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2006-08-27 Literaturszene:
Mittelrheinisches Literaturleben im Internet

Projekt in Koblenz will regionales Netzwerk knüpfen – Autoren, Termine, Texte unter www.literaturnet.uni-koblenz.de
 
APE. Was würde einem spontan zu diesem Thema einfallen: „Die Mittelrhein-Region als literarischer Raum“? Allzu viel eher nicht. Heinrich Heine vielleicht und sein Loreley-Gedicht, das auf den „Godwi“-Roman des Ehrenbreitsteiners Clemens Brentano zurückgeht. Selbiger begründete zusammen mit seinem Koblenzer Nachbarn Joseph von Görres und seinem Schwager Achim von Arnim nebst dessen Gattin Bettine (also Brentanos Schwester) maßgeblich die literarische Romantik, namentlich die Heidelberger und die vom Rhein. Jenseits dieser heimatkundlichen Allgemeinplätze wird die Luft gleich dünne. An den Andernacher Charles Bukowski könnte man sich erinnern, wegen der unanständig schönen Skandale. Joseph Breitbach (Ehrenbreitstein) könnte einem einfallen, weil auch er geschrieben hat, vor allem aber den höchstdotierten Literaturpreis Deutschlands gestiftet.

Bei ordentlicher Anstrengung spuckt das Gedächtnis noch einige Namen aus: Sophie La Roche, Fritz von Unruh, Clara Viebig-  hiesige Autoren/innen durchaus von Rang und Verdienst; wie die Vorgenannten allerdings längst verstorben, obendrein nicht mit Bestsellern gesegnet und also im Bewusstsein des breiten Publikums kaum präsent. Als literarischer Raum macht der Mittelrhein im kulturhistorischen Rückblick nicht eben metropolitane Figur.  Und wie steht es mit der Gegenwart? Die hat der Vergangenheit schon mal eines voraus: Im Internet eine Page, auf der fleißige Studenten (Studierende muss man heute sagen) systematisch Namen von und Infos über noch lebende Autoren zusammen getragen haben, die vom Mittelrhein stammen, hier leben oder die Region in ihren Werken würdigen respektive verwursten. Überraschung bei der Erstbegegnung mit www.literaturnet.uni-koblenz.de : Die Autorenliste zählt fast 100 Namen auf.

Wohlgemerkt, es handelt sich um noch lebende Schriftsteller/innen; zumindest im Moment und sofern es keine unbekannt gebliebenen Todesfälle gegeben hat. Denn dieses Internetportal ist jung, wurde im Wintersemester 2003/04 von Seminaristen des Studiengangs Bibliothekswissenschaft der Uni Koblenz erstellt und mit Basisdaten gefüttert. Im Semester darauf gab es im Rahmen eines weiteren Seminars am Germanistischen Institut der Uni zahlreiche Begegnungen zwischen einzelnen Autoren und Studenten. Daraus entstanden weiterführende Aufsätze und Artikel über die betreffenden Mittelrhein-Schriftsteller, die nun als vertiefendes Material die Internetseite bereichern. „Das ist ein Anfang, quasi ein Grundgerüst, das man Zug um Zug ausbauen kann“, erklärt Dr. Helga Arend, Erfinderin und Leiterin des Literaturnet-Projektes.

100 GEGENWARTSAUTOREN

In der Anfangsphase halfen Fördermittel des Freundeskreises der Universität beim Aufbau der Internetplattform. Zurzeit stehen Arend keine eigenen Finanzmittel für das Projekt zur Verfügung, weshalb die Seite von ihr, einer Mitarbeiterin und Studierenden quasi im Ehrenamt gepflegt wird. Da wäre der eine oder andere Sponsor nicht nur hilfreich, sondern auch recht am Platze! Denn diese Internetplattform leistet Pionierarbeit, führt zusammen, was zusammengehört, aber nicht von alleine zusammenwächst. Diese Internetplattform ist der einzige Platz in der Welt, auf dem Autoren und Publikum unter der Systematik „hiesig = mittelrheinisch“ einander begegnen, voneinander erfahren können.

100 Gegenwartsautoren sind für einen überwiegend ländlich geprägten Raum, wie ihn die sieben einbezogenen Landkreise von Altenkirchen bis Birkenfeld darstellen, eine ordentliche Zahl. Nicht alle können die Bekanntheit und Verkaufszahlen des auch schreibenden Schauspielers Mario Adorf (Mayen) oder des Eifel-Kriminialisten Jacques Berndorf erreichen. Nicht jeder kann wie Dagmar Leupold (Lahnstein), Gerhard Henschel (Vallendar), Hanns-Josef Ortheil (Westerwald) oder Botho Strauß (Bad Ems) immer wieder die Aufmerksamkeit der überregionalen Literaturkritik auf sich ziehen. Tilmann Röhrig, Annegret Held, Norbert Scheuer, Heinz-Peter Baecker oder Kloy haben auch jenseits der Regionalgrenzen ihr Publikum gefunden. Anderen gelang das nicht, wieder Andere strebten nie danach. Alle zusammen aber bilden sie den Chor unserer hiesigen Literatur, von der Helga Arend sagt:  „Die Literatur der Region kann eine Gemeinschaft stiftende Rolle für die Region spielen.“

www.literaturnet.uni-koblenz.de will auch eine Art Angel- und Orientierungspunkt für das literarische Leben in der Region sein. Die Präsentation der heimischen Autoren ist dabei ein Element, die Zusammenstellung von aktuellen Literatur-Veranstaltungen in der Region sowie die Verlinkung mit literaturaktiven Institutionen ein anderes. Die Veröffentlichung auch von ganz unbekannten Schreibern eingereichter Texte unter der Rubrik „Leseproben“ ein drittes. Kann da nun jeder Wald- und Wiesendichter seine Ergüsse ablassen? „Wir sind zwar nicht streng, legen bei der Auswahl aber doch schon ein paar Mindeststandards an“, so Arend. Die Wissenschaftlerin hat Erfahrung mit der Sichtung, Bewertung, Auswahl literarischer Texte ganz unterschiedlicher Qualitätsklassen: In der Jury für den alle drei Jahre vergebenen Koblenzer Literaturpreis hat sie die Sichtung und Vorbewertung der Wettbewerbseinsendungen übernommen.

STUDIOSI ZIEHEN MIT

Wie kommt man überhaupt auf die Idee für ein solches Literaturportal im Internet? Das hatte auch, so Arend, mit dem Koblenzer Literaturpreis zu tun: „Ich fand es immer schade, dass so viele interessante, aber ganz unbekannte Autoren nach dem Jury-Entscheid wieder von der Bildfläche verschwanden.“ Einen weiteren Anstoß gaben Ende der 90er Studierende: Die Uni-Dozentin hatte damals ein Seminar „Autoren der Region“ angeboten, das seinerzeit ziemlich überraschend von den Studiosi „supergut angenommen wurde“. Diesem Werdegang ist wohl geschuldet, dass die Internetseite sich bislang auf Gegenwartsautoren konzentriert. Helga Arend will nicht ausschließen, dass „irgendwann einmal und wenn wir das Geld dafür hätten“ die Plattform um eine Abteilung über mittelrheinische Literaturgeschichte ergänzt wird.

Derzeit liegen ihr allerdings zwei andere, sehr gegenwärtige Themen mehr am Herzen. Erstens: Die Entwicklung eines eigenen literarischen Kindernetzwerkes, das am Mittelrhein Kinderbuchautoren, Schulen, Bibliotheken, Buchhandlungen, Pädagogik-Institute, Theater … zwecks Leseförderung näher zusammenführt. Zweitens: Die Literaturmatinee 2007 im Koblenzer Stadttheater wird der Schriftstellerin Sophie La Roche (1739 – 1807) gewidmet sein, die dereinst bei ihren berühmten Salons in Ehrenbreitstein hochmögende Kollegen wie Jacobi, Herder, gar Goethe begrüßen durfte. An diese Tradition würde Helga Arend gern anknüpfen und einige der mittelrheinischen für einen gemeinsamen Matinee-Auftritt gewinnen.

„Literaturnetz Mittelrhein“ nennt sich die Internetplattform, der eben gerade ein neues Outfit verpasst wurde. Die Doppeldeutigkeit des Namens ist gewollt: Literarischer Mittelrhein im Netz, Vernetzung literarischer Interessen und Ambitionen am Mittelrhein. Ein Anfang, alles im Fluss und doch schon ganz schön was auf die Beine gestellt. Ein spannendes Projekt, ein wertvolles Projekt: Anklicken, nutzen, einsteigen, unterstützen!  
Andreas Pecht

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