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2006-03-20 Stadtkultur:
Junge Künstler beleben Industriedenkmal in Idar-Oberstein

Historische Bijouteriewarenfabrik Bengel bietet  Schmuckstudenten der örtlichen Hochschule Arbeitsraum und Inspiration
 
ape. Idar-Oberstein.  Junge Schmuckdesigner stärken in Idar-Oberstein die Zukunftsperspektive eines Industriedenkmals. Erstmals haben sechs von ihnen in der historischen Bijouteriewarenfabrik Bengel Ateliers bezogen. Wo von 1871 bis ins 20. Jahrhunderts Schmuck hergestellt wurde, wirken nun aufs Neue gestalterische Geister.
 
Auf den ersten Blick ist das dreiteilige Gebäude-Ensemble am Rande der Nahe-Überbauung nicht eben das, was man gemeinhin unter Denkmal versteht. Das Haus mit den ehemaligen Arbeiterwohnungen und die 1910 daneben errichtete Fabrikantenvilla machen zwar einen soliden Eindruck. Aber am zentralen Manufakturbau der 1871 gegründeten „Bijouterie- und Uhrenkettenfabrik Jakob Bengel“ in Idar-Oberstein hat der Zahn der Zeit gewaltig genagt. Das Landesdenkmalamt leitete 2004 erste Maßnahmen gegen den drohenden Verfall ein. Viel bleibt noch zu tun, bis auch nur von Sicherung des Baubestandes die Rede sein kann.

Und doch handelt es sich um ein Industriedenkmal. Um ein gar nicht unbedeutendes obendrein wie Denkmalschützer aus ganz Deutschland bei einer Besichtigung im Februar 2005 feststellten: Das Bengel-Ensemble sei als Zeugnis regionaler Industriegeschichte ein Kleinod von nationalem Rang, schwärmten die Fachleute seinerzeit. Besonders angetan waren sie von den bestens erhaltenen und nach wie vor funktionstüchtigen historischen Maschinen, von Werkstätten und Lagern, die aussehen, als seien die Beschäftigten nur eben mal in die Frühstückspause gegangen.

Nach langem Dornröschenschlaf kehrt nun Zug um Zug Leben zurück. Im ersten Fabrikgeschoss hat die von Erben des Firmengründers ins Leben gerufene Stiftung Bengel  in kleinem Liebhaber-Umfang die Produktion von einst hier entworfenem und hergestelltem, dann in die große Modewelt verbreitetem Art Déco-Schmuck reanimiert. Ein Stockwerk darüber macht sich die nächste Ausbaustufe im „Belebungsplan“ für das Industriedenkmal bemerkbar: Sechs junge Schmuckdesigner nutzen jetzt ehemalige Fabrikräume als Ateliers.

Das alte Holztreppenhaus hinauf, hinein in einen schmalen Etagenflur, von dem es zwischen Materialregalen rechts und links in kleine Räume geht. Der Fußboden knarzt, Türen quietschen, Farben blättern, auf den Wänden liegt die Werkstatt-Patina von Arbeitsgenerationen. „Altbau vorletztes Jahrhundert, unrenoviert“, schießt es einem durch Kopf. „Unlängst entrümpelt, ausgekehrt und gewischt, dann für unsere Nutzung hergerichtet“, beschreiben drei der sechs Atelierbenutzer, auf die wir treffen, ihre Erstaktion. Die drei jungen Frauen sind: die Dänin Kirsten Bak, die Kölnerin Verena Darlath und die Berliner Deutsch-Koreanerin Sunhi Jäger.

An die Arbeitsmöglichkeiten im Bengel-Denkmal sind sie über ihren Professor an der Fachhochschule für Schmuck- und Edelsteinsteindesign  in  Idar-Oberstein gekommen. Theo Smeets leitete das Atelier-Angebot von Bengel-Stiftung und Stadt an die Studenten weiter, wo es dankbar aufgegriffen wurde – und nun von einer Studentenbelegung zur nächsten weiter gereicht wird. „Die Miete ist niedrig, eigentlich nur ein Unkostenbeitrag“, erklärt   Sunhi, die im siebten Semester an der Nahe studiert, weil es in Berlin keine Schmuckschule gibt.

„Die Arbeitsmöglichkeiten bei Bengel sind ideal für uns“, schwärmt Verena, deren Schmuckstudium jetzt zu Ende geht. Das Atelier bei Bengel kommt für sie gerade rechtzeitig, damit sie in Ruhe ihre Diplomstücke entwerfen und herstellen kann. Was führte sie nach Idar-Oberstein? Nach vier Semestern Architekturstudium in Köln war ihr klar geworden, dass sie  Gestalterisches mit den Händen schaffen, also in Richtung Schmuck und Edelstein gehen möchte. „Was das angeht, ist Idar-Oberstein mit seiner Tradition einfach eine legendäre Stadt und bietet, was Köln eben nicht zu bieten hat“ – ein vorwiegend auf  Schmuck und Edelstein orientiertes Gesamtumfeld.

Kirsten Bak hat ihr Schmuck-Studium bereits beendet. Vor Jahren war sie nach Idar-Oberstein gekommen, weil  in ihrer Heimat Dänemark eine vergleichbare Ausbildungsmöglichkeit nicht existiert. Sie nutzt – was im „Belebungs-Konzept“ ausdrücklich vorgesehen ist – das Atelier im Industriedenkmal zur Gestaltung der Übergangsphase vom Studium ins Berufsleben.

Begeistert sind alle drei von der „inspirierenden Kraft“ der alten Bijouteriefabrik. Entdeckungen haben sie gemacht: Unter einer Raufasertapete eine historische Küchenbekachelung freigelegt, in einem stillgelegten  Schornstein versteckte Schmuckkreationen längst verstorbener  Vorgänger gefunden. Auf deren Hockern sitzen sie, an deren Werktischen arbeiten sie; das einstige Goldlabor ist heute ihre Teeküche. Und wer mal eine Ruhestunde braucht, zieht sich nach nebenan in ein fensterloses Lager zurück, wo zwischen uralten Gesenken und Werkzeugen gut meditieren ist.

Das Zusammenwirken mit der Bengel-Stiftung sei prima, so die Frauen. Sie können die alten Maschinen für ihre Arbeit mitbenutzen. Sie können in der Bengel-Villa ihre Produkte ausstellen oder bekommen die dortigen Räume auch mal für einen eigenen Workshop. Neugierig sehen Kirsten, Verena und Sunhi auch der nächsten „Belebungsphase“ für das Bengel-Denkmal entgegen: Sie werden vom Frühsommer an neue Nachbarn bekommen – renommierte Kollegen ihrer Zunft, die als „Artists in Recidence“ auf Zeit im Bengel-Ensemble leben, arbeiten und ausstellen werden.

Beim diesem Ortstermin wird deutlich: Junge Kreative und alte Produktionsstätte inspirieren sich gegenseitig – das Denkmal „lebt“.
 
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