Kolumne Begegnungen regional
Thema Menschen / Initiativen
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2007-01-06 Begegnung XVI:
Dirk Zimmer und sein Kowelenz

Der Schauspieler und Autor von Mundart-Musicals über seine Heimatstadt
 
ape. Koblenz. Er ist 34 Jahre jung, und er schreibt doch auf ganz eigene Art bereits Koblenzer Stadtgeschichte: Dirk Zimmer, Stadionsprecher bei der TuS, begleitet die Rhein-Mosel-Stadt als Macher eines "moddersprochlichen" Videos und seiner Volkstheater-Reihe "Zum Schängel" mit kritischer Zuneigung durch Höhen und Tiefen urbaner Identitätsfindung. Diesem Stadtchronisten der jüngeren Generation wollte ich unbedingt eine "Begegnung" widmen.
 
Das gab es noch bei keiner "Begegnung": Wir sitzen auf einer Theaterbühne am Kneipentisch in einer pittoresken Wirtshauskulisse. Dennoch wird dem Reglement der "Begegnungen" damit Genüge getan - das Bühnenbild des Theaterstückes "Zum Schängel" in der Kulturfabrik ist vorübergehend der Hauptarbeitsplatz von Dirk Zimmer. Von ihm stammen Idee, Stück und Liedtexte zu diesem "Musical in Kowelenzer Moddersproch". Dessen Folge zwei amüsierte in den vergangenen Wochen jede Menge Publikum aus allen Bevölkerungsschichten der Stadt wie des Umlandes.

"Zimmers Theater" nennt der Namensgeber das private Theaterunternehmen, dem er als Dramatiker und Schauspieler beiwohnt, als Gründer und Produzent vorsteht. "Zimmers Theater" spielt ein volkstümliches Brettl mit Einschlägen aus Kabarett und Comedy; gesprochen und gesungen wird in örtlicher Mundart. Die ist freilich so weit entschärft, dass auch dieses Idioms nicht mächtige Besucher noch mitbekommen, was in der winzigen Altstadtkneipe verhandelt wird.

Das da wäre: Liebes- und Lebensmalaisen, wie sie Hinz und Kunz überall befallen können. Hier jedoch kullern sie Koblenzer Altstadtoriginalen als Stolpersteine zwischen die vom ortsüblichen Pils beschwingt-beschwerten Hirnwindungen und Beine. Daher rührt die eine Hälfte des Publikumserfolges. Als zweite Hälfte gesellt sich auf der Bühne hinzu: wie im Besonderen Koblenz so tickt, respektive worüber es sich derzeit das Mundwerk zerreißt. Das ist wie eine Mischung aus Kölner Millowitsch- und Hamburger Schmidt-Theater. Ein Bild, das Zimmer nicht krummnimmt. "Was wir machen wollen, sind zwei Stunden gute Unterhaltung über das, was um die Ecke vor sich geht. Das darf piksen, soll aber nicht unter die Gürtellinie gehen."

Um die Ecke? Dort spielen die zwei Folgen von "Zum Schängel", spielt das etliche Zehntausend Mal im Internet abgerufene Kurzvideo "Dau bes Kowelenz", spielte zuvor schon das Stück "Träume zwischen zwei Flüssen" über Jugendprobleme am Ort. Vor dem Hintergrund dieser Bilanz werfe ich meinem Gegenüber die Einschätzung zu: Gewollt oder nicht, er ist in die inoffizielle Rolle eines satirischen Stadtchronisten geraten. Allerhand Gewicht, das da plötzlich auf seine Schultern gewuchtet wird.

Aber das ist nicht wirklich neu, eher ein anderer Begriff für das, was Zimmer seit Längerem macht: "Ich greife Themen auf, die in Koblenz auf der Straße oder in der Luft liegen, setze sie boulevardesk und etwas satirisch um, und hoffe, dass unser Publikum darüber beim Lachen ein bisschen nachdenkt."

Auf diese Weise wurden schon Bundesgartenschau, Ikea, TuS-Arena, Zentralplatz-Bebauung oder Bürgermeisterwahl Gegenstand der "Schängel"-Musicals. Wie das kleinbürgerliche Personen-Panoptikum auf der Bühne damit umgeht, offenbart eine Haltung zur Stadt Koblenz, die Zimmer auch im Gespräch mit Verve vertritt. "Ich lebe gern hier, liebe diese kleine, wunderschöne Stadt", sagt Dirk Zimmer und schiebt augenzwinkernd nach: "Mit der größten Kneipendichte Europas. Aber das kann nicht bedeuten, dass man die Probleme nicht mehr ansprechen darf."

Und es folgen einige jener zweischneidigen Liebeserklärungen an Koblenz, die den wahren Liebhaber auszeichnen, weil ihnen platte Schönrederei fremd ist. "Alle Projekte hier laufen irgendwie unter dem Motto "unsere Stadt soll schöner werden‘. Was soll denn dabei rauskommen? Noch mehr Touris?" Manchmal, wenn Politik und Stimmung in der Stadt mal wieder in Richtung Aufbruch zu allzu Großem tendieren, "möchte man dazwischenrufen: Ich hoffe, ihr wisst, was ihr tut!"

AUF DEM TEPPICH BLEIBEN

Beispiel TuS-Arena. Natürlich hat Zimmer als langjähriger Stadionsprecher schon des Verbandsliga-Vereins überhaupt nichts gegen deren Bau. Allerdings sollten Planer und Entscheider auf dem Teppich bleiben: "Wir brauchen ein Fußballstadion, keine gigantische Multifunktionsarena. Die Stones spielen in Köln oder Frankfurt, nicht in Koblenz - wenn sie nach der Fertigstellung noch leben." Beispiel Zentralplatz-Bebauung. Zimmer könnte sich - "wie in Freiburg" - eine überdachte Markthalle mit hübscher Parkanlage anbei vorstellen. Das alles kommt auch in seinem Stück vor, dort freilich satirisch gedreht.

Beispiel Bundesgartenschau. Zu diesem Thema hatte schon das erste Schängelstück den Sankt Bürokratius über die Bühne getrieben. Das war 2005. Frage ein Jahr später: Empfindet er die Buga jetzt eher als Hoffnungsträger oder eher als Damoklesschwert? "Genau in diesem Konflikt stehe ich. Ich freue mich wirklich auf die Buga und darauf, dass unsere Stadt dann noch schöner wird." Sagt Zimmer, ist aber die Grundsatzfrage der Vorjahre noch nicht völlig losgeworden: "Warum musste Koblenz unbedingt diese Buga haben?" Inzwischen denkt er: "Wenn Buga, dann bitte richtig. Dann sollte es jetzt losgehen. Allmählich müssten ja mal ein paar Bäume gepflanzt werden." Andererseits: "Wunder gibt es hier immer wieder: Als die TuS aufgestiegen war, ging das mit der Sanierung des alten Stadions Oberwerth plötzlich ganz schnell. Trotz leerer Kassen."

Leute gibt"s, die nennen Koblenz provinziell. Zimmers Reaktion darauf verrät viel über seine Beziehung zur Heimatstadt. Erstens geht ihm der immer wieder anzutreffende Hang zur Großmannssucht auf die Nerven. Zweitens kann er im Begriff Provinz nichts Despektierliches erkennen: "Wir müssen uns vor den Kölnern nicht verstecken, können glücklich sein, in dieser kleinen, liebenswerten Stadt zu leben. Aber: Wir müssen wissen, dass sie klein ist und nie eine Metropole sein wird."

Die Intimität dieser Kleinheit pflegt Zimmers Theater als ambivalente Bestätigung des guten Gefühls, zu wissen, "woher ich komme und wo ich bin". Was die untergründige Dauerfrage einschließt: "Wohin geht Koblenz?" Ehemals Bundeswehr- und Deutsches-Eck-Stadt, heute Schnittpunkt zweier Welterben, damals wie jetzt Regionalstadt zwischen Köln-Bonn und Rhein-Main. "Alles schön und gut. Aber das ist noch keine Stadt-Identität", meint der 34-jährige Familienvater. Die muss im neuen Jahrtausend erst noch gefunden werden. An der Suche will sich Zimmer mit seinen Mitteln beteiligen - mit Liedern und Theater in Moddersproch, über das Wohl und Wehe unserer kleinen Stadt und ihrer Leut".

EIN KULTURELLES FAKTOTUM

Die Mitstreiter bei Zimmers Theater sind überwiegend Profis, die ehedem erste Bühnenerfahrungen beim Koblenzer Jugendtheater sammelten. Dirk Zimmer selbst gab 1992 in "Mr. Piks Irrenhaus" sein Debüt - als Mann in Strapsen. Ralf Lohr, der auch die aktuelle Folge von "Zum Schängel" inszeniert hat, stand er damals als Regieassistent zur Seite. Die zweite Hälfte der 1990er sah ihn als Faktotum in der Kufa die Kneipe schmeißen, Veranstaltungen organisieren, dem Tanztheater Regenbogen zur Hand gehen, im Jugendtheater spielen und ums Überleben der Kulturfabrik kämpfen. Dann zwei Jahre Akteur beim Improvisationstheater "Springmaus", auf die 2000 die erste Dramatiker-Arbeit folgte: Zimmer schrieb fürs Jugendtheater die Textfassung des Musicals "Dschungelbuch". Es gab weitere Arbeiten für Kindertheater und Moderationen bei Kinderkonzerten der Rheinischen Philharmonie.

Hat der Theatermacher eine Schauspielschule besucht? Beinahe. In München beworben, gut durch die letzte Auswahlrunde gekommen, dann vom großen August Everding selig doch noch mit dem Bescheid abgelehnt: "Herr Zimmer, Sie sind mir zu witzig." Was dieser als Ritterschlag empfunden haben will. Zumindest bestätigte sich dadurch sein Gefühl schon aus der Schulzeit: "Das schwere Psychotheater ist nichts für mich. Als ich aber in der Kufa "Schängmarie" sah, wusste ich: Das ist mein Ding."

Seither schaut er dem "Koblenzer an sich" aufs Maul und ins Herz, tritt ihm bisweilen auch auf die Füße, das aber mit Liebe: "Der Kowelenzer is"n bauernschlauer Typ, der immer recht hat, zu allem was zu sagen, aber von nix eine Ahnung", erklärt er mir in der Bühnenkneipe. Grinst bubenhaft dazu, weil "ein lachendes Auge behalten" und "sich nicht zu wichtig nehmen" seine Devisen sind. In Horchheim geboren, in Niederberg aufgewachsen, in der Kufa sozialisiert, in der Vorstadt lebend - Dirk Zimmer ist halt auch ein "Koblenzer an sich".

Ginge es nach ihm, würden die nächsten Denkmäler in der Innenstadt "dat Brigittche" und "den Gniffke" zeigen - der Identität wegen. Das hat indes noch Zeit. Derweil bereitet Zimmer für die Philharmonie eine jugendgerechte Konzertpräsentation von Bernsteins "West Side Story" vor. Und er arbeitet an Folge 3 des "Schängel"-Musicals. Darin wollen die Helden vom Altstadttresen Shakespeares "Sommernachtstraum" auf die Beine stellen. Im Sommer, als Open Air. Aufführungsort wird noch gesucht. Wie wär"s mit Fort Konstantin?

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