Kritiken Theater | |||
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2007-02-23 Ballettkritik: | |
Hinter schönem Schein nur die Leere "Das Mädchen mit den Email-Augen": Stephan Thoss macht mit seinem modernen Tanzstück zum "Coppélia"-Stoff in Bonn einen guten Eindruck |
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ape. Bonn.
Man darf in Wiesbaden und Umgebung zur Kenntnis nehmen: Das
Premierenpublikum in Bonn hat jetzt die Gastchoreografie „Das
Mädchen mit den Email-Augen“ von Stephan Thoss sehr
positiv aufgenommen. Thoss löst nächste Spielzeit in
Wiesbaden den langjährigen Ballettchef Ben van Cauwenbergh ab
– und einige Traditionalisten fürchten
lauthals um den Untergang der Ballettkunst am Hessischen Staatstheater. |
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Davon kann keine
Rede sein, beweist Thoss’ aktuelle Arbeit in Bonn mit
dem Choreografischen Theater des dort scheidenden Johann
Kresnik. Sicher, Tutu und Spitzentanz gibt es nicht; stattdessen
ernsthafte und hochkünstlerische Auseinandersetzung mit uns,
mit heutiger Gesellschaft, ihren Menschen, deren Verarmungen,
Entfremdungen, Entstellungen. Zu sehen ist im Bonner Opernhaus
Tanztheater ohne Worte mit einem hohen Anteil szenisch-pantomimischer
Darstellungsformen. Noch höher ist allerdings der Anteil des Tanzes selbst – hergeleitet aus den figurativen Repertoires des Modern Dance, des Ausdruckstanzes und freier Tanzformen von Pina Bausch bis William Forsythe. Unübersehbar bleibt in diesem Fall auch die Prägung des Ensembles durch Kresnik. Weshalb die Bonner Produktion nur bedingt als repräsentativ für Thoss gelten kann. Dennoch lässt sich feststellen: Was der Choreograf da macht, hat Hand und Fuß, Niveau, eine eigene Ästhetik und ist spannend. Klassisch-romantisch indes ist es nicht. „Das Mädchen mit den Email-Augen“ weitert den alten „Coppélia“-Stoff und überträgt ihn auf heute. Die Beziehungen der Menschen sind zur Fixierung auf Äußerlichkeit pervertiert. Was der Tanz hier etwa in popigen Satireformationen ausdrückt: Getändel zwischen eitlen Jungs und noch eitleren Mädels, nebst Verbiegen und Verbiegenlassen zu standardisierter Körperlichkeit, verquerer Leistungssinnlichkeit. Wie weit diese Entleerung des Zwischenmenschlichen reicht, macht die Handlung im Zentrum deutlich. Junger Mann (Sascha Halbhuber) vergafft sich in eine Modepuppe. Als seine Freundin (Alexandra Kunz) die Position der Puppe einnimmt, merkt er es nicht einmal, so schwer wiegt ihm der äußere Schein. Genauer: Sein Bild von der idealen Frauenerscheinung. Von Anfang an webt ein einsamer alter Mann (Przemyslaw Kubicki) Elemente tiefsinniger Trauer um eine verstorbene Gefährtin in das 90-minütige Tanzstück. Ihn beobachtet die Junge – und beginnt zu erahnen, dass es eine Liebe jenseits hübscher Leiblichkeit geben könnte. Die hinreißendsten zehn Minuten des Abends entstehen aus einem Pas des Trois: Dabei sieht der Alte in dem Mädchen nur seine Verflossene, der Junge bloß die Puppe – und die zärtlichst umworbene Frau erkennt schmerzlich, dass sie als Individuum für beide gar nicht existiert. Der Abend setzt sich aus vielen kleinen Szenen zu diversen Puppen-Musiken von Delibes, Kalmann und Brahms bis zu Sandy Shaws Pop-Hit „Puppet on a String“ zusammen. Dazwischen senkt sich jeweils der Vorhang – als seien's Wimpernschläge, den Blick zu klären auf variierende Momente aus einer vom schönen Schein besessenen Welt. Andreas Pecht |
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