Kritiken Politik
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2007-06-01 Analyse:
Demonstrieren ist unverzichtbarer
Teil der Freiheit


Die Möglichkeit von Krawallen beim G-8-Gipfel in Heiligendamm kann kein Grund
sein, Verfassungsrechte einzuschränken
 
ape. Während die Staatenlenker die Koffer packen lassen für ihre Reise zum G-8-Gipfel in Heiligendamm, gibt es in Deutschland ein gerichtsnotorisches  Gerangel um die Frage, wie nahe die Kritiker des Gipfels mit ihrem Protest an den Veranstaltungsort heran dürfen. Neben der  juristischen Front verläuft eine staatspolitische Kontroverse, in der das Bedürfnis nach Sicherheit für das Treffen der Politiker gegen das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit ins Feld geführt wird.
 
Was hat Vorrang: Ungestörte Gespräche der G-8-Gipfelpolitiker oder die Demonstrationsfreiheit der Gipfelgegner? Auch wenn die aktuelle Diskussion in diese zugespitzte Alternative einmündet, und obwohl die Vorort-Praxis in Heilgendamm wohl genau darauf hinausläuft: Im Grundsatz ist schon die Fragestellung falsch. Da  die deutsche Regierung nun mal  unbedingt Veranstalter des G-8-Gipfels sein wollte, obliegt ihr zweifelsfrei auch die Pflicht, Unversehrtheit und Arbeitsfähigkeit ihrer Gäste zu garantieren. Da aber in Deutschland Demonstrationsfreiheit ein Bürgerrechte im Verfassungsrang ist, hat der Staat zugleich ebenso die Pflicht, dieses Recht zu garantieren.

Daraus ergibt sich zwangsläufig: Die Staatsorgane müssen beides möglich machen – Sicherheit für den Gipfel und Wahrnehmung des Demonstrationsrechtes. Dies ist die eigentliche Herausforderung fürs polizeiliche Handeln und gewiss nicht einfach. Aber  machbar, wenn man nur will. Dem rheinland-pfälzische Innenminister „missfällt“ die Szenerie aus Stacheldraht-bewehrtem Metallzaun rund um Heiligendamm und dem Aufmarsch von 16 000 Polizisten. Karl Peter Bruch (SPD) meint: „Da gibt es andere Möglichkeiten.“ CDU-Politiker Heiner Geißler  ist sich dessen ganz sicher und wettert deshalb seit Wochen gegen die martialische Drohkulisse. Die verfolge vor allem zwei Zwecke: demonstrationswillige Bürger vom Demonstrieren in Heiligendamm abzuschrecken und den dort tagenden Politikern ungetrübte Idylle zu bescheren.

Geißler ist nicht der einzige, der schon in der Drohkulisse einen Angriff auf die Demonstrationsfreiheit sieht. Mehrfach wurde in der Diskussion der jüngsten Zeit der staatsrechtliche Gedanke ventiliert, dass die Grundrechte ja nicht zum Spaß in der Verfassung stehen. Vielmehr verbindet  sich damit die staatliche Pflicht, aktiv ein Umfeld zu schaffen, das es den Bürgern ermöglicht, ihre Freiheiten auch tatsächlich wahrzunehmen. Hinsichtlich des Wahlrechtes etwa bestehen darüber gar keine Differenzen. Dass der Staat freie Wahlen, nicht nur garantiert, sondern  sogar organisiert, gilt jedermann als selbstverständlich. Niemand käme auf die Idee, das Wahlrecht außer Kraft zu setzen, nur weil es gelegentlich hier oder dort eine Unregelmäßigkeit gibt.

Anspruch auf derartige Selbstverständlichkeit hat auch die Versammlungsfreiheit. Demonstranten sind  nichts anderes als Staatsbürger, die ein verbrieftes Grundrecht wahrnehmen. Insofern ist Demonstrieren – auch und gerade in Ruf- und Sichtweite derjenigen, gegen die demonstriert wird – etwas völlig Normales. Demonstrieren sollte im Selbstverständnis unserer Republik sogar etwas Erwünschtes sein: lebendige Demokratie – gelebt auch zwischen den Wahlakten alle paar Jahre. Dass die meisten Erwachsenen in Deutschland schon mal gewählt, aber nur die wenigsten jemals demonstriert haben, dafür können weder die Verfassung noch jene etwas, die ihr  Demonstrationsrecht nutzen.

Was aber ist mit der Gefahr, dass Rabauken Demonstrationen missbrauchen, um Krawall zu machen. Die polizeiliche Drohkulisse von Heiligendamm, die Aussetzung des Versammlungrechtes in einem Sicherheitskreis von bis zu zehn Kilometern um den G-8-Konferenzort herum wird vor allem mit dieser Gefahr begründet. Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU) nennt das eine Strategie der „Deeskalation durch Stärke“.  Geißler und die Demonstrationsveranstalter sprechen  von einer Strategie der Einschüchterung, Abschreckung und Kastration des Demonstrationsrechtes.  Hier offenbaren sich auch tiefe Gräben, was das Verständnis von Demokratie angeht.

Aber legitimiert nicht die Gefahr von Krawallen doch die Einschränkung oder sogar Aussetzung der Demonstrationsfreiheit? Juristisch scheint das ein schwieriges Terrain zu sein: Gerichte in Schwerin und Greifswald haben zuletzt fast gegensätzliche Urteile gesprochen. Jetzt muss das Bundesverfassungsgericht entscheiden. Was freilich dauern kann, aber  eventuell ausgeht wie bei den großen Prozessen um die Antiatom-Demonstrationen von  Brokdorf, Wackersdorf und Gorleben vor Jahren: Nachträglich wurden zahlreiche der behördlichen und polizeilichen Maßnahmen gerügt. Ein Anhalt für die Bewertung von Heiligendamm könnte das legendäre Brokdorf-Urteil des Bundesverfassungsgerichtes von 1985 sein: Darin wurde verlangt, die Demonstrationsfreiheit als Rechtsgut von sehr hohem Wert zu achten und mit Einschränkungen äußerst zurückhaltend umzugehen.

Davon kann derzeit im Umfeld des G-8-Gipfels keine Rede sein. Noch einmal: Legitimiert die Gefahr von Krawallen nicht doch die rigide Einschränkung der Demonstrationsfreiheit? Nein, möchte ich meinen. Denn Demonstrationsfreiheit und kriminelle Rechtsverstöße einzelner Krawallmacher sind zwei ganz verschiedene Paar Schuhe. Es käme ja auch niemand auf die Idee, das Autofahren zu verbieten, nur weil immer wieder Verkehrsteilnehmer leichtfertig oder mutwillig gegen die Straßenverkehrsordnung verstoßen. Das Autofahren bleibt erlaubt, obwohl die Rechtsverstöße im Straßenverkehr sogar Tote in hoher Zahl zur Folge haben. Die Aufgabe des Staates ist es, die Rechtsverstöße einzudämmen, zu verhindern und gegebenenfalls zu ahnden; ansonsten hat er dafür zu sorgen, dass der Verkehr ordentlich fließt.

Politik und Polizei wären gut beraten, würden sie sich für Heiligendamm die Worte zu eigen machen, die Angela Merkel am 18. Mai in Samara an Wladimir Putin richtete: „Ich hoffe doch sehr, dass diese Demonstration stattfinden kann, und ich bin besorgt, dass so manch einer (der Demonstranten) Schwierigkeiten beim Anreisen hat.“  Was die Bundeskanzlerin für russische Bürgerrechtler forderte, die in Russland gegen Putin demonstrieren wollten, sollte im Deutschland doch wohl selbstverständlich sein: Demonstrationsfreiheit, wozu auch die ungehinderte Anreise der Demonstranten gehört. Andreas Pecht
 
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