Kolumne Begegnungen regional
Thema Menschen / Initiativen
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2006-10-07 Begegnungen:
Rolf Wegeler und die Musik-Tradition

Begegnung XIII: Der Intendant des Musik-Instituts Koblenz über das Jubiläum der Stiftung, Zukunftsängste und -pläne
 
ape. Koblenz. Das 1808 gegründete Musik-Institut Koblenz ist eine nicht alltägliche Erscheinung in der deutschen Musikszene, es ist zugleich die älteste kulturelle Bürgerstiftung am Mittelrhein und zusammen mit der Rheinischen Philharmonie Zentrum des klassischen Konzertlebens in Stadt und Region. Ich sprach für die dreizehnte Folge der Reihe "Begegnung" mit Rolf Wegeler, dem Intendanten des Instituts, über Programm-Spagat, Sorgen um die Orchesterzukunft und Probleme mit dem Publikumsnachwuchs.
 
Die ganze Stadt redet über die Reanimation der Idee einer Seilbahn vom Rhein-Mosel-Ufer (Deutsches Eck) hinauf zur Festung Ehrenbreitstein. Auf seine Ansicht zum luftigen Brückenschlag anlässlich der Bundesgartenschau   2011 in Koblenz angesprochen, reagiert Rolf Wegeler mit skeptischem Kopfwiegen und Daumendrücken gleichermaßen. "Seit Jahrzehnten wurde die Seilbahn immer wieder diskutiert, und verschwand doch jedes Mal in der Schublade. Aber es sollte mich freuen, wenn dieses Mal alle Hindernisse überwunden werden."

Wir stehen am Fenster, blicken von der vierten Etage hinunter auf den herbstlichen Görresplatz. "Wegeler-Erben" steht auf einem modernen Klingelpaneel im Parterre. Oben dann ein historisches Türschild: "Geheimrat Julius Wegeler", Firmenname und zugleich Reverenz an einen Großen der Familie aus dem 19. Jahrhundert. Hinter der Tür residiert der 72-jährige Intendant des Musik-Instituts Koblenz in seinem privaten Zwei-Zimmer-Büro. Von hier aus betreibt der "aktive Pensionär", wie Rolf Wegeler seinen Status nennt, sein Engagement in Sachen Wein und Musik.

Die Dynastie Wegeler, ihre Weingüter an Rhein und Mosel, ihre (ehemalige) Kellerei Deinhard, ihr Engagement über Generationen für die Kultur in dieser Stadt - das wäre eine eigene, große Story. Die "Begegnung" streift sie, weil die Wegelers und das bald 200-jährige Musik-Institut zwei wichtige Koblenzer Traditionslinien bezeichnen, die vielfach verbunden sind. Warum wird Beethoven in Koblenz fast als Genius loci verehrt? Weil seine Mutter eine Hiesige war. Und: Weil sein Bonner Jugendfreund und Biograf Franz Gerhard Wegeler sich 1807 in Koblenz niederließ. Warum könnte ohne die Wegelers das Koblenzer Musik-Institut 2008 womöglich keinen 200. Geburtstag feiern? Weil die Familie die 1808 gegründete Einrichtung der Musikpflege schon früh großherzig mit Stiftungskapital ausstattete.

JUBILÄUM IM JAHR 2008

Das schießt mir durch den Kopf, während Rolf Wegeler noch überlegt, was er über das 2008er Jubiläumsprogramm dieser "ältesten kulturellen Bürgerstiftung am Mittelrhein" preisgeben darf. So viel: "Über das Jahr verteilt werden drei zentrale Veranstaltungen stattfinden: Festakt, Festkonzert sowie Festmesse für und mit dem Chor." Mit Chor ist der Instituts-eigene gemeint, dessen Heraushebung dem Intendanten am Herzen liegt, schließlich war Förderung des Gesangs eine Kernaufgabe des Musik-Instituts von Anbeginn. Der heutige Chor steht in historischer Nachfolge der einstigen Singschule des Instituts.

Wie schon bei anderen "Begegnungen" mit alteingesessenen Koblenzern spürt man auch bei Wegeler diesen gewissen Stolz auf die Geschichte hiesigen Bürgertums. Das hielt der Kunst stets besonders die Treue, wenn die Obrigkeit diesbezüglich schwächelte. Dem Fürstenhof fehlte Geld fürs "Residenztheater", also sprangen Bürger ein. Clemens Wenzeslaus floh 1794 vor den Franzosen, also trommelten die Bürger Musiker seiner in alle Winde zerstreuten Hofkapelle zusammen und bildeten so den Grundstock für neues Orchesterleben unter der Ägide des bürgerlichen Musik-Instituts.

Aus solcher Tradition war es für das Institut selbstverständlich, in jüngster Vergangenheit sofort am Protest gegen die Orchesterreform teilzunehmen. "Wir sind glücklich, dass am Ende 66 klingende Stimmen für die Rheinische Philharmonie vereinbart wurden. So verfügt das Orchester über eine ordentliche Basis, und können mit Verstärkungen aus der Orchesterkooperation auch groß besetzte Werke noch gespielt werden."

Eben freut sich Wegeler über das erste Anrechtskonzert der neuen Saison, bei dem neulich die Rheinische unter Daniel Raiskin mit der fünften Schostakowitsch-Sinfonie Jubel hervorgerufen hatte. Im nächsten Moment legt er die Stirn in Sorgenfalten: "Was aber passiert 2008, wenn der jetzige Haustarifvertrag bei der Rheinischen Philharmonie ausläuft? Es darf nicht passieren, dass dann alles wieder in der Luft hängt oder gar zusammenbricht."

So sieht denn Rolf Wegeler zugleich mit Freude und Bangen 2008 entgegen. Das 200. Jahr des Musik-Instituts markiert auch den Höhepunkt seiner vierten Amtsperiode als Intendant. 1975 war er in den Vorstand gewählt worden, 1989 wurde er stellvertretender Intendant, 1993 dann "Chef".

Vom Titel "Chef" mag er für sich als Intendant nichts wissen. "Chef", das ist auch nicht der Vorsitzende des Musikinstituts, ein Amt, das qua Satzung seit 200 Jahren stets dem Koblenzer Oberbürgermeister zufällt. "Chef" nennt Wegeler nur einen: den Chefdirigenten des Hausorchesters, also der Rheinischen Philharmonie, jetzt also Raiskin. "Auf den setzen wir größte Hoffnungen; denn wenn das Orchester so mitzieht wie jetzt bei ihm, überträgt sich das auch auf unser Publikum", meint der Intendant, der die bisherige Zusammenarbeit mit Raiskin als "sehr eng, sehr gut und sehr konstruktiv" beschreibt.

Was nicht immer selbstverständlich ist. Ich insistiere auf die bisweilen durchaus unterschiedlichen Interessen von Institut und Musikdirektoren: Ersteres muss das Bedürfnis seiner bald 1000 Abonnenten nach populären Klassikern bedienen, während Letztere oft den ungewöhnlichen Werken zuneigen. Ich weiß es, Wegeler weiß es auch, er mag aber über Schnee von gestern nicht sprechen: Es hat in früheren Jahren schon ganz schön gekracht zwischen Musikinstitut und Orchesterleitung. "Wir legen Wert auf Ausgewogenheit", definiert Wegeler die Programmlinie des Musik-Instituts.

Ganz einfach sei das beim "kritischen Koblenzer Publikum" allerdings nicht. Denn bisweilen werde hier "schon Brahms der Moderne zugerechnet", zitiert Wegeler aus einem Besucherbrief. Das klassische Erbe pflegen, aber auch jüngere Musikentwicklungen vermitteln, so etwa umreißt er den kulturpolitischen Auftrag, zu dem das Musik-Institut steht. Ein steter Tanz auf des Messers Schneide: Während einerseits, auch des Publikumsnachwuchses wegen, nach mehr Moderne verlangt wird, steigt andererseits der freie Kartenverkauf gerade bei Großklassikern.

SPITZENSTELLUNG IM LAND

Die Konzerte des Koblenzer Musik-Instituts gehören zu den ältesten Abonnements-Reihen in Deutschland, hinsichtlich der Besucherzahl nehmen sie eine Spitzenstellung in Rheinland-Pfalz ein. Viele Künstler, die hier gastieren, zeigen sich laut Wegeler begeistert von den Anrechtskonzerten in der Rhein-Mosel-Halle: "Die freuen sich über eine wirklich große Zuhörer-Kulisse. Und immer wieder loben sie das Publikum, weil es sie enthusiastisch und dankbar empfängt und entlässt." Aber wie so oft in der Klassikszene mangelt es auch diesem Publikum an Nachwuchs. "Wir sind uns des Problems der Überalterung bewusst", erklärt Wegeler und verweist auf einen Kreis im Vorstand, der sich ausdrücklich mit der Frage befasst: "Wie kriegen wir junges Publikum?"

Der Stein der Weisen ist noch nicht gefunden. "Wir haben es über die Schulen versucht, aber die Resonanz war schwach", bedauert Wegeler. Es gibt zwar die zehn Anrechtskonzerte im Schüler-Abo zum halben Preis, ebenso Einzelkarten an der Abendkasse für Schüler, Studenten, Wehr- und Ersatzdienstleistende. Unübersehbar bleibt dennoch: Die großen Anrechtskonzerte sind herausragende Konzertereignisse in der Region, doch fällt offensichtlich der Generationswechsel von den 70-plus- zu den 50-plus-Abonnenten leichter als die Gewinnung eines ordentlichen Anteils von Konzertbesuchern unter 30. Eine gewisse Ratlosigkeit kann auch der Intendant in dieser Frage nicht verbergen. Er sieht bei den jungen Leuten generell wenig Neigung zu einer Abo-Bindung.

Mit einem weinenden und einem lachenden Auge schaut Rolf Wegeler auf die Konkurrenzlage: "Ich finde bedauerlich, dass es in der Innenstadt so viele Leerstände gibt. Im Gegensatz dazu aber ist das Koblenzer Kulturangebot für eine Stadt von 100 000 Einwohnern enorm. Theater, Museen, Klassik, Jazz, Pop: Es gibt nichts, was es hier nicht gibt. Darüber muss der Bürger froh sein, darauf darf er sogar stolz sein" - auch wenn dem altehrwürdigen Musik-Institut Koblenz nach 200 Jahren aus ebendieser kulturellen Vielfalt neue Herausforderungen erwachsen.
Andreas Pecht
 
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