Thema Ökonomie / Ökologie
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2007-07-09 Analyse/Kommentar:

Plädoyer für einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn


 
ape. Staatlicher Dirigismus ist in Deutschland nicht sonderlich beliebt. Dennoch votieren in der Frage eines gesetzlichen Mindestlohnes derzeit 60 bis 70 Prozent der Deutschen für einen solchen. Die Werte belegen, dass eine staatlich festgesetzte Lohn-Untergrenze kein „linkes“ Thema ist, sondern bis weit in die Mitte der Gesellschaft hinein befürwortet wird. Die Ursache für diese Mehrheitshaltung geht zurück auf ein durchaus  bodenständiges, tief im Ethos der Arbeitsgesellschaft verwurzeltes Selbstverständnis: Erwerbsarbeit muss ihren Mann/ihre Frau nähren.
 
Nach dieser Vorstellung kann es nicht sein, darf es nicht sein, dass ein fleißiger Mensch für seiner Hände Arbeit nur einen Hungerlohn empfängt. Wobei Hungerlohn meint: Bezahlung einer Vollerwerbsarbeit unterhalb des landes- und zeitüblichen Mindestniveaus, das ein bescheidenes, aber noch halbwegs anständiges Leben ermöglicht. Weil im Niedriglohnsektor vielfach körperlich schwere Arbeit unter widrigen Bedingungen geleistet wird, stört eine Entlohnung, die oft nur zum Leben in Armut hinreicht, das allgemeine Gerechtigkeitsempfinden umso mehr.

Es haben deshalb in letzter Zeit einige Kommentatoren Mindestlöhne oberhalb von vier bis  fünf Euro zu einem Gebot des schieren Anstandes erklärt. Man kann das so sehen. Man kann aber ebenso ein Grundgesetz menschlicher Ökonomie heranziehen: Erwerbsarbeit, deren Ergebnis nicht zur Existenzsicherung ausreicht, ist per se ein Unding. Kein Jäger, Sammler oder Bauer hätte auf Dauer seine Kräfte auf Tätigkeiten verausgaben können, die ohne jede Aussicht auf hinlängliches Auskommen sind. Schuften, um trotzdem zu verhungern: Das wäre ökonomischer Unfug. Wie jedes Unternehmen zum Überleben eine Mindestrentabilität erreichen muss, so muss das Mindestergebnis von Erwerbsarbeit die Reproduktionsfähigkeit des Arbeitenden sein.

Wenn das freie Spiel der Marktkräfte diese Grundanforderung der Arbeitsgesellschaft nicht mehr erfüllt, ist der Staat zum Eingreifen gezwungen. Und dieses Eingreifen kann nicht in erster Linie darin bestehen, Hungerlöhne mit Zuschüssen aus dem Säckel der Allgemeinheit zu alimentieren. Denn auch von den Arbeitnehmern im Niedriglohnsektor wird reelle Arbeitsleistung erbracht, die einen reellen Lohn wert ist. Und den die Arbeitgeber bitteschön zu zahlen haben. Viele tun es. Andere tun es nicht, weil kein Gesetz sie zwingt, und weil die Gewerkschaften in ihrem Bereich schwach sind. Wieder andere können es nicht tun, weil die Billig-Konkurrenz es mangels Gesetzesrahmen ebenfalls nicht tut.

Ein verbindlicher Mindestlohn wäre hilfreich für die Setzung einiger unverzichtbarer Standards unter hiesigen Wettbewerbern: Gleiche Pflichten für alle, die in Deutschland wirtschaften. Er wäre vor allem hilfreich, einem ehedem auch und gerade kapitalistischen Basisgesetz wieder Geltung zu verschaffen: Jede Arbeitskraft hat erstens einen Wert und zweitens einen Preis; letzterer ist verhandelbar, findet aber seine absolute Untergrenze in den zur ständigen Wiederherstellung der Arbeitskraft notwendigen Lebensmitteln – Nahrung, Wohnung, Kleidung, Hygiene- und Medizinversorgung sowie ein Mindestmaß der Teilhabe am öffentlichen und kulturellen Leben.

Bisweilen wird getan, als handele es sich bei Niedriglohn-Jobs um eine Art wohltätiges Engagement der Wirtschaft für Menschen, die sonst gar keine Chance auf Arbeit hätten. Dem ist nicht so. All die Maschinen-, Bau- oder Erntehelfer, die Packer, Einsortierer oder Kurierfahrer, die Hilfspfleger, die Müllentsorger, Reinigungskräfte, Büroboten, Bulettenbräter  oder Brezelverkäufer…, sie alle werden objektiv noch immer gebraucht. Auch wenn im Einzelfall ihr tatsächlicher Beitrag zur Wertschöpfung nicht bilanziert wird, so ist doch offensichtlich, dass sehr viele Produktions- und Dienstleistungprozesse, dass die Gesellschaft insgesamt ohne die Mitwirkung dieser Arbeitskräfte gar nicht oder nicht optimal funktionieren könnten.

Damit leisten auch Niedriglöhner wertvolle, Wert schöpfende Arbeit – woraus sich der  Anspruch auf einen Arbeitslohn oberhalb des Armutsniveaus ableitet. Dass der nicht selbstverständlich ist, gehört zu den großen, mag sein sittlichen, auf jeden Fall aber ökonomischen Fehlentwicklungen der Gegenwart. So oder so: Diesem Anspruch muss Geltung verschafft werden. Und wenn der Markt es nicht selbst richtet, wenn obendrein in immer weiter zerfasernden Wirtschaftsstrukturen auch die Tarifparteien keine Ordnung mehr schaffen können, dann führt an einem gesetzlich erzwungenen Mindestlohn kein Weg mehr vorbei.

Die Aufregung auf Seiten der Ablehner ist so recht ohnehin nicht nachvollziehbar. In den meisten westlichen Industrieländern sind verbindliche Mindestlöhne längst Usus, ohne dass den Volkswirtschaften oder Arbeitsmärkten daraus nachweisbarer Schaden entstanden wäre. Der Höhe nach liegen die Mindestlöhne in der Spitzengruppe der betreffenden Länder zwischen 5,39 Euro (USA) und 8,30/8,44 Euro (Irland/Frankreich) respektive 9,08 Euro  (Luxemburg). Nimmt man einen Mittelwert, ergäbe sich ein Monatsbrutto um 1100 Euro.

 Das ist ja nun alles andere als ein Luxusgehalt. Für harte und meist unsichere Arbeit wäre das, mit Verlaub, eine sehr bescheidene Entlohnung. Vielleicht sollten Wirtschaftslenker, Politiker und Leitartikler sich einfach mal das Regiment anschauen, das Schmalhans im Leben der wirklich „kleinen Leute“ führt.

Erwerbsarbeit muss den Arbeitenden nähren: Das ist ein ganz simples Grundprinzip des menschlichen Wirtschaftens. Es kann nicht sein, dass es ausgerechnet in einem Land und in einer Epoche mit der höchsten Produktivität der Menschheitsgeschichte außer Kraft gesetzt wird. Deshalb ist ein gesetzlicher Mindestlohn sinnvoll – und leider offenbar auch nötig.                  Andreas Pecht

 
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