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2007-05-15 Romankritik:
Mädchenjahre mit falscher Mutter

"Das Leben der Wörter" von Brigitte Giraud

 
ape. „Ich freue mich zu lernen, wie man die Dinge dieser Welt nennt. (…) Dabei denke ich über den Unterschied nach, zwischen dem, was ich an die Tafel schreiben muss und dem, was ich wirklich fühle.“ Zwei Sätze aus dem jüngsten Roman „Das Leben der Wörter“ von Brigitte Giraud. Wie ihre erst kindliche, dann jugendliche Heldin Nadia wurde die Autorin in Algerien geboren (1960), lebt aber seit langem im französischen Lyon.
 
Zwei Sätze, die für viele andere stehen, in denen Nadia ihre zwiespältige Beziehung zur Schule ausdrückt. Schule eröffnet dem Mädchen herrlich neue Universen. Zugleich normiert Schule, erwartet „Bereitschaft, die Gesetze der Menschen zu lernen, ohne sie in Frage zu stellen“. Im vorliegenden Fall tritt eine dritte Komponente hinzu: „Ich liebe es, weg von zu Hause zu sein.“ Denn zu Hause, da muss sie auskommen mit der „Frau, die nicht meine Mutter ist“ – die zweite, die französische Gattin des Vaters, eines algerischen Franzosen.

Obwohl das Buch weder um die Abwesenheit der Leibesmutter, noch um die afrikanische Herkunft des Mädchens großes Aufheben macht, verdichtet sich beides bald zum allweil zwischen den Zeilen dezent mitschwingenden Zentrum dieser Lebensabschnittsgeschichte. In absichtlichsvoller Häufigkeit benutzt die kleine Heldin die Formel von der „Frau, die nicht meine Mutter ist“. Sorgsam platziert sie Hinweise auf die Leerstelle Algerien in Frankreichs Schulen während der späten 60er.

Nadia erzählt von ihrer Zeit in der Primarschule, im Gymnasium, im Turnverein; von ihrer Faszination für das Lernen, ihrem Buhlen um die Anerkennung durch die Lehrerin, aber auch von ihrem Entsetzen über die autoritären, ja menschenverachtenden Praktiken im Schulwesen jener Zeit. Sie ist ein unschuldiges, „braves“, strebsames Mädchen. Sie ist aber auch ein kluges Sensibelchen, das schnell merkt, wo was in der Erwachsenen-Welt nicht stimmt. Weil sie nichts zu beichten hat, lügt sie dem Pfarrer nie begangene Sünden vor – Schuld wird geglaubt, Unschuld nicht. Oder: „Man darf ein Aufsatzthema nicht mit einer echten Frage verwechseln. (…) Man muss glückliche Ferien am Strand erfinden.“

Bisweilen kommt einem Nadia etwas altklug vor. Das rührt von der Machart des Romans: Eine Mittvierzigerin schreibt, was sie glaubt, dass das Kind (sie?) damals erlebt, gefühlt, gedacht hat. Nadias kindliche Sicht aufs Außen und Innen enthält immer zugleich die Reflexionen der Autorin darüber. Authentisch ist das nicht, aber so wie hier gemacht, überaus reizvoll. Die unspektakulären Kindes- und Jugendjahre eines zwar nicht durchschnittlichen, doch keineswegs phänomenalen Mädchens gerinnen zu einer Art nachgetragenem Tagebuch – reich an Poesie sowie an mal nachdenklich, mal schmunzeln machender Situationsphilosophie.                                                Andreas Pecht

Brigitte Giraud: Das Leben der Wörter.
S.Fischer, 140 S., 16,90 Euro    

 
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