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2007-01-05 Analyse:
Schulabbrecher ganz ohne Perspektive

Armutszeugnis des Bildungsbetriebes - Dauerproblem wartet auf Lösungen, die von  der jüngsten Schavan-Initiative eher nicht zu erwarten sind
 
ape. Zum Jahresbeginn 2007 kündigte Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) vollmundig eine Bildungsinitiative mit dem Ziel an, die Zahl der Schulabgänger ohne Abschluss zu halbieren.  Kritiker halten den Vorstoß für zu unkonkret oder nicht weitgehend genug oder einfach für Schaumschlägerei. Einhelligkeit herrscht indes darüber, dass die Zahl der Schulabbrecher seit Jahren viel zu hoch ist. Eine kleine Bestandsaufnahme.
 
Für Junglehrer ist es oft der erste Albtraum ihres Berufslebens: Sie müssen einigen Schülern schlechteste Noten ins Zeugnis schreiben, ahnend oder wissend, dass die  Betreffenden mit diesem ungenügenden Zeugnis ins Leben gehen. Manche Schüler warten das Testat erst gar nicht ab, sondern verschwinden aus der Schule, sobald die gesetzlichen Pflichtjahre erfüllt sind. Für viele Lehrer kehrt der Anfangs-Albtraum   alljährlich als quälendes Gefühl pädagogischer Machtlosigkeit  zurück. Andere finden sich drein, schließlich gehört das Selektionsprinzip noch immer zur Systematik unseres Schulwesens.

Schulabbrecher, Abgänger ohne Hauptschulabschluss: Rund 80 000 waren es in Deutschland anno 2004, knapp neun Prozent ihres Jahrgangs. Mit 17,5 Prozent ist der Anteil der Schulabbrecher mit Migrationshintergrund fast doppelt so hoch. Die Größenordnungen verändern sich seit Jahren bundesweit nur unwesentlich. In einigen Bundesländern gab es bescheidene Lichtblicke, so entwickelte sich in Rheinland-Pfalz der Anteil der Abgänger  ohne Hauptschulabschluss von 9,3 Prozent im Jahr 2003 auf 7,9 Prozent 2004 und 7,2 Prozent 2005. Kein Grund zur Zufriedenheit, das sind immer noch mehr als 3000 Schüler pro Jahr.

DIE ERBEN DER ARMUT

3000 in Rheinland-Pfalz, 80 000 im Bund, die anschließend denkbar schlechteste Chancen auf eine Berufsausbildung, überhaupt auf berufliche Perspektive haben. „Jeder Schulabbrecher ist ein Hartz-IV-Empfänger von morgen“, bringt Gerd Landsberg, Geschäftsführer des deutschen Städtebundes die  Problematik auf den Punkt. Schulabbrecher sind der Nachwuchs fürs „Prekariat“, für die wachsende soziale Unterschicht oder Armutsklasse.

Zehntausende Jugendliche ohne Schulabschluss und damit ohne Zukunftsperspektive sind eine Schande. Neu ist das Problem allerdings nicht, doch es verschärft sich qualitativ ständig. Denn: „Die Schere zwischen Jugendlichen, die ohne Hilfe keinen Einstieg ins Berufsleben schaffen und Unternehmen, die immer höhere Anforderungen an ihre Mitarbeiter stellen, öffnet sich zusehends.“ So beschreibt der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages die aktuelle Tendenz.


EINFACHE ARBEIT SCHWINDET

1960 verließen 18 Prozent der Schüler die Schulen ohne Abschluss. Die meisten fanden dennoch bescheiden auskömmliche Anstellungen, weil es damals noch reichlich einfache Arbeit gab. Die aber vermindert sich im Zuge der technische Entwicklung fortwährend. Es bleibt nur ein Restbestand zumeist mickrig bezahlter Einfachtätigkeiten.
Die Faustregel der Gegenwart heißt: Ohne gute Schulausbildung kein ordentliches Auskommen (dass es mit Ausbildung klappt, ist alledrings auch nicht garantiert). In diese Wunde legte erst im Herbst Bundespräsident Köhler mit seiner Berliner Rede die Finger. 

Der jetzige Vorstoß von Bundesbildungsministerin Annette Schavan für eine gemeinsame Bund-Länder-Offensive zur Halbierung der Schulabbrecherzahl bis 2012 ist im Grundsatz längst überfällig. Leider bleibt völlig unklar, wie die Offensive funktionieren soll. Mit mehr Geld vom Bund wird sie jedenfalls nicht verbunden sein: „Es geht nicht darum, ein neues Finanzpaket vorzulegen“, sagte die Ministerin. Worum denn? Darum, fünf Jahre nach der ersten Pisa-Studie Bilanz zu ziehen, welche Maßnahmen sich seither an den Schulen bewährt hätten. Nach einer Analyse erfolgreicher Modelle erwartet Schavan, dass die Länder dann entsprechende Maßnahmen umsetzen.

Eine ziemlich vage Absichtserklärung. Zudem mit gleich zwei Makeln behaftet: Erstens ist Schulpolitik Sache der Länder, und deren Reaktionen fielen verhalten aus. Zweitens ließ Schavan erkennen, wo sie „erfolgreiche Modelle“ ausmacht: in Hessen und Baden-Württemberg. Was man auch ganz anders sehen kann. Die Lehrergewerkschaft GEW zweifelt, ob Schavan ihren Ankündigungen Taten folgen lässt. Im SPD-Präsidium hält man den Vorstoß bloß für einen „hilflosen Profilierungsversuch“ einer Politikerin, die selbst dafür gesorgt hat, dass der Bund in Bildungsfragen kaum mehr etwas entscheiden kann.

Patrick Meinhardt, Bildungsexperte der FDP, spricht aus, was viele denken: Wer weniger Schulabbrecher haben will, muss den Schülern Berufs- und Ausbildungsperspektiven aufzeigen. Die Shell-Jugendstudie 2006 bestätigt einen tiefgreifenden Pessimismus bei rund zwei Dritteln der deutschen Hauptschüler. Grund? Sie wissen, dass selbst mit einem Hauptschulabschluss ihre Chancen auf eine Lehrstelle ziemlich schlecht stehen. Ein Umstand, der die Schülermotivation nicht eben beflügelt.

Die Statistik erhärtet die gefühlte Malaise: Nur 43 Prozent der Hauptschulabgänger fanden im ersten Jahr nach der Schule eine Lehrstelle. Von den übrigen landete ein Großteil in diversen schulischen oder berufsvorbereitenden Warteschleifen, wo sie auf reichlich Schicksalgenossen aus den Vorjahren trafen. 10 Prozent versuchten sich als  Hilfskräfte am Arbeitsmarkt, ein weiterer Teil ist „unbekannt verblieben“.  Fatale Folge: Etwa 12 Prozent der Deutschen zwischen 20 und 29 Jahren haben gar keinen Berufsabschluss, bei den Altersgenossen mit Migrantionshintergrund sind es fast 40 Prozent. Das Ende vom Lied: Laut Statistischem Bundesamt liegt die tatsächliche Arbeitslosigkeit bei jungen Leuten unter 25 Jahren mit rund 15 Prozent fast doppelt so hoch wie bei den Erwachsenen.

BILDUNGSFERNE MILIEUS

Wenig hilfreich ist in diesem Problemfeld der häufig benutzte Rückverweis auf die Verantwortung von Eltern und Familie. Der Zentralverband des Deutschen Handwerks macht dies in seiner Reaktion auf Schavan deutlich. Er drängt auf einen „ganzheitlichen Ansatz“ – und eine verpflichtende Vorschulzeit im Rahmen eines flächendeckenden Kindergartenangebotes, um „ein unzureichendes Bildungsniveau im Elternhaus zu kompensieren“.  Denn das ist die Krux: Die Mehrzahl der Schulabbrecher kommt aus „bildungsfernen Milieus“. Weshalb der Staat in der Pflicht steht, den Kindern jene Entwicklungschancen zu eröffnen, die ihnen von Hause aus verschlossen sind.
Andreas Pecht
 
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