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2006-12-04 Schauspielkritik:
Was Krieg mit dem Menschen macht

Matthias Fontheims Regieeinstand am Staatstheater Mainz mit der deutschen Erstaufführung von Simon Stephens "Motortown"
 
ape. Mainz. Sie wurde mit Spannung erwartet, diese erste Inszenierung von Intendant Matthias Fontheim an seiner neuen Wirkungsstätte Mainz. „Motortown“ von Simon Stephens – eineinhalb Stunden schier unerträglich direkte Darstellung von Leid und Gewalttätigkeit und Gleichgültigkeit. 90 Minuten schmerzender Reflex auf das Heute – zwischen bloß ein paar Stühlen auf der Bühne im Kleinen Haus des Staatstheaters mit Verve und großer Ernsthaftigkeit erspielt.
 
Im Zentrum Danny, eben zurückgekehrt aus dem aktuellen Krieg, aus Basra. Der Leib des Ex-Soldaten unversehrt, die Seele indes verwundet, verstümmelt, verwüstet. Mit rot geränderten Augen, fahrigen Gesten, vibrierenden Muskeln und einem Sprechen (nicht Schreien) zwischen nervösem Haspeln und hysterischem Stentor gibt Tim Breyvogel diesen Danny als lebende Bombe am Rande des Irrsinns.
 
Mit dem Wüten des Krieges im Kopf trifft der  junge Mann auf das „normale“ Sosein in London. Thomas Prazak spielt ihm wunderbar den  geistig behinderten Bruder Lee, bei dem er unterschlüpft. Dort erfährt Danny Momente von Nähe, hilfloser Fürsorge, scheinbar tröstender Jugenderinnerung. Weg vom Bruder, draußen in der Stadt, findet er alles verändert, fremd vor.

„Motortown“ macht kein  Geheimnis um das, was kommen muss. Und Breyvogels intensive Spielweise lässt  nur eine Richtung zu: Amoklauf. Entweder der Typ killt jemanden oder er gibt sich selbst die Kugel; vielleicht beides. Denn sehr rasch nach seiner Rückkehr zerschlägt sich Dannys Traum von einer Heimkehr, von einem friedlichen Leben mit der früheren Freundin.  Der machte Angst, was er ihr in Briefen aus dem Krieg schrieb. Wie Julia Kreusch diese Marley rigoros ihr Recht auf ein eigenes Leben ohne Danny behaupten lässt, ist in seiner schlichten Tiefe ein schauspielerischer Höhepunkt des Abends.

Danny besorgt sich eine Waffe. Euphorie durchströmt ihn, als er sie in der Hand hält. Waffenschieber (Martin Breitschneider) setzt ihn anbei lässig über die neuesten Drogen und HipHop-Hits  ins Bild. Danny lässt sich die Pistole von einem Halbwelt-Lebemann (Michael Schlegelberger) scharf machen.  Dieser Paul hält sich die 14-jährige Jade als Gespielin. Später begegnet er einem Ehepaar aus gehobener Mittelschicht (Stefan Walz, Friederike Bellstedt), das beim Sektschlürfen seine Soldatenmuskeln bewundert, eifrig züngelnd und fummelnd Danny zu einem flotten Dreier animieren will.
Das im Krieg fantasierte Heimatidyll wird dem Rückkehrer zum verkommenen Sumpf, nicht besser als der Krieg selbst. Also wendet er die Methoden des Krieges darauf an: Er foltert und massakriert die Schwächste, Jade. Man möchte sich abwenden von dieser Szene, in der beim Täter Allmachtsfantasien und verzweifeltes Zärtlichkeitssehnen ineinander fließen, das Opfer sich wimmernd in bodenloser Todesangst windet.

Fontheims Inszenierung ist dem Zuseher eine Qual. Sie soll es sein. Damit gehört sie zu jener Traditionslinie in der Kunst, die der Wirklichkeit Widerstand entgegensetzt, indem sie konzentriert ungeschönte Wirklichkeit darstellt. Wie das bei „Motortown“ in Mainz mit sparsamen Mitteln, aber intensiver Schauspielerei realisiert wird, ist beachtlich.
Andreas Pecht
 
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