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2006-10-13 Kommentar:
Brauner Nachwuchs reichlich

Zu rassistischen Ausfällen im Stadion von Bratislava und auf einem Schulhof in Sachsen-Anhalt
 
ape. Sie lassen einen 16-Jährigen mit einem Schild um den Hals öffentlich Spießruten laufen. Auf dem Schild steht: „Ich bin im Ort das größte Schwein, ich lass mich nur mit Juden ein!!!“ Sie rotten sich hinter der Reichkriegsflagge zusammen und beleidigen tausende Slowaken mit dem Gebrüll „Zick-Zack-Zigeunerpack!“. Zwei Vorfälle nicht aus den 1930er-Jahren, sondern aus dieser Woche. Der erste fand statt auf dem Hof einer Realschule in Sachsen-Anhalt, der zweite beim EM-Qualifikationsspiel im Fußballstadion von Bratislava. „Sie“, die Täter, sind in beiden Fällen junge Deutsche. Ob diese Vorfälle die einzigen rassistisch-rechtsextremen Untaten der zurückliegenden Woche waren, ist nicht bekannt. Sie sind öffentlich geworden, während andere in einer jährlich anwachsenden Dunkelziffer verschwinden.

In den letzten Jahren wurde selbst von linksliberalen Bildungsbürgern bisweilen bemerkt, die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit sei in Deutschland mit kaum mehr zu überbietender, ja schon fast ermüdender Intensität betrieben worden.  Bleibt die Frage, warum dann die braune Brut nicht nur nicht ausstirbt, sondern sich wieder munter vermehrt. Wie schaffen es Neonazis, sich in Schulen, Jugendzentren, Dörfern, Stadtteilen, in Parlamenten und auf Fußballplätzen einzunisten? Wie kann es gehen, dass sie dort eine eigene Subkultur etablieren, die vor allem im Osten der Republik (aber nicht nur dort) mancherorts und in manchen Gesellschaftsteilen zur schieren Leitkultur wird?

Lobenswerte und unverzichtbare Lehrstunden über die Schrecken der Nazi-Vergangenheit reichen zur Gefahrenabwehr im Heute offenbar keineswegs aus. Wer die Nazis schlagen will, kann sich nicht auf Schule und Polizei allein verlassen; schon gar nicht, wenn diese Institutionen auch noch Mangel leiden oder in einigen Fällen womöglich auf dem rechten Auge ein bisschen blind sind. Wer die Nazis schlagen will, muss mit handfester, zukunftstauglicher Politik an die brennenden sozialen, kulturellen, humanen Fragen heran – und das vor Ort. Das wäre schon in Weimar richtig gewesen, das ist es heute erst recht.       

Der Schriftsteller Ralph Giordano hat die ekelhafte Schulhofszene in Sachsen-Anhalt gestern so kommentiert: „Niemand wird als Judenhasser geboren, der Hass muss ihm souffliert worden sein. Dass er sich frech entfalten kann, liegt an einem Merkmal deutscher Geschichte: Mangel an Zivilcourage.“ Und, möchte man hinzufügen, an einer leider noch viel zu weit verbreiteten Denkart, die etwa zu dieser seltsamen Erscheinung führt: Größte Aufgeregtheit wegen einiger Kopftücher bei gleichzeitiger Gelassenheit oder Gleichgültigkeit gegenüber rassistischen Krakeelern und Schlägern.

Andreas Pecht
 
 
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