Thema Kultur
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2006-04-29 Musik:
Frischzellenkur für die „Königin der Instrumente“

Orgelfestwochen verbinden historisches Erbe mit musikalischer Moderne
 
ape. Rheinland-Pfalz.  Es gibt sie in diesem Jahr zum 15. Mal: die Internationalen Orgelfestwochen Rheinland-Pfalz. Die Reihe mit ihren jährlich rund 20 Konzerten quer durchs Land ist eine Säule des rheinland-pfälzischen Kultursommers von Anfang an. Eine wichtige Säule, denn das Festival verknüpft auf interessanteste Art hiesige Kultur- und Handwerkstradition mit internationalem Musikschaffen in Vergangenheit und Gegenwart.

„Die Orgel ist ohne Zweifel das größte, kühnste, herrlichste aller von menschlichem Geist erschaffenen Instrumente“, schwärmte dereinst Honoré de Balzac. Der französische Schriftsteller kam 1799 zur Welt. Zu dieser Zeit hatte der Orgelbau auf dem Gebiet des heutigen Rheinland-Pfalz bereits eine lange Entwicklung hinter sich. Deren Kern waren die in Eifel und Hunsrück beheimateten Orgelbauer-Dynastien König und Stumm. Ihnen vor allem ist es zu danken, dass unser Land über eine außerordentliche Dichte hervorragender historischer Orgeln verfügt. Die prägten auch in kleinen Dorfkirchen abgelegener Gegenden über Generationen die regionale Musikkultur.

Die älteste erhaltene Stumm-Orgel stammt von 1723 und steht in Rhaunen (Hunsrück). Die vermutlich allererste Orgel im heimischen Raum stand einst im Dom zu Worms, datiert auf das Jahr 1259 – und damit die erste Orgel überhaupt im gesamten Südwesten Deutschlands.  Das Instrument ist nicht erhalten, auch das Schicksal seiner Nachfolger verliert sich bisweilen in den Wirren der Zeitläufe. Fürs 18. Jahrhundert sind  Verhandlungen mit den Gebrüdern Stumm belegt, ob die aber je in Worms gebaut haben, bleibt offen. 724 Jahre nach Einweihung der ersten Orgel erhielt der Wormser Dom 1985 eine neue Schwalbennestorgel von Klais, 1996 errichtete die Firma Oberlinger aus dem rheinland-pfälzischen Windesheim dort eine Chororgel.

Dieser kleine Ausflug in die Geschichte belegt für Rheinland-Pfalz eine große, bis in die Gegenwart reichende Orgel-Tradition. „Umso kurioser ist es“, erklärt Dan Zerfaß, „dass die Region kaum Orgel-Komponisten von Rang hervorgebracht hat.“  Der Wormser Domkantor und künstlerische Leiter der Orgelfestwochen verweist auf die Praxis vieler Komponisten andernorts, Werke ausdrücklich für die Möglichkeiten einzelner Instrumente komponiert zu haben. „Das fehlt uns“, weshalb es eine besondere Herausforderung für die Orgelfestwochen darstelle, passende Literatur, nebst geeigneten Organisten, für die heimischen Orgeln zu finden.

Da ziehen sie dann übers Land, die Fachleute der Orgelfestwochen, prüfen die Instrumente und überlegen, wer auf dem jeweiligen was spielen könnte. Manchmal ruft man sie zu „Ausgrabungen“, denn noch immer wird hie und da unter dem Staub des Vergessens ein musikalisches Altertümchen entdeckt. Gemeinsam mit örtlichen Vereinen und Liebhabern geht es an die Erforschung, Restaurierung und Pflege der Orgelschätze. Ziel und Zweck des Engagements ist keine museale, sondern eine klingende Orgellandschaft – die Orgelfestwochen tragen vor allem mit Organisten von Rang aus der Musikwelt, aber ebenso  mit regionalem Musikeraustausch zur künstlerischen Belebung bei.

Auch bei den 21 vor allem im September stattfindenden 2006er-Konzerte werden sehr alte und ebenso ganz junge Instrumente bespielt. Darunter etwa die Rieger-Orgel in  Marienstatt/Westerwald, die nach ihrer Einweihung 1960 als DIE Orgel in Rheinland-Pfalz galt. Nach einer umfassenden Aufarbeitung wird sie zum Auftakt der diesjährigen Festwochen wieder in ganzer Pracht erklingen. Jüngstes Instrument im rheinland-pfälzischen Bunde ist – neben der Oberlinger-Orgel in Worms und der 1995 erbauten Sandner-Orgel in der St. Martins-Kirche Bad Ems – die eben erst fertig gestellte Woehl-Orgel in Oppenheim.

Wie die Orgeln Vergangenheit und Gegenwart miteinander verbinden, so auch die Musik, die während der Festwochen auf ihnen realisiert wird. Die klassischen Altmeister kommen zu Gehör, die Meister der Moderne nicht minder. Sakrale Musik nimmt naturgemäß breiten Raum ein, aber auch Weltliches nebst Grenzüberschreitungen zu Jazz, Pop, ja selbst bildenden und darstellenden Künsten finden hier Werkstatt und Bühne. Im Verlauf von 15 Jahren erwuchs dem Orgelfestival aus all diesen systematischen Bemühungen ein ausgezeichneter Ruf in der internationalen Szene. Dem folgen inzwischen namhafte Organisten aus ganz Europa gerne – obwohl die hiesigen Gagen vergleichsweise bescheiden sind.

So können die Orgelfestwochen ein ums andere Mal verdeutlichen, dass die Orgel nicht nur überkommenes Instrument ist, um alte Meisterwerke zu spielen und das Brauchtum zu pflegen. Sondern dass in ihr zugleich enormes künstlerisches Potenzial für das Kulturleben der Gegenwart steckt. Diesem Ansinnen dienen auch Angebote für Kinder, die bei den Orgelfestwochen Tradition haben. „Ran an die Pfeifen!“, heißt es dann. Hören, sehen, spüren, welche Power und welches Feingefühl in ihnen stecken kann. Erkennen, dass Orgeln keineswegs als bloß Antiquitäten aus grauer Vorzeit sind.

(Programminfo: www.kultursommer.de)
 
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