Kritiken Theater | |||
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2007-03-25 Schauspielkritik: | |
Onkel Wanja flippt in Mainz total aus Matthias Fontheim entrussifiziert Tschechows Klassiker am Staatstheater und reduziert ihn auf den fürs Heute wichtigen Kern |
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ape. Mainz.
Die spannende Frage an Klassiker-Aufführungen im Theater lautet:
Können Stück und Inszenierung den Zuseher mehr angehen, als
es eine Abhandlung von Schicksalen anhand gestriger Geschichten und
Figuren tut? Ferner: Gelingt eine Aktualisierung ohne dass die
künstlerische Größe des Originals leidet? Gelänge
beides, wäre die eigentliche Herausforderung an Regie und
Spielensemble erfüllt. Matthias Fontheims Einrichtung von Anton Tschechows „Onkel Wanja“ jetzt am Staatstheater Mainz kommt diesem Ideal nahe. Ohne es freilich vollends zu erreichen: Weil zwischendurch die Inszenierung auf die Krawall-Rutsche gerät; und weil Gregor Trakis sich als Oberkrawallmacher zwar respektabel verausgabt, sein Wanja dadurch aber nicht wirklich interessant wird. |
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Alles
übrige ist jedoch sehr interessant. Fontheim hat das Stück
ins Jetzt versetzt, und er hat es entrussifiziert. Gestrichen die
meisten Passagen, die der Verbildlichung des alten Russland
geschuldet waren. Tschechows Text reduziert sich so auf einen
zweistündigen Rumpf. Der wird hier gesprochen, wie wir heute eben
sprechen. Neorealismus könnte man nennen, was dabei herauskommt. Bleibt denn so überhaupt noch was von Tschechow? Ja, das Wichtigste: Das Beziehungsgeflecht zwischen Menschen, die ein gesellschaftliches Stadium der Ratlosig- und Perspektivlosigkeit bevölkern. Jeder will, wünscht, erträumt etwas; keiner tut, wagt, verändert etwas. Damit ist Fontheim bei Tschechows Kern und zugleich auch bei Wesenmerkmalen heutiger Befindlichkeit, die unter rastloser Oberfläche das Menschliche verstauben lässt. Dafür steht in Susanne Maier-Staufens sparsamem Bühnenbild aus ein paar Gartenstühlen vor Birkenwaldtransparent der dick mit Staub belegte Boden. Könnte auch bedeuten: Durch das verstaubte Stück von 1888 ziehen Nachgeborene ihre Spuren, bald selbst verstaubte Gegenwartsgeister. Gefangen zwischen Wollen und Nicht-Können – dieser Zustand wird am deutlichsten im Spiel von Julia Kreusch als Elena. Sie ist die zweite Frau des ältlichen Professors Serebrjakow (Marcus Mislin kräftig auf lachhaften Hypochonder gebürstet). Beide sind zu Besuch auf dem Landgut, das Wanja und Sonja, Schwager und Tochter aus erster Ehe, zu seinen Gunsten fleißig bewirtschaften. In der dortigen Trostlosigkeit fixieren der Arzt Astrow (Stefan Walz schön als melancholischer Bär) den blutjungen Leib und das so andere Wesen Elenas als letzten Hoffnungsschimmer auf ein bisschen Lebensglück. Mit Astrow tät sie schon wollen, aber ... Die ausweglose Zerrissenheit der Frau legt Kreusch in eine nervöse Sprache des Körpers, der Mittelpunkt des Geschehens ist, selbst aber weder Ruhe noch Mitte finden kann. Sehr stark gespielt. Doch den stärksten Eindruck hinterlässt im Mainzer „Onkel Wanja“ eine andere Frau: Sonja. Das kommt überraschend, spielte diese Figur sonst doch oft bloß eine Nebenrolle als verhärmte Jungfer. Wie aber Franziska Hackl hier mit kleinsten Gestik- und Mimik-Varianten, mit leise schnappenden Sätzchen Schicksalsergebenheit und Hoffen, Erstarren und Erstahlen, Widersprechen und Verletztsein verwebt, ist eine Sternstunde der Sonja-Darstellung – und in ihrer Vielschichtigkeit das Gegenteil von Wanjas bloß krawalligem Ausflippen. Andreas Pecht |
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