Kritiken Theater
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2006-11-27 Schauspielkritik:
Dieser Woyzeck wirft eine Menge
Fragen auf

Beilharz inszeniert den Büchner-Klassiker in Wiesbaden als schieres Paradoxon
 
ape. Wiesbaden. Es ist nicht Manfred Beilharz' Art, Bühnenklassiker mit dem Hackebeil zuzurichten oder partout auf Gegenwärtigkeit zu bürsten. Mit seiner jetzige Einrichtung von Georg Büchners   „Woyzeck“ geht der Intendant des Wiesbadener Staatstheaters einmal mehr das Risiko ein, womöglich als altbacken gescholten zu werden. Ein Vorwurf, den 2002 beim seinem „Zerbrochenen Krug“ die Klugheit texttiefer Inszenierung und die Spielfreude des Rainer Kühn als Dorfrichter Adam entkräftete.
 
Kühn spielt jetzt wieder die Hauptfigur. Ohne diesen armen Soldaten Woyzeck und die Marie von Alexandra Finder  würde der Abend allerlei Pittoreskerien womöglich kaum aushalten. So aber helfen die Not der beiden mit der Armut und der Liebe und der Lust und der Herrschaft hinweg über Märchentantegroßmutter und Kinderreigen, über Hauptmanns-, Arzt-, Tambourmajors- und Leichte-Maid-Chargen.

 Oder missversteht solches Kritisieren den Regieansatz des 68-jährigen Beilharz? Kostüme wie aus dem Weihnachtskinderstück, die Bühne hingegen in spartanischer Leere nach hinten ansteigend. Beide Komponenten des optischen Kontrastes stammen von Bernd Holzapfel. Ähnliche Gegensätze auch in der Spielweise: Franz Nagler, Uwe Kraus und Lars Welling spielen als Hauptmann, Doktor, Tambourmajor saftig volkstheatralische Komödie. Finder indes spielt Horvathsche  Sozialtragödie während Krügers Woyzeck die Sphären von Naturalismus und Realismus längst hinter sich gelassen hat.

Ist schon das 1836 entstandene Werk nur in diversen Fragmenten überliefert, die jede Regie erst zur spielbaren Szenenfolge fügen muss, so erlebt jetzt in Wiesbaden der Zuseher Zerissenheit auch  noch innerhalb jeder Szene. Ist die so unterlaufen, oder ist die gewollt? Seit seiner Regieassistenz 1967 bei Hans Schweikart an den Müchner Kammerspielen hat Beilharz derart reichlich Erfahrungen im Theatergeschäft gesammelt, dass man wohl von Absicht ausgehen darf. Einer Absicht, die vom Premierenpublikum mit kräftigem Schlussapplaus goutiert wird.

Aber man tut sich mit  dieser Binnen-Zerissenheit doch etwas schwer. Soll uns Chargenspiel Hohlheit und Inhumanität der Gesellschaft demonstrieren? Der Hauptmann spottet über die Getriebenheit des Woyzeck und zeiht ihn der Unmoral. Der Arzt stellt  üble Versuche mit dem armen Kerl an. Der Tambourmajor macht  sich die Lebensgier von Woyzecks Partnerin Marie zunutze. Es ist das die immergleiche Dumpfheit und Bosheit der äußeren Welt –  und die lässt im Innern von Woyzecks Hirn eine Reflektionsmaschine Amok laufen.

Mit stierem Blick schaut Rainer Kühn auf diese Welt und ihre Menschen, schaut und hört zugleich durch sie hindurch in andere Dimensionen. Und wenn Kühn, denkt, sinniert, leidet, dann denken, sinnieren, leiden seine schlaksigen Gliedmaßen mit. Und wenn es dem Woyzeck gar zu arg wird, dann ist es, als wolle er hineinkriechen in ein Schneckenhaus aus Armen und Beinen. Seltsam nur: Aus ihm, dem Irren, wird man klug; dass er zum Ende Marie in Liebe mordet und sich selbst ersäuft, ist irgendwie begreifbar. Die „normale“ Komödienwelt drumherum ist es kaum. Vielleicht geht es Beilharz um eben dieses Paradoxon.
Andreas Pecht
 
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