Kritiken Theater
homezur Startseite eMail an Autor • eMail to author • contact auteureMail an den Autor Seitenübersicht • sitemap • Plan du siteÜbersicht sitemap Seite drucken • site print • imprimer siteArtikel drucken



2006-09-26 Schauspielkritik:
Ein "Hamlet"-Experiment

Tilman Gersch inszenierte den Klassiker in Wiesbaden als Desillusionierung
 
ape. Wiesbaden.  Das Staatstheater Wiesbaden hat Glück mit seinen Inszenierungen des „Hamlet“. 1997 gab Annegret Ritzel, heute Intendantin in Koblenz, dort mit einer fast fünfstündigen Einrichtung der Shakespeare-Tragödie ihren Ausstand als Schauspieldirektorin. Damals spielte Dirk Diekmann die Titelrolle als von Rachedurst gehetzter, dem Irrsinn naher Jüngling. Das war ein starker Abend – wie jetzt auch Tilman Gerschs Inszenierung  des Klassikers einer ist. Gemeinsam  haben beide, dass  Teile des Publikums von den jeweils mehr abstrakt-artifiziellen denn konventionell-erzählerischen Umsetzungen weniger angetan waren/sind.
 
Auf die Bühne des Großen Hauses hat diesmal Ariane Salzbrunn eine leere, betongraue, nach hinten leicht ansteigende Bodenplatte als Spielfläche gebaut. Deren Länge kann mittels eines beweglichen Schnürlevorhangs variiert werden. Vor und nach ihren Einsätzen sitzen die Schauspieler in  Geschäftsleuteklamotten rechts und links der Platte herum, warten, schauen  den Kollegen zu.

Solche Umgebung ist vom Ansatz her völlig ungeeignet etwa für den berühmten gruselszenischen Geist-Auftritt des toten Königs und Vaters von Prinz Hamlet. Ebenso unvorstellbar wäre hier ein quasi-realistischer Showdown mit Degenduell,   Giftmischerei und herzergreifendem Weh wegen wechselseitiger und irrtümlicher Massakrierung. Zwar sind am Ende alle tot, die es nach Shakespeare sein müssen. Ihr Sterben vollzieht sich aber eher beiläufig: Weil es der Text vorschreibt, wird eben gestorben. Oder sagen wir besser: Man legt sich nieder, um zu sehen, wie Sterben und Todsein sich auf die Szene auswirken.

Was Regisseur Gersch da auf der Basis der spröden Textübertragung von Heiner Müller vorführen lässt, ist ein „Hamlet“-Experiment. Der kühle Versuchsaufbau zielt auf  völlige Desillusionierung im Äußeren. Claudius (Lars Welling) betreibt das Machtgeschäft: Seinen Bruder, den König, hat er ermordet, den Thron okkupiert und die alte, willige Königin (Monika Kroll) gleich mit. Derart  verliert Hamlet Vater, Krone und die Liebe zur Mutter.

Carlo Ljubek muss in der Titelrolle nun austesten, wie solches Unglück sich auf Hamlet auswirken kann. Er wirkt relativ gefasst, auch wenn er sich seltsam benimmt und darin Shakespeare folgt. Will sagen: Er brüllt, greint und speit sich nicht fortwährend die Seele aus dem Leib, wie es einst Diekmann meisterlich tat. Bei Ljubek wird das Leid nur manchmal laut, brodelt, sticht, brennt, quält vielmehr unter einer juvenil-flappsigen Kruste. Eher scheint sich dieser Hamlet ins Unvermeidliche zu ergeben: in diese Welt, die „ein wüster Garten“ ist, wie der wunderbar  janusköpfig launisch aufspielende Ljubek mit weißer Farbe an die Bühnenseiten pinselt.

Hoher Shakespeare-Ton neben schnoddriger Gegenwartssprache, theatralischer Spielgestus neben gewöhnlichem Mit- und Gegeneinander: das hat System in dieser Inszenierung. Die Ophelia von Katalyn Bohn kommt als ebenso sportive wie selbstbewusste Frau daher. Selbstmord passt nicht zu ihr – ein Einwand, der von der Regie geradezu provoziert wird.

Bei Shakespeare sollen zum üblen Schluss Laertes (Michael Birnbaum) und Hamlet bewaffnet aufeinander losgehen. Bei Gersch dreschen beide stattdessen mit Äxten auf Steine ein und übergießen sich mit Theaterblut. Das ist Ersatzhandlung, Dampf ablassen, Ritual statt Totschlag. Und das ist Theater – mehr Fragen aufwerfend als Antworten gebend. Sehenswert, bedenkenswert.
Andreas Pecht
 
Diesen Artikel weiterempfehlen was ist Ihnen dieser Artikel
und www.pecht.info wert?
 
eMail an Autor • eMail to author • contact auteureMail an den Autor
eMail an webmaster • eMail to webmaster • contact webmastereMail an webmaster Seitenanfang • go top • aller en-hautan den Anfang Seite drucken • site print • imprimer siteArtikel drucken