Thema Kultur
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2006-04-27:
Bad Ems auf dem Weg zur Marke „Offenbach-Stadt“

Kurstadt an der Lahn setzt verstärkt auf die Künste – Klassische Musik ist ein wichtiges Standbein

 
ape Bad Ems. Auch Goethe war hier. Besser sagt man wohl: Auch hier, in Bad Ems, war Goethe. Denn wo  wäre der Dichter und Wanderer nicht vorbei gekommen oder eingekehrt? „Goethe war hier“, der Spruch ist deshalb fürs Regionalrenommee eher nachrangig. Ottmar Canz, Bürgermeister von Bad Ems, räumt das im Gespräch umstandslos ein, denn seine Stadt hat andere Pfunde, mit denen sie wuchern kann. Während draußen die  Frühlingssonne Stadt, Fluss, Kuranlagen und einige Baustellen mäßig erwärmt, sitzen wir im alten Rathaus zu Fünfen beisammen: Canz, Stadtmarketingchef Robert Lohkamp, Bezirkskantor Lutz Brenner, der stellvertretende Leiter des Offenbach-Festivals Ralf-Olivier Schwarz und der Berichterstatter. Um worüber zu plaudern? Die Bedeutung der klassischen Musik für die Entwicklung der Kleinstadt, Kreisstadt, Lahnstadt, Kurstadt Bad Ems.
 
Keiner nimmt das Wort in den Mund, und doch geht es auch in der geschichtsträchtigen nassauischen „Lahn-Metropole“ um die allerorten dringlich gesuchten „Alleinstellungsmerkmale“. Um Merkmale also, die dieser Stadt im Chor der vielen für sich werbenden Städte an ein oder zwei Stellen unverwechselbare Solopartien zuweisen. Brückenfestival, Drachenboot und Ruderregatta, Rosenball und ein bekannter Blumenkorso, dazu Oldtimer-Treffen, Kurkonzerte, Kellerkabarett und diverse Gastspiele im Kurtheater – das und mehr summiert sich übers Jahr zu einer lebhaften Szenerie, wie sie einer Kreis- und Kurstadt gut ansteht. Im lokalpatriotischen Sinn mag das schon als „einmalig“ erscheinen. Im deutschen, gar europäischen Städtechor freilich reicht das für ein Solo nicht hin.

Ottmar Canz weiß, dass dafür tiefer geschürft werden muss. Der bergbauliche Ausdruck ist im Zusammenhang mit Bad Ems kein Missgriff, denn historisch verbanden sich dort auf ungewöhnliche Weise europäische Kurstadt und regionales Bergbau-Zentrums. Was ein seltenes Zusammentreffen war und deshalb im geschichtlichen Stadtbewusstsein durchaus in die Nähe besagter Alleinstellungsmerkmale gerückt werden kann (könnte) – die sozialhistorisch düsteren Kehrseiten inklusive. Unser Thema sind indes die Künste. Wie sieht es da mit solchen Merkmalen aus? Im 18. und besonders 19. Jahrhundert war Bad Ems eine erste Adresse unter den Künstlern der alten Welt. Zwecks Erholung reisten sie zuhauf an. Wichtiger noch war manchen wohl die Kontaktpflege im Dunstkreis von Industriebaronen, Fürsten, Kaiser und Zaren, die regelmäßig mitsamt Bagage und Schranzen an der Lahn logierten.

Wie gesagt: Goethe war hier. Für die kulturelle Stadtgeschichte wichtiger aber war  Dostojewski, der während mehrerer Aufenthalte am „Jüngling“ oder den „Gebrüdern Karamasow“ arbeitete. Oder Richard Wagner, der dort seinen „Parzifal“ vollendete, wo heute das Stipendiatenzentrum des Landes für die zeitgenössische Bildende Kunst untergebracht ist, im Schloss Balmoral. Wer gab Bad Ems noch die Ehre? Nicolai Gogol, Carl Maria von Weber, Victor Hugo, um nur ein paar zu nennen. Und natürlich Jacques Offenbach, der 1819 in Köln geborene Pariser Begründer der Gattung Operette. Dem von Rheuma geplagten Kapellmeister der Comédie Francaise und nachherigen Direktor des „Théâtre des Bouffes-Parisiens“ an den Champs-Elysées wurde Bad Ems für zwölf Jahre fast zur zweiten Heimat. Hier stellte er den „Orpheus“ fertig, komponierte acht Ein- und Zweiakter. Im Emser Kursaal brachte er zwischen 1858 und 1866 etliche seiner Musikparodien erstmals vor „edles“ Publikum. Will sagen: Offenbach gebrauchte den zur Kur versammelten  Hochadel als Vorkoster, bevor er seine Stücke in Wien, Paris und anderen Metropolen auf die Bühnen stellte.

Der Herr Offenbach ist ein Pfund für Bad Ems, darüber herrscht in der  Rathausrunde Einigkeit. Und das Jacques-Offenbach-Festival ist es auch. Heuer findet es von 31. Mai bis 16. Juni zum 16. Mal statt. Dieses Festival weist gleich mehrere Alleinstellungsmerkmale auf. Vor mehr als 25 Jahren aus der Taufe gehoben, darf es als ältestes „klassisches“ Musikfestival im nördlichen Rheinland-Pfalz gelten. Es sei, so Ralf-Olivier Schwarz, nach Anspruch und Umfang das bedeutendste ganz Offenbach gewidmete Festival weltweit. Diese Einschätzung wird nicht nur durch das hochkarätige Programm und das ambitionierte Konzept des Festivals gestützt, sondern auch durch eine baugeschichtliche Besonderheit am Ort: Marmorsaal und Theater im historischen Kurhaus sind die letzten noch im Originalstil erhaltenen europäischen Wirkungsstätten von Offenbach.

Wenn hier schon seine Werke in Original-Umgebung aufgeführt werden können, dann sollen es auch die Originale, die Ur-Werke sein. So mag sich der Frankfurter Professor Peter Ackermann gedacht haben, als er vor zwei Jahren die Festivalintendanz übernahm. Was leicht gesagt ist, aber schwer getan, denn diese Ur-Formen sind vielfach verschütt´ gegangen. Weshalb sich im Umfeld des Festivals inzwischen eine rege Offenbach-Forschung entwickelt hat. Mit dem nicht nur die internationale Gemeinde der Offenbachianer entzückenden Ergebnis, dass jedes Jahr in Bad Ems seit ewigen Zeiten nicht mehr oder noch nie gehörte Urschriften von Offenbach zur Aufführung kommen.

In diesem Jahr wird das WDR-Rundfunkorchester Köln zwei fast unbekannte Offenbach-Einakter konzertant präsentieren (4.6.) und das SWR-Rundfunkorchester die deutsche Erstaufführung einer revidierten kritischen Fassung von „Schuster und Millionär“ spielen (16.6.). Daneben bietet das Festival 2006 eine Reihe von Schmankerln, darunter etwa ein Abend, der Offenbach und Nestroy wieder zusammenführt. Oder ein Klavierkonzert mit Marco Sollini, das eine Kooperation des Offenbach-Festivals mit dem Rossinin-Festival in Wildbad eröffnet. (Programm unter www.offenbach-festival.de).

Wie auf der einen Seite Bad Ems mit seinem Offenbach-Engagement nicht nur sich selbst nützt, sondern zugleich die Festivallandschaft in Rheinland-Pfalz mit einer tatsächlichen „Einmaligkeit“ bereichert, so tragen auf der anderen Seite zwei RLP-Landesfestivals zur  Aufwertung des Musiklebens in der Lahn-Stadt bei. Als Mitglied der Trägergemeinschaft des neuen „RheinVokal“-Festivals darf Bad Ems sich am 17. Juni im Glanze eines großen, Mozart gewidmeten Konzertabends mit dem SWR-Sinfonieorchester unter Sylvain Cambreling sonnen. Vier Wochen später (19.7.) bringt RheinVokal dann Dietrich Fischer-Dieskau als Rezitator ins Kurtheater. Zusammen mit musizierenden Freunden wird der einstige Lied-Bariton von Weltformat unter dem Motto „Weisen von Liebe und Tod“ nachdenklich stimmende Tiefen der Moderne ausloten.

Seine Abrundung erfährt das Veranstaltungsensemble musikalischer Hochklassik mit einem Orgelkonzert, das der New Yorker Organist David Brigg an der 1995 eingeweihten Sandner-Orgel der katholischen Kirche St. Martin gibt (10.9.). Dieser Beitrag der Internationalen Orgelfestwochen des rheinland-pfälzischen Kultursommers ist in Bad Ems eingebettet in ein bemerkenswertes örtliches Kirchenmusik-Programm. Das erstreckt sich über das ganze Jahr und bringt unter dem Titel „Internationale Orgelkonzerte Bad Ems“ abwechselnd oder gemeinsam heimische wie auswärtige Chöre und Organisten von Rang vors Publikum.

So steht zwar das Offenbach-Festival mit seinen Alleinstellungsmerkmalen als überregional bedeutsame Säule im Zentrum der Bad Emser Musikkultur. Weil es dort aber nicht allein steht, bleibt klassische Musik in Bad Ems auch keine Sache von bloß zweieinhalb Wochen im Frühsommer. Canz und Mitstreiter wollen „Bad Ems – die Offenbach-Stadt“ als Marke im öffentlichen Bewusstsein weit über Rheinland-Pfalz hinaus verankern. Was braucht es dazu? Offenbach-Forschung, Offenbach-Aufführungen und beides auf höchstem Niveau. Was braucht es noch? Eine rundum beschwingte, eine rundum geistesoffen dem Spott und der Satire zugetane und vor allem eine rundum musikalische Stadt. Das ist die Chance,  das ist auch die Herausforderung.
 
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