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2007-08-22 Rezension:

Geistreich, eitel, weinerlich:
Unsere großen Kultur-Exilanten

Michael Lentz hat im Roman "Pazifik Exil"  die Manns, Feuchtwanger, Werfel, Brecht, Schönberg und Co. frech in ein schräges Licht gestellt


 
ape. Literaturfreaks werden den am Freitag (24.08.2007)  erscheinenden Roman „Pazifik Exil“ von Michael Lentz lieben. Denn darin begegnen sie zuhauf alten Bekannten: den wertvollen Größen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts im deutsch-kulturellen Kanon, den aus Hitler-Deutschland geflohenen Exilanten. Thomas Mann und Heinrich, Franz Werfel und Gattin Alma, Lion Feuchtwanger und seine Marta, Brecht, die Weigel und der Eisler nebst Arnold Schönberg reflektieren hier auf 460 eng bedruckten Seiten über Deutschlands, vor allem aber ihre eigene Tragödie unterm Hakenkreuz.
 
Ausflüsse aus Tagebüchern, Journalen, Briefen, Zeitzeugnissen über den Weg ins Exil sowie das Leben und Arbeiten dort hat Lentz zum Roman verwoben. Diesen Stoffen wiederzubegegnen nach Jahren des Verstaubens, ihnen die eigenen Lektüreerinnerungen beizugesellen: ein geistreiches Lesevergnügen!

Viele Literaturfreaks werden den Roman aber auch hassen. Wegen seiner vermeintlichen Respektlosigkeit. Wegen der Chuzpe, jene legendären Altvorderen im Geiste dichterisch freisinnig auszuformen, ihnen gar allerhand anzuhängen. Der 43-jährige Autor führt sie nachgerade vor. Kindisch verblendet vor der Flucht: Werfel ergeht sich in Beschwerdebriefen an seinen französischen Vermieter, weil der ihm die Wohnung kündigte nach der Besetzung Frankreichs durch die Wehrmacht. Großbürgerlich exaltiert während der Flucht: Alma Mahler-Werfel besteht störrisch darauf, dass zwei Dutzend Koffer „mit dem Nötigsten“ ans Zwischenziel jenseits der Pyrenäen geschafft werden. Den Fußmarsch dorthin bestreitet die Gesellschaft – zeternd im Sonntagsstaat.

Zetern, selbstmitleidiges Grummeln, diesen Dauer-Singsang legt Lentz den Kultur-Exilanten auch in Amerika auf die Zunge. Denn am ärgsten trifft sie dort alle, dass dieses „kulturlose Amerika“ von ihrer altweltlichen Berühmtheit weder etwas weiß noch etwas wissen will. Lediglich Thomas Mann macht mit einer Einladung beim US-Präsidenten was her. Selbstbewusst stellt er schließlich fest: „Wo ich bin, da ist Deutschland.“ Brecht geht auf Pantoffeln zu einem Empfang in der Überzeugung, er, der weltberühmte BB werde den Amis mal die Theaterstühle zurecht rücken. Bloß: Keiner kennt ihn, keiner nimmt von ihm Notiz.

Eitle Kindsköpfe, die sich in der Fremde als letzte Vertreter und Garanten der bis Hitler überragenden Hochkultur der alten Heimat gerieren: Als solcherart Karikaturen ihrer selbst dekonstruiert Michael Lentz die Kulturexilanten. Amüsant ist diese Lesart in der intelligenten Weise, wie der Autor sie rüberbringt, allemal. Und, Hand aufs Herz, völlig aus der Luft gegriffen ist sie auch nicht.

Doch dies Buch geht übers Anekdotische weit hinaus. Weshalb es mit Berechtigung zu den 20 für den Deutschen Buchpreis nominierten Titeln gehört. Im Lachhaften lauert stets der Schmerz – darüber, dass die Heimat in Barbarei versinkt und man im Exil auf Basis der eigenen kulturellen Wurzeln kaum noch was zustande bringt, man ihrer sogar Zug um Zug verlustig geht. Lentz geht es weniger um das Vorantreiben einer Handlung, mehr um die in wechselnden Perspektiven gewährten Einblicke in die Gedankenwelt seines berühmten Personals. Das ist berührend, erhellend, interessant. Wenngleich manchmal das Lesen anstrengt, weil der Roman furchtbar viel von der uferlosen Geistesfülle dieser Menschen auftischt.                                            Andreas Pecht

Michael Lentz: „Pazifik Exil“; S. Fischer, 460 S., 19,90 Euro.

 
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