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2006-11-11 Ballettkritik:
ballettmainz entdeckt "schiefe" Schönheit

Programm XXII: Beglückende Choreografien von Altmeister Hans van Manen und Newcomer Nick Hobbs - Folkprogramm von Christopher Brucefehl am Platz
 
ape. Mainz. Premiere beim ballettmainz, Programm XXII, ein dreiteiliger Abend. Der erste Teil, „Fantasía“ von Altmeister Hans van Manen: zum Niederknien schön. Der zweite, „Gingerly Tilted Askew“ vom hiesigen Newcomer Nick Hobbs: zum hingerissenen Staunen spannend. Der Schlussteil, „Sergeant Early´s Dream“ vom britischen Gast Christopher Bruce: ganz lustig, aber als folkloristische Tanzshow an diesem Abend im Kleinen Haus des Mainzer Staatstheaters doch eher deplaziert.

Felsen und Meer am Bühnenhorizont. Ein Mädchen schaut im Dämmerlicht sehnsüchtig übers Wasser. Im Vordergrund Paare, die Frauen in langen Röcken, die  Männer in Kniebundhosen. Wehmütig eröffnet eine irische Ballade die Bruce-Choreografie aus volkstümlichen Episoden über Melancholie und Liebelei, über Feierei, Trinkerei, Schlägerei – eben alles, was man gemeinhin mit irischem Brauchtum verknüpft.

Getanzt wird Step- und Squaredance, freilich als Versuch ballettöser Erhöhung. Was das alte Problem aufwirft, dass Volkstanz derart zwar Leichtigkeit gewinnt, aber erdige Kraft verliert und auf dem Weg zur Kunst meist in manierierter Künstlichkeit stecken bleibt. So auch in diesem Fall. Dass die Mainzer Tänzer den Folk-Stil hinkriegen, war  klar. Dass sie Spaß daran haben, auch. Doch das Werk bleibt ein Fremdkörper im Repertoire des ballettmainz – vom Publikum teils mit Vergnügen, teils mit Kopfschütteln aufgenommen.

Der Schritt von Bruce zu van Manen und Hobbs ist der Schritt vom versierten Tanz-Enterainment zur Ballettkunst. Und zu zwei Choreografien , die gewiss keine hinteren Plätze im Repertoire einnehmen werden. Dass Humor auch in der hohen Kunst ihren Platz hat, beweist Nick Hobbs mit „Gingerly Tilted Askew“ zu Alfred Schnittkes Sonate Nr.2.  „Behutsam ins Schiefe gekippt“  übersetzt das Programmheft den Titel des Stückes, das Formelemente von Martin Schläpfer und solche des frühen William Forsythe aufnimmt und zu etwas ganz Neuem verbindet. Neoklassische Strenge in Auseinandersetzung mit individueller Dekonstruktion des „schönen Ausdrucks“, daraus  erwächst ein lebendiges Spannungsgefüge zwischen einerseits Eleganz und Grazie, andererseits kantiger, splittriger Gebrochenheit.

Hobbs verwehrt seinen acht Tänzern den vom Scheitel bis zur Sohle gestreckten Körper. Irgendwo knickt jeder Leib ein, verstößt gegen die Ideallinie. Im geschwinden Miteinander verwischen bisweilen die Konturen der Figuren, bleiben bizarre Bewegungsskulpturen.

Wieder eine reife Arbeit vom Jungchoreografen Nick Hobbs – die allerdings nicht funktionieren würde, hätten  die Tänzer/innen nicht diese Klasse. Man darf deshalb gespannt, was Hobbs im Frühjahr mit der kleinen Koblenzer Compagnie vermag.
„Behutsam ins Schiefe gekippt“ ließe sich auch van Manens „Fatasía“ schön charaktersisieren. Sinnliche Hüftschwünge sind quasi das Grundmotiv seiner Choreografie. Aus deren Energie heraus driften, drängen, schieben die Körper der Tänzer immer wieder aus der Senkrechten in die Schräge.

 Das Konstruktionsprinzip scheint inspiriert durch die gewählte Musik von Johann Sebastian Bach. Wie beim Thomaskantor selig in der Musik, so erwächst beim niederländischen Meisterchoreografen im Tanz aus höchster Strenge und Klarheit der Form ästhetische Schönheit und tiefe Beseeltheit in Inhalt und Affektion – hintergründiger Humor inklusive.

 Hobbs und van Manen beglückend. Das tänzerische Vermögen der Mainzer Compagnie auch für treue Zuseher neuerlich erstaunend. Das bleibt von Programm XXII.
Andreas Pecht

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