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2007-02-12 Ballettkritik:
Ein Ballettabend im Zeichen Strawinskys

Gastchoreografen aus England und der Schweiz stoßen in Wiesbaden
auf ein neugieriges Publikum
 
ape. Wiesbaden.  Das Große Haus des Wiesbadener Staatstheaters fast ausverkauft. Das Premierenpublikum neugierig auf einen Ballettabend von zwei Gastchoreografen: Jean Renshaw und Franz Brodmann. Die Zuseher  beklatschen dann ausgiebig deren drei Arbeiten. Die  heben sich teils deutlich vom hierorts unter Ben van Cauwenberg über viele Jahre gepflegten Stilmix aus Ballettklassik und Showtanz ab. Man muss zurzeit das Umfeld bei Wiesbadener Ballett-Ereignissen so genau protokollieren, weil der vom Intendanten angestrebte personelle und künstlerische Generationenwechsel in der Tanzsparte von einer Bürgergruppe mit konservatorischem Elan bekämpft wird.
 
„Strawinsky!“ ist der dreiteilige Abend betitelt, den der Schweizer Franz Brodmann und die Engländerin Jean Renshaw zu Kompositionen des Russen choreografiert haben. Musiziert wird zum Tanz live: Geige, zwei Klaviere, drei Sänger sind wechselweise besetzt – Igor Strawinsky in spannenden Kleinformaten.

Brodmann fächert zur Suite italienne aus Pulcinella ein  Kaleidoskop auf, das vier Paare in diversen Konstellationen zeigt. Mal alle Paare, mal nur eines oder zwei, dann die Frauen unter sich, hernach die Männer. Getanzt werden Klassikfiguren, freilich ihrer Strenge entkleidet:  luftig quirlige Verspieltheit nebst neckischen Brüche bestimmen die Linie. Tanz als direkter Bewegungsabdruck von Musik. Nicht mehr, nicht weniger; hübsch, aber harmlos.

Renshaws „Viertelgleichhundertzwölf“ zum dritten Satz der Klaviersonate (1924) ist da von anderem, von doppelbödigem Kaliber. Über der Bühne ein Spiegel, von dem aus am Boden ein kleines Quadrat ausgeleuchtet wird. Das ist die enge Tanzfläche für vier Tänzerinnen, die bald selbstvergessen jede für sich agieren, sich bald zu kleinen Formationen finden. Je nach Blick, ob in den Spiegel oder direkt aufs Geschehen am Boden, ergeben sich frappierende Perspektivenwechsel. Und Witz hat die Sache obendrein: Die Mädels flirten mit einem außerhalb des Quadrates sitzenden Mann. Der verhilft bisweilen mit einem Heber vom Rande  aus zu grenzüberschreitenden Erlebnissen. Als er jedoch ins Allerheiligste eintritt, lassen die Damen ihn schnöde stehen. Man denke sich seinen Teil.

Zum Abschluss bringt Renshaw ihre Version des Ballettklassikers „Le Sacre du Printemps“ auf die Bühne. Kein Ballettomane kann dies Stück ohne Erinnerung an Pina Bausch' legendäre Choreografie von 1975 betrachten. Weshalb die Erwartungen an Tiefe und Power stets ungerecht hoch sind. In Wiesbaden nimmt das Frühlingsopfer die Form eines erbarmungslosen Vortanzwettbewerbes an. Um eine Batterie von 14 Theaterstühlen wird quasi der Tanzsuperstar gesucht, den man nachher der Meute zum Fraß vorgewirft.

Die Wahl fällt auf die langjährige Wiesbadener Prima, auf Daniela Severian. Sie tanzt sich allein vor der feindselig in Reihe auf den Stühlen hockenden Compagnie am Ende zu Tode. Es ist ein einsamer Kampf, der sich da allmählich aus den verbissenen Bewegungsturbulenzen des im eiskalten Dauerbetrieb hetzenden, spurtenden, sich verausgabenden Ensembles herausschält. Eine bemerkenswerte Choreografie, für deren Abgründigkeit den Wiesbadener Tänzern allerdings etwas Ausstrahlung jenseits der bloßen Tanztechnik fehlt.

Andreas Pecht
 
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