Thema Kritiken / Theater
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2006-03-11 Kritik:
"Glückliche Tage" oder die Absurdität
des Daseins
 

Becketts Klassiker in Bonn - Wieder eine Herausforderung für die Sehgewohnheiten
 
ape. Bonn. Es gibt in Bonn etwas, das Samuel Beckett (100. Geburtstag am 13. April) mit seinem Sinn fürs Eigentümliche wohl hätte schmunzeln lassen. Das dortige große Schauspielhaus nennt sich nach der kleinen Theaterform „Kammerspiele“; die sind ein ehemaliges Kino und stehen in Bad Godesberg. Die Frage vorab war: Wie bringt Regisseur Stefan Heiseke das Eineinhalbpersonen-Stück „Glückliche Tage“ des Literatur-Nobelpreisträgers Beckett mit dem für diesen Zweck eigentlich viel zu großen Theater zusammen? Denn der Zuschauer muss nahe dran sitzen, muss die Gesichtszüge der Hauptdarstellerin deutlich erkennen können, weil sie fast das einzige sind, das sich in diesem Stück maßgeblich bewegt.
 
Sinnfällige Lösung: Der Zuschauerraum wird auf die ersten zehn Sitzreihen verkleinert – was die Abonnenten irritiert, aber Kammeratmosphäre und Blicknähe schafft. Gesine Kuhns Bühnengestaltung setzt den berühmten Erdwall für das legendäre Stück vorne an die Rampe. Die übrige Ödnis verliert sich im Dunkel der Bühnentiefe. Stockfinsternis umgibt das Publikum, ein einzelner Scheinwerfer zwingt den Blick ins Zentrum des nach gewöhnlichen Maßstaben völlig ereignislosen Geschehens.

Zentrum?  Die Fläche, die eine bis unter den Busen eingegrabene Frau mit den Händen erreichen kann. Winnie heißt die Frau im Stück, deren Lebensraum demnach etwa einen Quadratmeter bemisst. Von einer Klingel aus dem Schlaf gezerrt, versucht sie, zwangsweise an Ort und Stelle verharrend, den Tag herum zu kriegen – mit Spiegel, Zahnbürste oder Lupe hantierend, über die Banalitäten des Unveränderlichen plappernd: „Keine Verschlechterung, keine Verbesserung, keine Veränderung – große Gnaden.“ Und wenn der unsichtbar hinterm Erdhügel pennende, maul- und bewegungsfaule Gatte Willie (Wolfgang Jaroschka) ihr mal einen Grunzer zukommen lässt, ereifert sie sich selig: „Es wird wieder ein glücklicher Tag gewesen sein.“

Ein sinnloses Dasein wird hier vorgespielt, eine Absurdität von Leben. Frustrierend, wär´s eine Metapher auf die Wirklichkeit. Aber ist es nicht eben das?  Oder was soll die eingegrabene Frau sonst bedeuten? Schon die Frage sei „Quatsch“, kanzelt Winnie  potenzielle Fragesteller und Sinnsucher ab. Damit folgt sie ihrem Erfinder Beckett,  der  Deutungshilfen für seine Stücke stets kategorisch verweigerte. Selbst ist der Zuschauer: Sieh hin und denke (dir deinen Teil)!

Die Formästhetik von „Glückliche Tage“ ist 45 Jahre nach der Uraufführung 1961 in New York wieder sehr befremdlich. Sperrte sich das  Werk anfangs gegen die handlungsorientierten Sehgewohnten am Theater, so bereitet es heute dem durch filmische Schnellschnitt-Ästethik geprägten Sehen Mühe. In Kino und TV haben wir uns an Schnitte im Sekundentakt gewöhnt, in Becketts Stück kommt der erste und einzige Schnitt nach etwa eineinhalb Stunden: Im zweiten Akt schaut nur noch Winnis Kopf aus der Erde heraus.

Zusehen meint hier: Starren  in ein Gesicht. Meint: Hinein gesogen werden ins winzige Gesichtsfeld dieser Frau. Das macht zweieinhalb  Stunden frei von Kurzweil, aber auch befreit von Ablenkung. Das macht auch zwei Stunden des Staunens über Schauspielerin Anke Zillich und ihr Vermögen, aus glückseligem Strahlen Frust, Leere,  Unglück wachsen zu lassen, und umgekehrt.
 
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