Kolumne Begegnungen regional
Thema Menschen / Initiativen
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2007-04-08 Begegnung XIX:
Daniel Raiskin und der Koblenzer Klang

Im Gespräch mit dem Chefdirigenten der Rheinischen Philharmonie über
Orchesterfortschritte, persönliche Perspektiven und Zentralplatzbebauung 
 
ape. Seit August 2005 ist Daniel Raiskin Chefdirigent des Staatsorchesters Rheinische Philharmonie in Koblenz. Bald zwei Jahre, also kennt er nun neben dem Großen und Ganzen auch die kleinen Stolpersteine im Kulturleben von Stadt, Region und Land. Das schien mir der rechte Zeitpunkt, den für die Koblenzer Hochkultur so wichtigen 37-jährigen Musiker zur 19. Begegnung einzuladen.

KOBLENZ. Fragen darf man ja mal: Ist er denn noch glücklich mit seiner Wirkungsstätte. "Sehe ich aus, als sei ich unglücklich?", kommt die Retourkutsche. Tut er nicht. Die zwei Jahre, die ich Daniel Raiskin jetzt kenne, habe ich ihn nie anders erlebt als gut gelaunt. Das müsste einen misstrauisch werden lassen, gäbe es bei ihm nicht ebenso jenen nachdenklichen Ernst, der aus einem sonnigen Gemüt erst einen interessanten Menschen macht.

Weil die "Begegnung" stets auch etwas piesacken soll, flugs die Frage: Wie lange gedenkt er in Koblenz Chefdirigent zu bleiben? Das kommt überraschend für einen, der sich noch in der Frühphase seiner Aufgaben am Ort wähnt. Die Spontanantwort: "Auf jeden Fall mal bis zum Ende meines jetzigen Vertrages 2009." Über dessen Verlängerung oder nicht werde schon im Jahr davor entschieden. Dann die überlegte Antwort: "Ich hoffe, dass bis 2008 meine Beziehungen hier nicht so vergiftet sind, dass man mich nicht mehr will. Es gibt noch eine Menge zu erreichen mit dem Orchester, deshalb ist es durchaus denkbar, dass ich länger bleibe. Aber ich werde mich nicht aufdrängen."

Für den Augenblick sieht Daniel Raiskin jedenfalls keine Gründe, warum er nicht über 2009 hinaus weitermachen sollte. Dass aber seine Familie von Amsterdam nach Koblenz umsiedelt, sieht er nicht. Die Gattin ist schon zweimal ausgewandert, erst aus Russland in die USA, nachher von dort in die Niederlande, wo sie als Umweltingenieurin eine wichtige Arbeit ausübt. Die Kinder gehen beide in den Niederlanden zur Schule. Und die Familie kennt gar nichts anderes, als das Leben mit einem Künstler, der die meiste Zeit nicht daheim ist. Raiskin: "Wenn ich dann aber zu Hause bin, gehört der Tag ganz der Familie. Erst in der Nacht arbeite ich weiter." Nein, er möchte die Familie nicht aus ihrer Heimat herausreißen.

Raiskin hat oft betont, dass er im Koblenzer Staatsorchester enorme Potenziale sieht. Wo steht das Orchester inzwischen? "Wir haben es geschafft, dass die Musiker wieder Selbstvertrauen haben. Das ist das Wichtigste bisher und ein positives Fundament. Als ich hierherkam, herrschte im Orchester nach der Strukturreform ein Gefühl von Unsicherheit, Aussichtslosigkeit, Frustration." Aus diesem Stimmungstief sei man jetzt heraus: "Die Musiker wissen, sie dürfen selbstbewusst sein; sie merken, das Orchester kann in der Konzertwelt mitspielen; sie spüren, dass die Rheinische Philharmonie wieder eine Zukunft hat." Dabei sei das von ihm forcierte Zusammenwirken mit herausragenden Solisten sehr wichtig: "Aus der Erfahrung, hochrangige Konzerte zu geben, erwächst der Gefühlsruck: Verdammt, wir sind da!"

KLANGKULTUR VERINNERLICHEN

Enthusiastisch tönt jetzt die Stimme des sonst in Gesprächen eher leisen Dirigenten durch den leeren Saal des Görreshauses. Dorthin haben wir die "Begegnung" verlegt, weil Raiskins Büro eher der improvisierten Künstlergarderobe eines Dorfgemeinschaftshauses ähnelt. Nicht mehr lange - im Görreshaus wird kräftig umgebaut. Das Orchester hat also wieder Selbstbewusstsein. Welcher Entwicklungsschritt folgt jetzt? "Auf dem Fundament gilt es, in Etagenform aufzubauen." Was heißen soll? "Die Souveränität in den Registern muss wachsen. Die Instrumentengruppen müssen sich mehr und besser hören. Deshalb werden wir in nächster Zeit häufiger Streichrepertoire spielen."

Daniel Raiskin möchte erreichen, dass das Orchester noch stärker mit eigener Initiative an den definierten Zielen arbeitet. Er möchte, dass Musiker auch von sich aus Angebote machen. Dann der seltsame Satz: "Es ist das schönste Gefühl für einen Dirigenten, wenn er überflüssig wird." Was natürlich nicht buchstäblich zu verstehen ist, sondern in dem Sinne, dass das Orchester die erstrebte Klangkultur produktiv verinnerlicht.

So könne entstehen, meint Raiskin, wovon Musikfreunde am Ort träumen: ein "Koblenzer Klang". Der sich freilich mit jedem neuen Chefdirigenten ändert - "selbst die Berliner Philharmoniker klangen unter Karajan anders als unter Abbado, klingen unter Rattle wieder anders". Im Klang eines Orchesters spiegeln sich die ästhetischen Vorlieben des Chefdirigenten. Und welches sind seine Vorlieben? "Partiturtransparenz, Klangklarheit, keine Zufälligkeiten, differenzierte Farbigkeit." Die eigentliche Musikkunst, das wird bei diesem Gespräch einmal mehr deutlich, beginnt jenseits richtig gespielter Töne, jenseits von laut und leise, schnell und langsam. Klar wird auch: Wenn Raiskin über das Orchester sagt: "Wir haben viel erreicht", meint er zugleich: "Wir haben noch einen langen Weg vor uns."

Von der Musizierkunst zur Kulturpolitik. Ich stelle folgende These auf: Koblenz braucht einen Generalmusikdirektor. Dies umso mehr, da sich aus der Doppelfunktion der Rheinischen Philharmonie als Konzert- und als Theaterorchester immer wieder Interessenskonflikte ergeben. Erst wenn die musikalische Leitung beider Bereiche in einer Hand liegt, kann produktive Ruhe eintreten. Will Raiskin dazu Stellung nehmen oder lieber nicht? Er will. Seine Erklärung jedoch überrascht: "Ich teile Ihre These nicht, ich würde eine Generalmusikdirektion in der jetzigen Phase für ganz falsch halten."

Grund Nummer eins: "Das Orchester ist eben dabei, sein Profil als Sinfonieorchester auszubilden. Darauf muss der Chefdirigent sich jetzt konzentrieren. Zumal wir kein Theaterorchester sind, das bloß nebenbei Konzerte gibt. Die Koblenzer Konstruktion unterscheidet sich von derjenigen in vielen anderen Städten - wir haben eben auch eine Verpflichtung, uns als Konzertorchester zu behaupten." Grund Nummer zwei: "Das Orchester hat in seiner jetzigen Größe auf Dauer nur eine Überlebenschance, wenn es ein eigenes, sehr starkes Orchesterprofil bietet. Andernfalls wird es eine leichte Beute, sollten irgendwann neue Sparzwänge entstehen."

Grund Nummer drei: Der 37-Jährige hält "diese absolutistischen Strukturen im Kulturbetrieb" ohnehin nicht für besonders sinnvoll. Intendanten und Direktoren, die herrschen wie Fürsten, die alle Fäden straff in ihren Händen halten wollen, alles bestimmen - solch antiquierte Ordnung ist kreativem Schaffen eher hinderlich. Das sagt Raiskin nicht wörtlich, aber ich verstehe ihn so. Will ihn so verstehen. Darf es wohl auch, angesichts seiner Vorstellungen für die Zusammenarbeit zwischen Theater und Orchester in fernerer Zukunft. Er denkt an eine arbeitsteilige musikalische Doppelspitze: hier der Chefdirigent des Orchesters, da der musikalische Leiter des Theaters mit Team. "Es braucht dazu Köpfe, die miteinander reden; dann geht das", sagt der Chefdirigent.

PRODUKTIVE ARBEITSTEILUNG

Man muss Raiskins Ansichten nicht alle teilen, kann sich aber doch dem Reiz seines "anti-absolutistischen" Gedankens nur schwer entziehen. Statt Generalsherrschaft in monolithischen Institutionen eine produktive Arbeitsteilung zwischen engagierten und kooperativen Teams - Kunstschaffen als prozesshaftes Miteinander, in diesem Fall der beiden eigenständigen Kreativwerkstätten Philharmonie und Theater: Ein in der großen Theaterwelt nicht ganz neuer Ansatz, mit dem indes die Koblenzer Hochkultur eher wenig Erfahrung hat. Vielleicht wird es Zeit dafür. "Der Staat bin ich", ist eine Maxime von vorgestern, die sich auch in der Kultur überlebt hat (haben sollte).

Der Gedanke des Miteinanders findet sich in Raiskins Vorstellung zur Zentralplatzbebauung wieder. Er hat stets für ein offenes Kulturhaus plädiert, das Stadtbibliothek, Mittelrhein-Museum und einen Konzertsaal vereint. Was hält er nun von den jüngsten Plänen, Koblenz mit einem weiteren Geschäftscenter zu beglücken, das nebenbei unterm Dach auch etwas Platz für Kultur bietet? Da kommt dem Chefdirigenten vorübergehend die gute Laune abhanden. "Es würde die einmalige Chance vertan, mit der Zentralplatzbebauung zugleich eines der großen Probleme im Kulturleben der Stadt zu lösen: das Fehlen eines konzerttauglichen Veranstaltungssaales in der Größe um 800 Besucher."

Kein Widerspruch meinerseits, denn womit sollte ein "Mittelrheinforum" sonst seinen Namen verdienen, wenn nicht mit einem tatsächlichen Forum, mit einem öffentlichen Aktionsplatz, wie besagter Saal einer wäre. "Noch ist ja nichts endgültig entschieden. Und wenn für eine kulturell vernünftige Lösung auf 150 Parkplätze verzichtet werden müsste, dann soll man das eben mal überlegen." Sagt Raiskin - und gibt abschließend wieder besser gelaunt Auskunft über seinen ersten Einsatz im Graben des Stadttheaters demnächst mit "Carmen". Ja, er freue sich auf die Produktion. Ja, die Zusammenarbeit mit Kapellmeister, Chorleiter und Regisseurin funktioniere prima. Na dann: Gutes Gelingen.

Andreas Pecht
 
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