Kritiken Theater
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2007-06-08 Schauspielkritik:
"Schimmelreiter" auf dem Plastikdeich

Armin Petras macht am Schauspiel Köln aus Theodor Storms Novelle
ein symbolträchtiges Bühnenereignis
 
ape. Köln. Theodor Storms schulbekannter „Schimmelreiter“ von 1888 ist eine Novelle, literarische Prosa also und nicht fürs Theater geschrieben. Armin Petras, Regisseur und derzeitiger Chef des Berliner Gorki Theaters hat das Werk dennoch auf die Bühne gestellt: soeben als letzte Saisonpremiere am Schauspiel Köln, die dort zugleich das Ende der ziemlich glücklosen Intendanz von Marc Günther markiert. Das Amt übernimmt von nächster Spielzeit an Karin Beier. 
 
Lesestoff als Bühnenereignis, funktioniert das? Bei Petras' „Schimmelreiter“-Zubereitung erstaunlich gut: Ein zwei Stunden lang hochkonzentriertes Premierenpublikum geizte nachher nicht mit Beifall, trotz allerhand befremdender Momente. Etwa diesem: Petras verzichtete darauf, eine Bühnenfassung der Novelle zu schreiben. Er kürzte den Urtext nur zweckdienlich ein, läßt seine sechs Mimen Erzählpassagen erzählen und bloß die Dialoge spielen. Heraus kommt ein Abend zwischen szenischer Lesung und Schauspiel, der auch nichts anderes zu sein behauptet.

Zu erleben ist eine Zweiteilung. Erst stecken fünf der sechs Mitspieler in einem Treibhaus-artig mit Plastikplane geschlossenen Raum und erzählen (Bühne: Mascha Deneke). Bis zum Aufstieg der Titelfigur Hauke Haien zum Deichgrafen sind sie, die Kleidung zeigt's, Leute von heute. Dann reißt die Folie auf, entlässt die japsende Handvoll an die frische Luft des vorvergangenen Jahrhunderts: Man steigt auf offener Bühne ins historische Kostüm und spielt von da an Szenen, die den Kampf des Deichgrafen andeuten – für aufgeklärten Fortschritt, um seine schwierige Ehe, gegen die Naturgewalten sowie gegen Aberglauben und Missgunst seiner Landsleute.

Ja, die Lektüre ist wiederzuerkennen. Nein, es geht dieser Inszenierung nicht wirklich um eine Dramatisierung der Novelle. Die Szenen sind aufgeladen, manchmal auch überladen, mit symbolischen Motiven und metaphorischen Verweisen. Deren oft surreale Erscheinung lässt eigenen Deutungen reichlich Raum. Zum Deichbau werden in einer turbulenten Arbeitsorgie bei treibenden Rock-Beats Plastikstühle und riesige Ikea-Taschen auf die Bühne geworfen. Zur finalen Jahrhundertflut regnet es  Zivilisationsmüll. Das Stormsche Ringen zwischen Aufklärung und Mysthik weitert sich hier  zum Schicksalsknäuel, das menschliche Naturbeherrschung nicht länger als  Fortschritt betrachten kann.

Entsprechend ändert sich der Blick auf die Figur  des Deichgrafen. Bei Peter Moltzens Haien-Darstellung überwiegt der selbstsüchtige Zug. Das ist ebenso schlüssig wie Cristin Königs schöne Interpretation von Ehefrau Elke als hin- und hergerissen zwischen schmerzender Empfindsamkeit und entschlossener Eigennutzpolitik. Als mehrdeutiges Symbol dient auch der Einsatz der mongoloiden Joana Tannhäuser. Mal spielt sie anrührend behindertes Haien-Kind, mal geheimnisvolle Schimmel-Andeutung, mal Hündchen, das im Deichbau geopfert werden soll.

Sie ist das einzige unschuldige Menschlein in diesem Spiel. Sie allein überlebt als wieherndes Sagenwesen schlussendlich die große Sturmflut. Was das bedeuten mag, überlässt Petras, wie so vieles Andere auch, dem Nachdenken des Zusehers.
Andreas Pecht
 
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