Thema Kultur
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2006-05-30:
Der nächste Schritt „unterwegs zu einer Theorie des Schmucks“

Idar-Obersteiner Symposium „Schmuck – Denken“ stieß im zweiten Jahr auf wachsendes Interesse in der europäischen Szene
 
ape. 120 Teilnehmer sind für ein wissenschaftliches Colloquium ordentlich. Für eine zweitägige Veranstaltung zum Thema „Unterwegs zu einer Theorie des Schmucks“ in der  Fachhochschule von Idar-Oberstein ist solch ein Plenum phänomenal. Zumal die meisten Teilnehmer aus ganz Deutschland und sechs weiteren Ländern Europas eigens angereist waren. Zum zweiten Mal lockte jetzt „Schmuck – Denken“, wie das Colloquium sich programmatisch nennt, Künstler, Ausstellungsmacher, Wissenschaftler und Studierende.
 
Schon das erste „Schmuck – Denken“ 2005 mit 80 Teilnehmern, hatte die Schmuckszene interessiert aufmerken lassen. Denn der Idar-Obersteiner Diskursansatz stößt in eine kulturwissenschaftliche Lücke vor, die für Schmuckkünstler schmerzhaft ist: Theoretische Durchdringung ist allen Künsten seit eh und je selbstverständlich. Allen, außer der Schmuckkunst. Tagungsleiter Willi Lindemann erinnerte daran, dass Schmuck, dass das Sich-Schmücken zwar so alt ist wie der Mensch selbst. Dennoch gibt es bis heute allenfalls verstreute Denkansätze, aber noch immer keine wirkliche Theorie des Schmucks.

Es existiert noch nicht einmal eine systematische Schmuckgeschichte. Die Kunstgeschichte enthalte kein entsprechendes Kapitel erläuterte die Kunsthistorikerin Ellen Maurer-Zilioli in Idar-Oberstein. Grund: Schmuckgestaltung galt bis weit ins 20. Jahrhundert als bloßes Kunsthandwerk. Dass Schmuck sich über seine Funktion als schmückendes oder Status unterstreichendes Accessoire erhebt und Kunst wird, wurde ausgeschlossen oder „in der Rezeption unterschlagen“. Der Wiener Schmuckavantgardist Manfred Niesslmüller – ein Star in der Szene – meinte bei seinem Vortrag zwar, dass ihm der Kunstgedanke beim Schaffen eher im Wege stehe und eine Theorie des Schmucks Utopie sei. Doch auch er forderte, dass zumindest eine Schmuckgeschichte geschrieben werde, damit Publikum und Galeristen endlich mal  Maßstäbe an die Hand bekämen.  

Was ist Schmuck? Was Schmuckkunst? Im vergangenen Jahr hatten vor allem Ethnologen, Philosophen, Kultur- und Naturwissenschaftler diese Fragen im interdisziplinären Diskurs erörtert. Beim diesjährigen „Schmuck – Denken“ erfolgte die Annäherung mehr über die Auseinandersetzung mit Werken und Aktionen konzeptionell arbeitender Schmuckkünstler. Niesslmüllers Qeuvre stützt seine These: „Schmuck ist Störung“ - Störung der Erscheinung des Trägers, Störung der konventionellen Wahrnehmung. Da kann eine Brosche schon mal aus Fleisch bestehen, neuer Schmuck aus der „Zerschnippelung“ von altem hervorgehen.

Suska Mackert stellte Arbeiten vor, die nicht Schmuck sind, sondern dessen Wirkung hinterfragen. Fotos etwa, die staatsmännische Ordensverleihungen zeigen, auf denen die Orden wegretuschiert wurden. Die außerordentliche Intimität dieser Begegnungen, wird jetzt erst augenfällig, nachdem die sie vermittelnden Schmuckstücke verschwunden sind. Die Britin Jivan Astfalck präsentiert Arbeiten von Schmuckhochschülern aus Birmingham und Idar-Oberstein, die sich zur Rauminstallation „Lifelines“ (Lebenslinien)  zusammenfügen.

Soll Schmuck Kunst werden, kann sein Gegenstand nicht mehr Schönheit, sondern muss Weltdeutung sein. So Lindemann in einem Theorem, das Schmuckkunstwerke als autonome  Ausstellungsobjekte definiert, die zwar prinzipiell eine Person schmücken könnten, die aber nicht zu diesem Zweck erschaffen wurden. Schmuck für die Vitrine? Das ist einerseits ein Widerspruch an sich, erklärte Cornelia Holzach, Leiterin des Schmuckmuseums Pforzheim. Andererseits erhöht, ästhetisiert, entprofanisiert die museale Präsentation die Schmuckstücke, erleichtere es dem Publikum, sie als Kunstobjekte zu betrachten. Objekte freilich, die schon wegen ihres generell kleinen Formats im Kunstbetrieb einen schweren Stand haben.  

Dieses Handicap wird auch an den vier Ausstellungen deutlich, die in Idar-Oberstein parallel zum Colloquium eröffnet wurden. 60 Exponate aus dem tschechischen Schmuckzentrum Turnov versammelt die Schau „Vom Jugendstil zum Art-Déco“ im Deutschen Edelsteinmuseum (bis 9.7.). Eine stolze Anzahl, aber räumlich doch eine vergleichsweise kleine Ausstellung. Ähnlich das Aussstellungsprojekt „Schmuck-denken/Zeit-denken“ (bis 25.6.), das mit teils wunderbar gearbeiteten, tiefsinnigen Stücken der französischen Künstlergruppe Corpus 6 zwei Zimmer der Villa Bengel belegt. Auch die Studenten-Installation „Lifelines“ in der örtlichen Kreissparkasse (bis 7.7.) und einige von Suska Mackerts Arbeiten in der Fachhochschule (bis 30.6.) muten keineswegs „opulent“ an.

Für das Genre Schmuckkunst sind die vier Ausstellungen zusammen eine bedeutende Sache.  Als „groß“ im quantitativen Event-Sinn wird aber auch das Quartett kaum wahrgenommen werden – obwohl winzigen Schmuckkunstwerken die gleiche Kreativität, Potenz zur Weltdeutung und Arbeitsmenge innewohnen können wie großformatigen Gemälden. Aber der Blick des Publikums und des Kunstbetriebes tut sich schwer mit dem geduldigen Zoom auf die künstlerischen Miniaturen. Auch dieses Phänomen gehört zu den vielen Fragen, die das „Schmuck – Denken“ in Idar-Oberstein „unterwegs zu einer Theorie des Schmucks“ zu sammeln und zu diskutieren begonnen hat. Fortsetzung im kommenden Jahr.

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Weiter zur ausführlichen Würdigung des 2. Colloquiums 2006:
2006-06-04 Kultur:
"Schmuck - Denken 2", internationales Symposium zur Theorie des Schmucks in Idar-Oberstein (Langfassung)


Weiter zur ausführlichen Würdigung des 1. Colloquiums 2005:
 2005-06-02: Ambitioniertes Schmucksymposium
in Idar-Oberstein


Weiter zum Kurzbericht über das 1. Colloquium 2005:
 2005-05-30: Schmuck in Idar-Oberstein

 
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