachsendem Maße ein innerörtliches Miteinander. Denn: „Wir stellen fest, dass der Name Idar-Oberstein in der nationalen wie internationalen Schmucklandschaft, auch und besonders bei den jüngeren Branchenvertretern, einen immer besseren Klang gewinnt.“     

„Wenn man Fachleute hat, dann soll man die machen lassen“, so Hans Jürgen Machwirths Devise. Sein Fachmann fürs Langzeitkonzept ist Willi Lindemann, künstlerischer Leiter des Kulturfestivals „Idar-Oberstein leuchtet“.  Unter dessen Einfluss wuchs im Rahmen des Festivals seit 2002 der Programmschwerpunkt Edelsteine und Schmuck heran. Wobei als kultureller Angelpunkt deren höchstentwickelte Form dient: die zeitgenössische künstlerische Edelsteinbearbeitung und die Schmuckkunst. Wie sie etwa von ortsansässigen Künstlern gepflegt werden, deren international bekanntester wohl Bernd Munsteiner sein dürfte. Wie sie auch am Idar-Obersteiner Fachbereich für Edelstein und Schmuckdesign der FH Trier gelehrt werden.

NEUER MASTER-STUDIENGANG SCHMUCKDESIGN

Dieser Fachbereich ist eine der wichtigsten Säulen in der Strategie, Idar-Oberstein zum international ausgerichteten Zentrum für Edelsteine und Schmuck zu entwickeln. Mit knapp 60 Studierenden ist er zwar eine vergleichsweise kleine Bildungseinrichtung, dennoch handelt es sich um den größten Studiengang für Schmuckdesign in Deutschland. Wurden bisher in Idar-Oberstein in diesem Fach Diplomabschlüsse erzielt, so wird von 2007 an hier auch ein hoch spezialisiertes Masterstudium angeboten. Der Fachbereich avanciert also zum akademischen Bildungsgang -  ihm und damit auch Idar-Oberstein als Hochschulstandort würden im Erfolgsfall herausragende Bedeutung nicht nur in der deutschen Schmuckszene zufallen.

Erfolg ist indes nicht automatisch garantiert. Denn der Zukunftsbestand des Studiengangs hängt letztlich davon ab, ob eine hinreichende Zahl von Studierenden den Weg nach Idar-Oberstein einschlägt. Das wiederum hängt entscheidend ab von der Qualität und dem Profil des Studienangebots sowie der Umfeldbedingungen am Hochschulstandort selbst. An diesem Punkt greifen die städtische Strategie sowie die Anstrengungen der FH-Professoren Theo Smeets und Ute Eitzenhöfer ineinander. Die Professoren laden für den Mai zu einer europäischen Konferenz der Schmuckhochschulen nach Idar-Oberstein ein. Die  Zusammenkunft zielt mit einer konkreten Kooperation auf die Internationalisierung der Schmuckstudiengänge. Angedacht sind unter anderem Austauschsemester der Master-Studenten von den Schmuckhochschulen in Tallin (Estland), Bratislava (Slowakei), Birmingham (Großbritannien), Porto (Portugal) und Idar-Oberstein.

DIE SCHMUCKWELT KOMMT AN DIE NAHE

Beziehungen zwischen den Hochschulen gibt es teils schon seit Jahren, der künstlerische Austausch zwischen ihnen und darüber hinaus läuft. Das Programm „Idar-Oberstein schmückt sich“ bietet jetzt mit mehreren Ausstellungen dem internationalen Schmuckdialog ein breites Forum. Die Schau „Exchange“ beispielsweise dokumentiert ab 2. April in der Nahe-Stadt  Arbeiten von Austauschstudenten aus Bratislava und Idar-Oberstein. Von 21. Mai an wird die Jugendstil und Art Déco-Sammlung der Fachhochschule Turnov (Tschechien) präsentiert. Es folgen Ausstellungen mit Schmuckkunst aus Birmingham, von der französischen Künstlergruppe „Corpus 6“ oder der Vereinigung „öhuLoss“ aus Tallin. Dazu kommen Werkschauen renommierter Einzelkünstler wie Herman Hermsen oder Suska Mackert sowie zwei große Vergleichsausstellungen: Unter dem Titel „Chroma“ präsentieren Studenten von fünf europäischen Fachhochschulen und aus Idar-Oberstein gemeinsam ihre Schmuckarbeiten; im Herbst zeigt Marzee (Niederlande), Europas größte Schmuckgalerie, eine Kollektion von Abschlussarbeiten aus über 20 Schmuckhochschulen weltweit.

Vergleich, Austausch, wechselseitige Anregung, weltoffene und fachlich hochrangige Diskussionen: Die Studierenden sollen in Idar-Oberstein eine inspirierende, vitale Schmuckkultur finden; die Schmuckwelt soll über diese Stadt sprechen, weil diese Stadt auch  ein internationales Diskurs-Forum ist, auf dem ästhetische und theoretische Diskussionen gebündelt werden und von dem neue Impulse ausgehen. Es sind viele Projekte, die auf dieses Ziel hinsteuern. Etwa das wissenschaftliche Colloquium „Schmuck – Denken. Unterwegs zu einer Theorie des Schmucks“ das im Mai 2006 seinen zweiten Jahrgang erlebt. Oder der im Oktober erstmals stattfindende „International Jewellery Workshop Idar-Oberstein“, bei dem Schmuckkünstler aus sechs europäischen Ländern mit zwei örtlichen Kollegen eine Woche
lang zusammenarbeiten. Diese gemeinsame Initiative von Stadt und FH schließt Vorträge der beteiligten Künstler an der Hochschule ebenso ein wie die Stiftung eines während der Woche entstandenen Schmuckstückes für die in Gründung befindliche Städtische Schmuckkollektion Idar-Oberstein.

NUTZUNGSSPEKTRUM FÜR INDUSTRIEDENKMAL BENGEL

Ebenfalls neu in den Projekte-Kanon aufgenommen wird 2006 das von Smeets und Eitzenhöfer betreute Programm „Artist in Residence“, das regelmäßig namhafte Schmuckkünstler für zwei- bis dreimonatige Arbeitsaufenthalte nach Idar-Oberstein holt. An dieser Stelle kommt die zweite zentrale Säule von Lindemanns Langzeitkonzept ins Spiel: die historische Bijouteriewaren-Fabrik Bengel. Im Arbeiterwohnhaus des 1871 gegründeten Unternehmens werden die Künstler von auswärts leben, in den erhaltenen und noch funktionstüchtigen Werkstätten arbeiten, die alte Fabrikantenvilla wird für sie und für andere Präsentationen als Ausstellungszentrum dienen. Das historische Ensemble gilt inzwischen als in Rheinland-Pfalz einmaliges Industriedenkmal von nationaler Bedeutung und Zeugnis einer einstmals für Idar-Oberstein prägenden Industriekultur. „Artist in Residence“ ist Teil eines Prozesses zur Sicherung des Denkmals und zur Entwicklung fachadäquater Nutzungsperspektiven für das Ensemble.

Die Gastkünstler – eine erste Gruppe in diesem Sommer besteht aus Kathleen Fink, Beate Klockmann und Vera Siemund - werden bei Bengel auch auf örtliche Studierende treffen. Denn in der alten Schmuck- und Uhrenkettenfabrik stehen jetzt Ateliers für die angehenden Schmuckdesigner zur Verfügung. Wo einst der international verbreitete Bengelsche Art Déco-Schmuck entworfen wurde, fertigen heute Studierende ihre Examens-Stücke oder bereiten sich auf den Einstieg ins Berufsleben als Schmuckkünstler vor. So erwächst dem „lebendigen Industriedenkmal“ Zug um Zug ein beeindruckendes Nutzungsspektrum an der Nahtstelle zwischen regionaler Industriegeschichte, zeitgenössischer Schmuck-Innovation und internationalem Austausch. Eine zukunftsträchtige Bedeutungszuweisung von Gewicht also, die das historische Ensemble und die Bengel-Stiftung gut gebrauchen können. Denn trotz kräftigen Engagements seitens Landesdenkmalpflege, Stiftung, Stadt und Kreis bedarf es noch erheblicher Anstrengungen bis auch nur die bauliche Substanz hinreichend gesichert ist.

AUF DEM WEG ZUM EUROPÄISCHEN SCHMUCKZENTRUM

Das Langzeitkonzept lässt allmählich sichtbar werden, welche Bedeutung eine derartige Nutzung des Bengelschen Industriedenkmals im Verbund mit der Fortentwicklung der Fachhochschule sowie dem Programm „Idar-Oberstein schmückt sich“ für die Aufwertung des Standortes Idar-Oberstein zu einem innovativen europäischen Schmuckzentrum gewinnen kann. Und so wie die Schmuckwelt verstärkt nach Idar-Oberstein kommt und auf  Idar-Oberstein schaut, so verstärkt auch Edelstein- und Schmuckkunst von der Nahe ihre Präsenz andernorts.

Im ersten Quartal 2006 etwa zeigten FH-Studenten ihre Arbeiten als Teil einer multi-künstlerischen Installation zuerst im benachbarten OrgelArtMuseum Rhein-Nahe, anschließend auf der Branchenmesse „Inhorgenta“ in München. Großes Interesse erfuhr auf der Messe auch die Gemeinschaftsschau „Von wegen Stein – Tendenzen 2005“ von sieben Edelsteingestaltern aus dem Raum Idar-Oberstein. Über mehrere Wochen sorgte Bernd Munsteiners Ausstellung „Reflexionen in Stein“ in der anderen großen Schmuckstadt Deutschlands, Pforzheim, für beträchtliches Aufsehen. In der zweiten Jahreshälfte wird Idar-Oberstein für vier Monate in der tschechischen Schmuckmetropole Turnov mit der Ausstellung „Jakob Bengel – Art Déco-Schmuck aus Deutschland“ zu Gast sein.

„Kann Schmuck Kunst sein, und unter welchen Bedingungen?“ So lautet eine der Leitfragen für das diesjährige wissenschaftliche Colloquium „Schmuck – Denken“. Für eine abseits der Metropolen liegende Kleinstadt stellt sich die Frage in einer sehr handfesten Variante: Kann die lebendige, kontinuierliche Auseinandersetzung um Theorie und Praxis der Schmuckkunst beitragen, aus der einst großen Tradition heraus Idar-Oberstein als modernes Schmuck- und Edelsteinzentrum von europäisch führendem Rang zu entwickeln? Machwirth, Lindemann, Smeet und andere Träger der Langzeitstrategie antworten mit einem eindeutigen „ja“. Die seit 2002 (mit vergleichsweise bescheidenem Geldeinsatz) erzielten Fortschritte sprechen dafür. Doch der Weg ist noch lang.   


(Gesamtprogramm und Einzelheiten zu
 „Idar-Oberstein schmückt sich“ im Internet unter
www.io-leuchtet.idar-oberstein.de

Kontakt: Tel.  06781/64118, E-Mail wilhelm.lindemann@idar-oberstein.de)
 
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