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2006-11-28 Theaterkritik/Essay:
Justizmord im Namen Gottes

Arthur Millers Drama „Hexenjagd“ am Schauspiel Frankfurt: Die Wirklichkeit macht das Stück beunruhigend aktuell

ape. Frankfurt . Am Schauspiel Frankfurt hatte jetzt ein Theaterstück von 1953 über reale Ereignisse aus dem Jahr 1692 Premiere: Darin werden Menschen im Namen der Religion von einem irdischen Gericht zum Tode verurteilt. „Hexenjagd“ von Arthur Miller – kein Stück bloß über Schrecklichkeiten in grauer Vorzeit.
 
Womöglich stellvertretend für die Welt und der Menschen Köpfe ist die Bühne des Frankfurter Schauspiels raumhoch mit Holzbrettern vernagelt. Im hellen Zuschauerraum verbreitet sich die Anfangshysterie von Arthur Millers Drama „Hexenjagd“: Angeführt von Pastor Parris wird von den Sitzreihen aus Klage gegen junge Frauen erhoben, sie hätten nächtens im Wald nackt getanzt und den Teufel beschworen. Vermeintliche Mittäter werden aus dem Parkett gezerrt, werden auf der Vorderbühne zusammen mit den Mädchen unter Geschrei und handgreiflich auf Paktieren mit dem Teufel verhört.

Die Inszenierung von Martin Nimz gibt gleich in den ersten Minuten einen überlauten Ton von Hysterie, Einschüchterung, Verfolgung und Angst vor. Nur in zwei Zusammenhängen greifen leise Töne Platz: Wenn der Bauer John Proctor (großartig Oliverc Kraushaar) begreift, dass  religiöser Wahn von irdischem Betrug nichts hören mag, sondern unbedingt Hexerei und Satans Wirken am Werk sehen will; wenn der Richter auf Basis kruder wie eigennütziger wie verängstigter Denunziationen eiskalt Unschuldige als Teufelsverschwörer „entlarvt“. Dies geschieht am Ende. Da sind die Bretterwände mit Getöse umgekippt, haben einen kreuzförmigen Laufsteg freigelegt – den Gerichtssaal, wo im Namen Gottes Todesurteile in Serie gesprochen werden.

So modern die sehenswerte Frankfurter Einrichtung formal ausfällt, fügt sie dem Stück doch inhaltlich nichts hinzu, das etwa über die naturalistische Verfilmung von 1996 oder Jochen Heyses konventionelle Mayener Inszenierung von 2002 hinausginge. Und dennoch beunruhigt der zweistündige Abend den Zuseher erheblich. Wie das, wo doch die Ereignisse in Salem/Massachusetts mehr als drei Jahrhunderte zurückliegen und auch die hysterische Kommunistenhatz der amerikanische McCarthy-Ära, auf die Miller das Stück 1952 gemünzt hatte, längst Vergangenheit ist?

Die jetzige Beunruhigung rührt von dem Phänomen, dass es bisweilen überflüssig ist, alte Theaterstücke auf die heutige Welt hin zu aktualisieren, weil die Entwicklung der Welt selbst sie aktualisiert. Hätte irgendjemand vor 20 Jahren vermutet, Lessings „Nathan der Weise“ könne noch einmal direkt und ohne Übertragung auf außerreligiöse Felder  ein Beitrag zum Gang der Moderne werden? Und doch: Schaut man sich anno 2006 um in der Welt, so scheinen religiöser Sendungsgeist, religiöse Intoleranz und kultureller Vormachtanspruch von Religion  als treibende Kraft für Politik (und Krieg) eine weltumspannende Renaissance zu feiern. Dies so sehr und keineswegs nur im muslimischen Kulturkreis, dass Lessings 223 Jahre altes Werk plötzlich wirkt wie eine Utopie für übermorgen.

„Nathan“ war und bleibt das große Plädoyer für das Primat der Menschlichkeit vor jedwedem religiösem Dogma. Millers „Hexenjagd“ erinnert daran, welch großartige Errungenschaft eine von Ideologie, Glauben, Aberglauben und Machtinteresse unabhängige Justiz ist. Denn dass Menschen einander denunzieren, verleumden, übervorteilen, wegen anderer Lebensart, Hautfarbe, Überzeugung oder Religion verabscheuen, dagegen ist letztlich wohl kein Kraut gewachsen. Wäre aber die Obrigkeit, wäre das Gericht in Salem 1692 neutral gewesen, der Vernunft, der Wahrheit und dem Schutz der Menschenwürde verpflichtet, es hätten nicht mehr als 20 Frauen und Männer wegen des blödsinnigen Urteils, sie stünden mit dem Teufel im Bunde, am Galgen enden müssen.

„Rettet unseren Glauben“, schreibt in Frankfurt Reverend Hale auf ein Pappschild, bevor er sich aus Verzweiflung über das unmenschliche Gottesgericht und seine anfängliche Beteiligung daran selbst verbrennt. Wer könnte die Religion vor ihren eigenen Entgleisungen schützen? Wer allein kann die Freiheit der Religionsausübung für alle Glaubensrichtungen (mitsamt dem Recht, nicht religiös sein zu müssen) garantieren? Nur der religionsneutrale Staat und die religionsneutrale Justiz. Politikern und Richtern von Amts wegen irgendein Glaubensbekenntnis aufzuzwingen, das wäre der Anfang vom Ende der Religionsfreiheit. Das Theater, Millers „Hexenjagd“ kann so sehr beunruhigen, weil wir uns diesem Punkt näher wähnen als je in den vergangenen 60 Jahren.

Andreas Pecht

 
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