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2007-06-27 Diskussion:
Vergebliche Suche nach
der Leitkultur


Podiumsdiskussion im Mainzer Landtag zeugt von Pluralität der Werte
 
ape. Mainz. Werte im Gespräch“ – diese im Oktober 2005 begonnene Veranstaltungsreihe der Landeszentrale für politische Bildung Rheinland-Pfalz und des Historischen Seminars der Uni Mainz schloss jetzt mit einer Diskussion unter dem Motto „Leitkultur – Leitwerte?“. Im Mainzer Landtag trafen Claudia Roth (Grüne), Christoph Böhr (CDU), die deutsche Muslimin Rabeya Müller und der Soziologieprofessor Stefan Hradil zum Grundwerte-Disput aufeinander.
 
Der Verlauf der Diskussion im Plenarsaal des Landtages ist symptomatisch für den derzeitigen Gang der Leitkultur-Debatte in Deutschland. Nachdem jeder Diskutant ein erstes Statement abgegeben hat, scheint es so, als sei sich das Quartett im Grunde einig: Die Gesellschaft braucht für ihren Zusammenhalt einen Mindestbestand gemeinsamer Werte; diesen kleinsten gemeinsamen Nenner liefere die Verfassung und die Charta der Menschenrechte. Der erste Verfassungsgrundsatz – die Würde des Menschen ist unantastbare – wird allseits als oberste Maxime anerkannt.

Damit wäre man beim Verfassungspatriotismus, den Hans-Artur Bauckhage (FDP) zuvor bei seiner Begrüßung im Namen des Landtagspräsidenten als Konsens-Vorschlag in den mit Studenten und anderen interessierten Bürgern vollbesetzten Plenarsaal gestellt hat. Die Leitwerte der deutschen Gesellschaft also klar definiert? Weiterer Streit überflüssig? Mitnichten. In der zweiten Phase der Diskussion wird allmählich spürbar: Die Benutzung der gleichen Worte schließt nicht aus, dass damit sehr unterschiedliche Vorstellungen verbunden sind. Anders lässt sich kaum erklären, dass sich das Gespräch über „Leitkultur“ bald nur noch darum dreht: Ist Deutschland ein christliches Land, und unter welchen Bedingungen können Muslime  integriert werden?

VERENGUNG AUF EINE RELIGIONS-DEBATTE

Die Werte-Debatte wird auf eine Religions-Debatte reduziert. Was nicht nur eine thematische Verengung gegenüber der vorausgegangenen Veranstaltungsreihe darstellt. Diese hatte ebenso auf historische, soziale, nationale, pädagogische, psychologische Wertekategorien und deren Wandel abgehoben. Der Mainzer Soziologe Hradil weist darauf hin, dass es eine  Reihe von Faktoren gibt, die am Zusammenhalt einer Gesellschaft beteiligt sind, nicht nur Kultur und Religion. Der Einwand verpufft, die übliche Verengung der Wertediskussion auf einen Religionsstreit ist auch an diesem Abend kaum mehr aufzuhalten.
Dass dadurch jenes Drittel der Bevölkerung vom Diskurs ausgeschlossen wird, das sich als unreligiös versteht, thematisiert diese Runde nicht. An einer Stelle immerhin kommen bei Claudia Roth auch die nicht-religiösen Bürger zu ihrem Recht: „Wir leben in einer demokratischen Gesellschaft, in der jeder eine Religion ausüben oder es lassen kann.“

„Ist Deutschland ein christliches Land?“ Die Frage richtet Gesprächsleiter Andreas Rödder an Christoph Böhr. Die Antwort fällt zuerst einigermaßen unerwartet aus: „Deutschland ist kein christliches Land, erst recht keine christliche Gesellschaft. Allenfalls ist die Gesellschaft christlich geprägt.“ Später schiebt der CDU-Politiker ein „maßgeblich christlich geprägt“ nach. Hier wäre ein Hinweis auf mehr als 200 Jahre Prägung durch die Aufklärung angebracht, wie sie sich etwa in der Verfassung und der Menschenrechtserklärung niedergeschlagen hat. Hier auch wäre daran zu erinnern, dass die in Mainz oft bemühte Religionsfreiheit ein Kind der Aufklärung und Säkularisierung ist.

Das Wort Aufklärung wird von keiner Seite eingeführt. Stattdessen pocht Claudia Roth allseits unwidersprochen auf die Universalität der Menschenrechte, die keine Religion und Kultur infrage stellen dürfe.  Und sie insistiert auf ein Verfassungsverständnis, das eine Hierarchisierung der Religionen in Deutschland ausschließt. Die Bevorzugung einer bestimmten Religion von Staats wegen widerspreche dem Grundgesetz.

GEGEN FATALES BLOCKDENKEN

Deshalb kann die Grüne, wie sie betont, mit der Leitkultur-Debatte auch wenig anfangen: Fixierung einer Leitkultur  neigt fatal zu Ausgrenzung und Blockdenken nach dem Schema „wir Christen, ihr Muslime“. Dass die Religionen keine monolithischen Blöcke sind, darin weiß sie sich mit dem Soziologen einig. Für Hradil ist das Christentum sowieso als „Kern einer europäischen Kultur untauglich“. Zu fragwürdig war dessen Rolle in der Geschichte vielfach. Zu unterschiedlich sind die Menschenbilder selbst unter Christen. Zu sehr auch haben sich die Werte- und Zielvorstellungen differenziert, ja individualisiert.

Ein Gedanke dem Böhr nicht folgen mag. Für ihn bedeutet „Pluralismus Begrenzung von Relativismus“: Nicht alles kann gleichwertig nebeneinander gelten. Das Menschenbild des Islam ist mit dem unseren nicht vereinbar, meint er. Weshalb die Muslime in Deutschland zu einer Art „europäischem Islam“ kommen müssten. Letzterem widerspricht Rabeya Müller nicht grundsätzlich. Natürlich gelte die Verfassung auch für Muslime, nach Rechten und nach Pflichten. Aber ein innerislamischer Liberalisierungsprozess könne nicht durch außerislamische Besserwisserei angetrieben werden.

ISLAM „KEINE FREMDRELIGION“

Wie Roth, warnt auch die deutsche Muslimin vor feindseligem Blockdenken: „Man muss in Deutschland aufhören, den Islam als eine Fremdreligion zu betrachten. Der Islam ist genauso europäisch wie Judentum und Christentum – alle drei kommen aus Palästina.“ Ein Bonmot, dessen ernsthafte Implikationen Böhr nicht gelten lässt, weil er die Erfahrung gemacht habe, dass Muslime sich zwar aufrichtig etwa zu Menschenwürde und Freiheitsrechten bekennen, schon ihr Verständnis der Begriffe aber ein   anderes sei, als das unsere.

Womit allerdings auch jenes Phänomen bezeichnet ist, das die Diskussion im Mainzer Plenarsaal so schwer greifbar macht. Nur beim genauen Hinhören lassen Zwischentöne erkennen, dass die tatsächlichen kulturellen Gemeinsamkeiten zwischen den Vieren sich auf ein recht schmales Werteband beschränken. Derart ist das Quartett Spiegelbild einer Gesellschaft, die letztlich doch mit ihrer Pluralität leben muss. Für und gegen selbstbestimmtes Sterben, Homo-Ehe, Todesstrafe, Kriegseinsatz der Bundeswehr, Gen-Landwirtschaft – fünf Beispiele von Hunderten, bei denen man trotz extremer Wertegegensätze miteinander auskommen muss. Ist da so etwas wie eine allgemein verbindliche  „Leitkultur“ überhaupt denkbar?                                        Andreas Pecht
 
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